Bild nicht mehr verfügbar.

Die Bewohner Tokios decken sich in den Supermärkten mit den wichtigsten Dingen ein - nun sind die Regale leer.

Foto: Kyodo News/AP/dapd

Supermärkte werden leergekauft, Strom wird täglich für einige Stunden abgedreht.

***

Es ist der erste Arbeitstag nach dem Beben, und selbst in Tokio zeigen sich schwere Probleme. Zuglinien wurden am Morgen teilweise oder ganz eingestellt, um Strom zu sparen. Denn nachdem mit dem AKW-Komplex Fukushima ein wichtiger Stromlieferant der Hauptstadt ausgefallen ist, will der Stromversorger in einer beispiellosen Aktion Tokios Nachbarpräfekturen und Außenbezirken gezielt für drei bis sechs Stunden pro Tag den Strom kappen. Damit soll die Versorgung der Hauptstadt, Japans Nervenzentrum, gesichert werden.

Die Mitarbeiter scheuen keine Mühen, sich dennoch zur Arbeit durchzuschlagen. Hyon Suk Chung ist fünf Stunden unterwegs gewesen. Erst radelte sie eineinhalb Stunden von ihrem Wohnort in Tokios Nachbarpräfektur Saitama zum Bahnhof Kita-Senju in Tokio, von wo aus Züge in die Innenstadt gingen. Aber sie hatte die Idee nicht allein. "Es waren ungeheure Menschenmassen da", erzählt sie. Geduldig stellte sie sich in die Schlange. Doch nach drei Stunden hatte sie genug und fuhr auch noch die letzten zehn Kilometer ins Büro in Tokios Zentrum.

Informationen aus dem Netz

Die Stadt wimmelt von Zeugen personifizierten Pflichtbewusstseins. Der 65-jährige Akira Nakamura schlug sich auf alternativen Routen in drei Stunden von Yokohama nach Tokio durch. "Die Züge waren proppenvoll und langsam, aber es hat geklappt." Er konnte bereits beim Frühstück seine Reise planen. Denn die Fernsehsender erklärten genau, welche Linien nicht, teilweise oder fast uneingeschränkt fuhren.

Ichiro Sato, ein Kellner, hatte seine Informationen aus dem Internet. Eineinhalb Stunden ging er zum nächsten Bahnhof. Da er Spätschicht hatte, bekam er sogar einen Sitzplatz. Auf die Frage, warum er überhaupt gefahren sei, schaut er verblüfft. "Ich kann meine Kollegen nicht hängenlassen."

Beim Sparen helfen

Die ganze Stadt hilft beim Sparen mit. Die Menschen: Yukinobu Morimoto, ein 73-jähriger Rentner, lässt das Licht ausgeschaltet. "Ich bin glücklich, Strom für Leute in Not zu sparen, auch wenn es nicht bequem ist, keinen Strom zu benutzen." Die Gebäudeeigner: In Hochhäusern werden teilweise Fahrstühle stillgelegt. Auch die Hotels helfen mit: "In meinem Hotel wird nicht mehr saubergemacht und die Bettwäsche nicht mehr gewechselt", sagt Shamsher Singh, ein Journalist aus Indien. Und die Firmen schicken ihre Belegschaft früh nach Hause, um Strom zu sparen.

Der gemeinsame Verzicht hat geholfen. Tokios Stromversorger Tepco konnte den Start der Stromausfälle von 6.20 Uhr morgens bis zum Einbruch der Dunkelheit um 17 Uhr hinauszögern. Doch dann wurde die Lücke zu groß. Zehn Millionen Kilowatt fehlen täglich, weil Tepcos Meiler in Fukushima nicht mehr funktionieren.

Der Einzelhandel funktioniert derweil wieder. Besonders Japans Heerscharen von Hightech-Greißlern, die 24 Stunden geöffneten Convenience-Stores, werden wieder fast wie vor der Krise beliefert. "Wir bekommen Lieferungen um 10 Uhr, 17 Uhr und Mitternacht", sagt ein Mitarbeiter in einem Family Mart.

Die Regale sind dennoch leer. Denn die Hauptstädter horten Lebensmittel, Wasser, Batterien, um auch bei einem Zusammenbruch der Versorgung ein paar Tage ohne Einkaufen überleben zu können. "Brot und Reisbällchen sind derzeit schon nach einer Stunde ausverkauft", sagt der Mitarbeiter.

Vor den Supermärkten bilden sich daher lange Schlangen. Aber die Menschen stehen ruhig an.

Angst vor Beben bei vielen kein Fluchtgrund

Unter Nichtjapanern breitet sich langsam Panik aus: Beim Messebauer Welkam haben sich zwei Partner entschieden, abzureisen. Der Schweizer Nik Kamke ist geblieben. Er will das Überleben seiner Firma sichern, und er ist Single. "Außerdem will ich meine japanischen Kollegen nicht im Stich lassen."

Die Angst vor Beben sei bei vielen nicht der Fluchtgrund. "Viel mehr Angst herrscht vor einem Atomunfall", so Kamke. Allerdings hat auch er seine Flucht geplant. Zuerst würde er auf die südjapanische Insel Okinawa fliegen und von dort weiter nach Taiwan.

Daimlers Lkw-Tochter Fuso hat nur die Familien von Expats nach Hause gelassen. Die entsandten Mitarbeiter seien Führungskräfte, und diese hätten eine Funktion zu erfüllen, sagt Pressesprecher Florian Martens in Stuttgart. (Martin Kölling aus Tokio, DER STANDARD-Printausgabe, 15.3.2011)