Inhalte des ballesterer Nr. 60 (März 2011) - Ab sofort österreichweit im Zeitschriftenhandel!

SCHWERPUNKT: IM SCHATTEN DER OLD FIRM

NIE MEHR MEISTER
Ein Lokalaugenschein bei Schottlands Traditionsvereinen abseits der Old Firm

AUSTRIA'S FIRST CUP WINNER
Thomas Flögel über seine Zeit bei Heart of Midlothian

DES SPIELES WEGEN
Der Queen's Park FC bleibt seinem Motto seit 144 Jahren treu

DIE SCHOTTISCHE KRANKHEIT
Wie das Glasgower Scheiberlspiel den Fußball revolutionierte

Außerdem im neuen ballesterer:

100 JAHRE FK AUSTRIA
Fans aus verschiedenen Generationen erinnern sich

DÖBLINGER KLASSENKAMPF
Die Vienna will im Profigeschäft bleiben

»TRAINERPHILOSOPH? NICHT BÖS' SEIN!«
Vienna-Trainer Alfred Tatar dekonstruiert sich

»BEI DEN FRAUEN IST DAS PAKET WICHTIGER«
Weltmeisterin Nia Künzer im Interview

KOMMERZGEGNER
Auf St. Pauli formiert sich unter dem roten Totenkopf der Fanwiderstand

TRAURIGSTES TOR
Das persönliche Drama des Fabrizio Miccoli

DR. PENNWIESER
Die Gehirnerschütterung

ZWIESPÄLTIGE WOHLTÄTER
Ein neuer Film über Politik und Sport in Donezk

SELTENE GÄSTE
Hertha BSC empfängt Lokalrivalen Union

GROUNDHOPPING
Männerfreundschaft in Lissabon, Familientreff in London

KRAFTWERK
Exklusive Leserbriefe an den ballesterer

PRESSECORNER
Financial Fairplay für Deutschland

Foto: Ballesterer

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Jim Leighton, 1998 im WM-Einsatz gegen Brasilien. Schottland verlor 1:2.

Foto: Reuters/Mitchell

Als Jim Leighton die Kantine des Pittodrie-Stadions betritt, wird eines schnell klar: Vor uns steht ein Fußballer alten Schlags. Fester Händedruck, schwarz-goldener Trainingsanzug, selbstbewusstes Auftreten. Von Arroganz ist bei all dem nichts zu spüren. Allüren hat der heutige Tormanntrainer des Aberdeen FC zeit seines Lebens anderen überlassen. »Vergangenen Herbst war das österreichische U21-Team hier zu Gast«, erzählt Leighton. »Dabei ist ein Spieler aufgefallen, der allen Schotten auf dem Feld erzählt hat, dass er die Champions League gewonnen hat.« Die Rede ist von Marko Arnautovic - und die Erinnerung an den arroganten Jungspund noch frisch. Nachhaltiger haben sich bei der schottischen Tormannlegende aber andere österreichische Spieler eingebrannt.

ballesterer: Sie hatten eine sehr bewegte 23-jährige Karriere, deren Rahmen zwei Engagements bei Aberdeen gebildet haben. Was hat sich in der Zeit verändert?

Jim Leighton: Als ich 1988 zu Manchester United gewechselt bin, war es für ein Team abseits der Old Firm noch immer möglich, die Liga zu gewinnen. Bei meiner Rückkehr war der Titel für den Rest der Liga außer Reichweite. In dieser Zeit sind Celtic und die Rangers von neuen Besitzern übernommen worden. Die beiden Vereine hatten viel größere finanzielle Möglichkeiten und haben den restlichen Teams die besten Spieler weggekauft. Dadurch ist es ziemlich einseitig geworden.

Inwiefern hat sich auch der Aberdeen FC verändert?

Ich bin 1988 gegangen und 1997 wieder zurückgekommen. In dieser Zeit ist beinahe das gesamte Personal ausgetauscht worden, es sind nur noch wenige Spieler übrig geblieben, mit denen ich zusammenspielt hatte, dazu gab es noch drei Trainerwechsel. Es waren schrecklich viele Veränderungen. Die Struktur des Vereins war zwar noch immer dieselbe, aber das Innere war ausgewechselt. Das Team war auch sportlich am Scheideweg. Der Verein befindet sich schon viel zu lange in den Niederungen der Liga. Mit dem neuen Management sollten wir jetzt wieder dahin zurückkehren, wo der Klub stehen sollte.

Was waren die Hauptgründe für Sie, nach Aberdeen zurückzukehren?

Ich habe eine sehr gute Zeit bei den »Hibs« gehabt und diese vier Jahre wirklich genossen. Aber als Aberdeen angeklopft hat, war die Verlockung einfach zu groß. Meine Kinder sind hier geboren, ich habe hier geheiratet. Aberdeen war wohl der einzige Klub, für den ich die »Hibs« verlassen hätte. Ich habe noch drei Jahre hier gespielt und bin danach Tormanntrainer geworden. Ich hatte das Gefühl, nach Hause zu kommen.

Sie haben mit Aberdeen 1983 den Cup der Cupsieger geholt. Auch wenn es andere Zeiten gewesen sind: Wie war das möglich?

Niemand, auch innerhalb der Mannschaft, hätte uns das vor der Saison zugetraut. Im Laufe des Bewerbs sind wir aber immer selbstbewusster geworden. Wir hatten zuvor noch nie ein deutsches Team besiegt. Eintracht Frankfurt, Fortuna Düsseldorf, der Hamburger SV - gegen alle sind wir ausgeschieden. Die Bayern waren das erste deutsche Team, das wir schlagen konnten. Wenn du so eine starke Mannschaft besiegst, kriegst du das ultimative Selbstvertrauen. Dazu ist gekommen, dass die meisten von uns im gleichen Alter waren und viele schon in den Juniorenteams zusammen gespielt haben. Als Alex Ferguson 1978 Trainer geworden ist, haben einige alte Spieler aufgehört. Es hat drei Jahre gedauert, bis wir ein Team geworden sind. Das Spezielle war, dass kaum Spieler gekauft worden sind. Die meisten sind gemeinsam von unten gekommen. Es war eine besondere Zeit.

Glauben Sie, dass der Europacup-Sieg auch eine Art Fluch für den Verein ist? Wenn man heute auf Aberdeen zu sprechen kommt, dreht sich noch immer alles um das Team von 1983. Die aktuelle Mannschaft scheint dagegen kaum jemanden zu interessieren.

Nein, es war eine großartige Chance für den Verein, sich ins weltweite Rampenlicht zu stellen. Jeder kennt den Klub wegen seiner Vergangenheit. Wir haben ja nicht nur den Europacup geholt, sondern auch noch den Supercup. In der darauffolgenden Saison sind wir erst im Semifinale gegen Porto ausgeschieden. Das hat uns neue Popularität verschafft. Und ich bin sicher, dass niemand dieses Stück Geschichte missen möchte. Natürlich war es eine schwere Last für die Mannschaften und Spieler, die danach kamen. Plötzlich gab es eine riesige Erwartungshaltung. Aber ich habe lieber diese Erwartung, statt nie etwas gewonnen zu haben. Die Geschichte wird immer da sein.

Hatten Sie bei ihrem zweiten Engagement in Aberdeen jemals das Verlangen, die Uhr zurückzudrehen? 

Ich glaube nicht, dass solche Erfolge noch einmal möglich sind. Wenn man sich die Liste der späteren UEFA-Cup- und Champions-League-Gewinner ansieht, waren und sind das alles »big money teams«. Beim FC Aberdeen war 1983 die gesamte Mannschaft schottisch, der Trainerstab eingeschlossen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemals wieder eine Mannschaft einen europäischen Titel gewinnt, die ausschließlich aus Einheimischen besteht. Unser Klub muss zuerst wieder zurück an die nationale Spitze, dann kann man sich Gedanken über Europa machen. Wir haben in Schottland schon zu lange nichts mehr gewonnen. Das muss sich ändern.

Welche Rolle hat Ihr ehemaliger Trainer Alex Ferguson bei Ihrem Wechsel zu Manchester United gespielt?

Ich habe seit 1975 bei Aberdeen gespielt und in dieser Zeit so ziemlich alles gewonnen, was für den Verein möglich war. Ich habe eine neue Herausforderung gebraucht. 1986 nach der WM in Mexiko hatte ich das erste Mal ernsthafte Pläne, den Klub zu verlassen, aber das Management hat mich nicht gehen lassen. Ich konnte mir keine bessere Aufgabe vorstellen, als zu United zu gehen, um dort nach ewigen Zeiten wieder die Meisterschaft zu gewinnen (Manchester Uniteds letzter Meistertitel datierte damals aus der Saison 1966/67, Anm.).

Wie war Ihre Beziehung zu Ferguson?

So gut, wie sie zwischen einem Spieler und einem Trainer wie ihm sein kann. Alex hat sich über die Jahre nicht geändert. Aber wenn es für dich an einem Ort nicht mehr passt, musst du weiterziehen. So einfach ist das. Wir schicken einander keine Weihnachtskarten und werden keine guten Freunde mehr werden. Wir haben seit meinem Abgang aus Manchester nicht mehr miteinander gesprochen, und daran wird sich wohl nichts mehr ändern.

Brian Clough hat einmal über Sie gesagt: »Jim Leighton ist eine Ausnahmeerscheinung: ein schottischer Tormann, auf den man sich verlassen kann.« Neben persönlichem Lob klingt dabei auch Kritik durch. War auf Ihre Vorgänger und Nachfolger denn kein Verlass?

Eigentlich hatten wir immer gute Goalies, aber durch ein paar Spiele gegen England, ein 3:9 und ein 1:7, ist aus einem Schneeball eine Lawine geworden. Die Engländer haben es immer wieder aufgegriffen. Ich finde das nicht ganz in Ordnung. Ich habe viele gute schottische Torhüter erlebt. Nach mir ist Neil Sullivan gekommen, dann Craig Gordon und Allan McGregor. In England hingegen sehe ich im Moment nicht allzu viele gute Tormänner. Seit David Seaman nicht mehr spielt, sind sie verzweifelt auf der Suche. Ich würde den Engländern daher raten, den Mund nicht zu weit aufzumachen.

Sie haben für Schottland die Weltmeisterschaften 1990 und 1998 gespielt. Wo waren Sie denn dazwischen?

1994 haben wir uns nicht qualifiziert. Als ich bei Manchester United 1990 fallen gelassen worden bin, habe ich vier Jahre nicht im Team gespielt. Das war die Zeit, als Andy Goram im Tor gestanden ist. Bei der EM 1996 war ich zwar im Kader, aber Andy gesetzt. 1998 bin ich dann wieder zum Zug gekommen.

Bei Ihrem Comeback in der Nationalelf waren sie 36. Warum sind Sie so spät noch einmal zurückgekommen?

Andy Goram war verletzt, und Teamchef Craig Brown hat mich darum gebeten. Ich habe ihm gesagt, dass ich fix spielen will. Das war nicht egoistisch gemeint, aber ich hatte zu dieser Zeit gerade erst bei den »Hibs« unterschrieben und für beinahe vier Jahre kaum Erstligafußball gespielt. Dort ist es nach langer Zeit endlich wieder gut für mich gelaufen, und ich wollte meine Energie nicht verschwenden, indem ich unnötig durch ganz Europa reise. Aber Craig sagte am Telefon nur: »Ich will dich auf dem Platz.« Das war ein wirklich gutes Gefühl, und ich habe danach noch 34 Länderspiele gemacht.

Wie würden Sie die Entwicklung des schottischen Fußballs während Ihrer aktiven Karriere beschreiben?

In meiner Zeit als Jungprofi war das Niveau bestimmt höher als bei meinem Karriereende. Es gab damals viel mehr gute schottische Spieler. Fragen Sie mich nicht, warum. Jeder Schotte beschäftigt sich mit dieser Frage. Ich kann sie leider auch nicht beantworten. Ich hätte gerne das Geld verdient, das heute im Spiel ist. Aber der Fußball war damals unterhaltsamer.

Hat es Sie jemals gestört, dass sich die Leute über Ihre Zähne und Ihre O-Beine lustig gemacht haben?

Darum habe ich mich nie wirklich geschert. Ich hatte schon immer eine dicke Haut. Ob das Karikaturen oder Texte in Zeitungen waren - es war mir immer egal. Ich neige eher dazu, darüber zu lachen und das Leben zu genießen. Im Laufe meiner Karriere sind mir acht Zähne ausgeschlagen worden. Mein Zahnarzt wohnt wahrscheinlich auf den Seychellen mit dem Geld, das er im Lauf der Jahre von mir gekriegt hat. Meine Beine haben mir im Spiel nie wirklich Probleme bereitet. Nur einmal bei Manchester United sollten sie geröntgt werden. Der Typ, der die Untersuchung gemacht hat, hat gemeint: »Können Sie Ihre Beine zusammengeben?« Ich habe nur gesagt: »Sie sind zusammen.« Ich war der Einzige, der zwei Röntgenbilder von seinen Beinen machen lassen musste, weil sie nicht auf einem Platz gehabt haben.

Selbstironie und Humor zählen im heutigen Profigeschäft ja nicht unbedingt zu den angesagten Tugenden.

Ich lache so gerne über mich selbst, wie ich über andere lache. Wenn du als Fußballer keine Kritik aushältst, dann solltest du es besser lassen. Ich habe mir auch immer Vaseline auf meine Augenbrauen geschmiert, damit Regen oder Schweiß nicht in meine Augen rinnen und meine Kontaktlinsen verrutschen konnten.

Auch im WM-Qualifikationsspiel 1985 gegen Wales, als Sie Ihre Kontaktlinsen in der Halbzeitpause verloren haben?

Wir haben damals zumindest ein Unentschieden gebraucht, um im Play-off gegen Australien zu spielen. Es war das einzige Mal, dass ich meine Kontaktlinsen verloren habe. Ich musste in der Pause runter, Ferguson (damals schottischer Teamchef, Anm.) hat danach sechs Wochen kein Wort mit mir gesprochen.

Gibt es einen bestimmten Gegenspieler, der Ihnen in Erinnerung geblieben ist?

Natürlich hat es Spieler gegeben, die mich treten wollten. Aber das war mir egal. Ich bin immer zurückgekommen. In meiner Zeit in England waren die Spieler von Wimbledon die Schlimmsten. Die waren richtig gut im Austeilen.

Es wird gern behauptet, dass Tormänner ein bisschen verrückt sind. Warum sind Sie einer geworden?

Ich war nicht gut genug für das Feld. Meiner Meinung nach sind viele Goalies frustrierte Feldspieler. Ich bin in der Schule einmal zufällig im Tor gelandet und von dort nicht mehr weggekommen. Aber ich kann von Glück reden, denn ich würde meine Karriere gegen keine andere tauschen wollen.

Hat es je eine Entscheidung in Ihrer Karriere gegeben, die Sie später bedauert haben?

Rückblickend sollte man sich keine Fehler eingestehen. Ex-Spieler, die Dinge nachträglich bedauern, haben nicht hart genug dafür gearbeitet. Wenn du das aber getan hast, solltest du dir keine Vorwürfe machen. Wenn ich noch einmal die Wahl hätte, zu Manchester United zu wechseln, würde ich es wieder tun.

Haben Sie eine Verbindung zum österreichischen Fußball?

Ich habe nur zweimal gegen Österreich gespielt. Einmal in der Qualifikation für die WM 1998. Schweden war wohl die beste Mannschaft in der Gruppe, aber sie haben sich nicht qualifiziert. Andy Goram hat beim 0:0 in Österreich gespielt und ich beim 2:0 im Celtic Park. 1994 haben wir noch ein Freundschaftsspiel in Wien gespielt.

Das Sie 2:1 verloren haben (de facto verlor Österreich mit 1:2, Anm.) ...

Entschuldigen Sie! Wenn ich im Tor gestanden bin, haben wir niemals verloren. (lacht) Zumindest nicht gegen österreichische Teams. Ich habe auch gegen Austria Wien gespielt. 1:0 in Aberdeen und 0:0 im Praterstadion. Gegen Koncilia und Schachner. Aber damals war das ja noch Austria Memphis. (Interview: Johannes Hofer)