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Auf einmal hat Harley Davidson ein Einsehen mit Menschen, deren Stärken wo anders liegen als beim Wachstum.

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Ich steh am Parkplatz der Dopplerhütte und wart, bis die Streckenposten die Strecke wieder freigeben. Das wird aber noch dauern. Der junge Fahrer eines schwarzen Civic demonstriert gerade den Aufbau seines Pannendreiecks, während Gustav1 zeitgleich beim Auspuff bis zum Kolben reinschaut. Gustav2 schielt ein wenig, und man könnte meinen, dass er mit dem einen Aug beim Maßband ist, das die Bodenfreiheit misst, mit dem anderen beim sichtlich hergenommenen Pannendreieck.

Auf einmal biegt eine junge Dame in die Boxengasse ein, stellt ihr Eisen ab und setzt sich unweit von mir auf die Steinmauer. Sie trägt Cowboy-Stiefel und eine braune Lederjacke, die weit mehr Patina als sie selbst hat. Trotzdem muss ich an Waldorf und Statler denken. Wir sitzen hier und kommentieren das Geschehen. "Mich halten die Kieberer nie auf", sagt sie. "Weil du so vorsichtig fährst?", frage ich. "Nein, weil bis ich meine 250er auf über 50 km/h beschleunigt hab, ist die Ortschaft eh schon aus."

Ein 250er-Japan-Chopper
Himmel, stimmt, ist mir gar nicht aufgefallen. Die junge Dame fährt einen unendlich peinlichen 250er-Japan-Chopper. Der beschleunigt nicht gescheit, bremst dazu passend auch nicht und schaut grauenhaft aus. "Was soll ich machen", sagt sie, "bei keiner anderen Maschine komm ich mit den Füßen vernünftig auf den Boden. Mich darauf zu verlassen, dass ich bei jeder Ampel einen Gehsteig zum Stehenbleiben finde, ist mir zu riskant."

Das ist jetzt sicher schon fünf oder sechs Jahre her. Und jetzt auf einmal hat Harley Davidson ein Einsehen mit Menschen, deren Stärken wo anders liegen als beim Wachstum. Die neue Superlow hat eine Sitzhöhe von 695 Millimeter und ist eine echte HD. Auf Basis der 883 haben die Amerikaner einen Cruiser zusammengebaut, mit dem sie auch ein paar Damen als Kunden gewinnen wollen. Für tourende Männer wäre dies das Paradies. Endlich keine lähmenden Gespräche mehr über den letzten Bierkick und die Heldentaten bei der letzten Ausfahrt, sondern glänzende Augen und pochende Herzen bei jedem Stopp.

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Niedrigeres Fahrwerk
Die Superlow hat den Rahmen der 883 Sportster, bekam aber ein neues Fahrwerk. Ein geänderter Lenkkopfwinkel und das tiefergelegte Fahrwerk machen die Superlow zum Niederflur-Cruiser. Vorne hat die Lady-Harley ein 18-Zoll-Rad, hinten ein 17-Zoll-Rad. Jim Hofman, General Manager der Produkt-Entwicklung bei Harley erklärt, dass "vor allem in Richtung Agilität entwickelt wurde."

Der 883-Kubikzentimeter-V2-Motor stammt natürlich ebenfalls von der 883 Sportster, leistet maximal 53 PS bei 5900 Umdrehungen und hat ein Drehmoment von 74,5 Newtonmeter, das schon bei 3750 Umdrehungen anliegt. Cruiser-typisch gibt es also ausreichend Schub von unten heraus. Der Sound der kleinen Harley ist ehrlich und kernig – also auch da keine Abstriche. Und vom Aussehen her, brauchen wir gar nicht reden, wenn ich da an die 250er-Fahrschulreiben der Dame denke.

Die Superlow hat einen neuen Solositz und einen Pullback-Lenker. Dazu schaut der Peanut-Tank echt fein aus. Weil er zudem auch noch schlank ist, hilft er, das Handling einfach zu halten.

Wir haben uns dann doch auf den Weg gemacht, bevor Gustav1 und Gustav2 sich auf einen Betrag einigen konnten, den der Civic-Fahrer zu löhnen hat. Ich habe die junge Dame nie wieder gesehen, habe keine Ahnung, wie sie heißt, aber wenn Sie sie kennen, richten Sie ihr bitte einen lieben Gruß von mir aus, und dass sie 10.095 Euro zusammenkratzen und ihre alte 250er über die Häuser hauen soll.