"Wenn man an der zentralen Schraube dreht, ändert sich alles", ermutigt der Schauspieler und Sprechtrainer Peter Strauß...

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Die Grenzen zwischen Stottern aus Unsicherheit und krankhaftem Stottern sind fließend. Peter Strauß würde es beim König wie im Film zuerst einmal mit Sprechtraining versuchen.

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Der König soll vor dem Volk sprechen, aber der König kann nicht. Zu schwer wiegt sein Stottern, zu unüberwindbar die Hürde vor dem großen Auftritt. Die Königin ist es, die im Film "The King's Speech" den Mann findet, der George VI von England helfen kann - mit unkonventionellen Mitteln, die nicht nur des Königs Stimme, sondern auch seine psychische Verfassung nachhaltig verändern.

Hopp, hopp, hopp...

Ein Zimmer in einer Altbauwohnung im dritten Wiener Gemeindebezirk, zwei Menschen werfen mit Tennisbällen, der dritte schaut zu. Der Ball wird senkrecht vor die eigenen Füße geworfen, das Auslassen des Balles mit einem regelmäßigen "Hopp" kommentiert. Ziel ist, den natürlichen Atem- und Sprechrhythmus (wieder) zu finden. Seit 1996 begleitet der Schauspieler und Sprecher Peter Strauß Menschen über Bewusstwerdung und Übung zu einem ökonomischem Sprachgebrauch, einer kräftigeren Stimme und einer sauberen Artikulation.

"Reibungsfreier" Sprechvorgang

"Ziel des Sprechtrainings ist es, die geistigen Inhalte reibungsfrei raus lassen zu können", setzt Strauß auf die AAP-Methode (Atemrhythmisch angepasste Phonation). Bei der natürlichen Art der Atmung wird beim Sprechen eine Portion Luft ausgestoßen und anschließend der Reflex zugelassen, dass sich die Lunge wieder mit der richtigen Menge Luft füllt. Ein natürlicher, unbewusster Vorgang. "Bei den meisten Menschen funktioniert das privat ganz normal. Sobald sie aber vor ein Publikum treten müssen, können Störungen auftreten, weil Ihnen durch Nervosität und Spannung der Sprechvorgang plötzlich bewusst wird. Sie stellen sich selbst in Frage." Falsches Atmen wird zu einer Gewohnheit, die durch Training allerdings wieder durchbrochen werden kann.

Psychologische Verfassung

"Ob ein Mensch leise spricht oder polternd, gepresst oder frei heraus, ob er sich vor anderen sprechen traut oder nicht, sagt viel über ihn aus", weiß Strauß. Würde er König George zum Sprechtraining schicken? Oder doch zur Psychotherapie? "Ich würde es auf jeden Fall mit Sprechtraining versuchen und mit einfachen, gezielten Übungen ansetzen. Mit Übungen, die die Spannungsmitte - den Idealzustand zwischen zu großer und zu wenig Spannung - bewusst machen. Das könnte auch in einem so schweren Fall etwas auslösen." Die Grenzen zwischen Stottern aus Unsicherheit und krankhaftem Stottern sind jedoch fließend. Wenn Strauß eine tief sitzende Sprechschwierigkeit ortet, empfiehlt er Logopädie oder Psychotherapie.

"Meine Stimme füllt einen großen Saal"

"Ich habe genuschelt und hatte eine schwache, leise Stimme", erzählt Bilguun Enchtör (24), geboren in der Mongolei und seit zehn Jahren durch einen Unfall vom Hals ab querschnittgelähmt. In lauter Umgebung war es ihm nicht möglich, sich an Gesprächen zu beteiligen. "Es hat mich genervt, dass ich mich andauernd wiederholen musste, da mich meine Mitmenschen akustisch nicht verstanden." Heute atmet Enchtör richtig. "Meine Stimme füllt ohne Anstrengung einen großen Saal". Die Artikulation erinnert mittlerweile an die eines Profi-Schauspielers. "Über die Kommunikationsfähigkeit hinaus haben sich mein Selbstbewusstsein und Charisma gesteigert", berichtet "Billyshes", der es zum Lebens- und Sozialberater, Trainer sowie Coach geschafft hat und den Titel „Österreichischer Beatbox Champion 2010" trägt.

Die hohe Kunst des Sprechens

Ein Ziel des Sprechtrainings liegt in der Artikulation. Wobei die perfekte deutsche Hochlautung (vor allem für Profis) anzustreben ist. Strauß: "Ich denke, dass man mit Sprechübungen viel mehr bewirken kann, als nur perfektes Deutsch. Man entwickelt beim "richtigen" Sprechen ein gutes Gefühl und gewinnt Sicherheit", die sich auf Privatleben wie Beruf gleichermaßen auswirkt, wie das Beispiel einer polnischstämmigen Projektmanagerin in einem großen Konzern zeigt. "Ich wollte unbedingt die International Project Management Association-Zertifizierung schaffen." Den fachlichen Teil absolvierte sie mit Bravour, aber die Präsentation wurde negativ bewertet. "Das war für mich ein Schock", berichtet sie. "Ich war zu nervös, der Druck, es zu schaffen, war zu groß."

Teufelskreis

"Meine Klientin befand sich in einem Teufelskreis", erinnert sich Peter Strauß. "Die Grammatik der deutschen Sprache beherrschte sie perfekt, aber je größer ihre Nervosität, umso höher die Sprechgeschwindigkeit und umso stärker der Akzent." Als sie mit dem Sprechtraining begann, meinte sie: "Da kann man wahrscheinlich sowieso nichts dran ändern." Die Klientin übte Aussprache, Atmung, Haltung und den Abbau der Hemmung und meisterte die Prüfung im zweiten Anlauf. "Die Stunden haben mir auch privat viel gebracht. Sogar meine Tochter die meine Aussprache oft kritisierte, hat zugegeben dass ich mich stark verbessert habe." Wieder einmal hat sich Strauß‘ Lieblingszitat von Plinius bewahrheitet: "Quam multa fieri non posse, priusquam sint facta, iudicantur?" Übersetzt: Wie vieles hält man für unmöglich, bevor es ausgeführt ist?

Müssen, aber nicht wollen, wollen aber nicht können

Für wen ist Sprechtraining empfehlenswert? "Für alle, die beruflich viel sprechen, präsentieren und vortragen müssen, und für alle, denen bewusst ist, ein Problem mit dem Sprechen zu haben", so Strauß, und setzt fort: "Für alle, die sprechen müssen, aber Widerstand spüren; sprechen wollen, aber Hemmungen haben und für alle, die schnell heiser werden."

"Wenn man an der zentralen Schraube dreht, ändert sich alles!", weiß der Schauspieler und Trainer. Mit der Übung der Kulturtechnik Sprechen verbessern sich Auftreten, Haltung und Selbstwertgefühl. Angst oder Nervosität vor dem Sprechen verlieren an Einfluss, das Gefühl von Sicherheit stellt sich ein. Natürlich könne man auch mit der tollsten Stimme, Artikulation und Rhetorik einmal scheitern, aber dann wisse man wenigstens, dass das nicht der Grund gewesen sei.

Sprechen als magischer Moment

Trotz oder gerade wegen seiner langen Erfahrung als Schauspieler und Sprecher, sieht Strauß in der Fähigkeit zu Sprechen eine der erstaunlichsten Leistungen des Menschen. "Was ich mir denke, kann ich in der komplexesten Weise 'mit-teilen‘ und die Zuhörer nehmen viel mehr wahr als nur die Information. Ich behaupte: Wenn die Stimme frei und ohne Angstfilter rauskommt, dockt meine Person beim Gegenüber an unzähligen Punkten an."

Es gilt, die eigene Stimme, den eigenen Ton zu finden: "So klinge ich. Wenn die anderen das spüren, dann kommst du an. Je mehr mir meine Stimme gehört, umso authentischer wirke ich auf andere." Ein Zitat von Angela Friederici, Direktorin des Max Planck Institutes für neuropsychologische Forschung, bringt für Strauß das Thema auf den Punkt: "Sprache ist der entscheidende Moment des Bewusstseins." (Eva Tinsobin,derStandard.at,16.3.2011)