Innsbruck - "Mittlerweile wurden alle Sexualstrafverfahren evaluiert. Es ist nicht üblich, dass verurteilte Sexualstraftäter nicht in Haft sind", sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Hansjörg Mayr nach Kritik an Entscheidungen der Justiz. Ein Pauschalurteil sei daher nicht zulässig. Auslöser der Diskussion über U-Haft-Verhängung waren ORF-Berichte über Sexualstraftäter, die sich bis zum Haftantritt auf freiem Fuß befinden. Eine Mutter, deren Zwillingstöchter schwer sexuell missbraucht worden sein sollen, sagte in einem Beitrag, sie habe Angst um ihre Kinder.

Sie getraue sich nicht mehr, die Mädchen ohne Begleitung zu lassen. Außerdem fühle sie sich im Stich gelassen und könne das Vorgehen der Justiz nicht nachvollziehen. Die Frau hatte im Februar des vergangenen Jahres Anzeige gegen ihren ehemaligen Lebensgefährten erstattet. Der bereits vorbestrafte Sexualstraftäter gestand in seiner Verhandlung und wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt. Der Verurteilte legt daraufhin Berufung ein. Die Staatsanwaltschaft wollte U-Haft verhängen, das Gericht entschied sich jedoch mit der Begründung dagegen, es gebe keine "Tatbegehungsgefahr". Im Jänner 2011 wurde die Strafe vom Oberlandesgericht bestätigt, der Mann ist derzeit immer noch frei. Er wird innerhalb von 30 Tagen, Mitte März, seine Gefängnisstrafe antreten.

Keine Fluchtgefahr

Die Justiz verteidigte nach Kritik ihre Entscheidungen. Laut Gerichtssprecher Thomas Lechner, bestand bei dem Mann zu keinem Zeitpunkt Fluchtgefahr. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Mayr, räumte jedoch ein, dass die "Notwendigkeit der U-Haft während des Ermittlungsverfahrens anders hätte eingeschätzt werden können". Die Kritik sei daher durchaus verständlich und berechtigt. Mayr gibt allerdings zu Bedenken, dass im Nachhinein nicht gesagt werden könne, ob das Gericht in einem früheren Verfahrensstadium die Untersuchungshaft verhängt hätte.

Die Staatsanwaltschaft habe ja "noch im Verhandlungssaal" die U-Haft beantragt. Bei dem Mann habe jedoch laut Gerichtssprecher Lechner keine Fluchtgefahr bestand: Er sei immer "greifbar" gewesen und habe eine aufrechte Wohnadresse vorweisen können: "Der Verurteilte ist ja dann auch zur Verhandlung am Oberlandesgericht am 26. Jänner dieses Jahres erschienen." Ein weiterer Sexualstraftäter wurde vor rund zwei Wochen am Landesgericht zu drei Jahren Haft verurteilt und bleibt ebenfalls bis zu seinem Haft antritt auf freiem Fuß. Die Staatsanwaltschaft stehe zur Entscheidung, den Mann nicht in Haft zu nehmen, sagt Sprecher Mayr. Es bestehe weder Wiederholungs- noch Fluchtgefahr. (ver/DER STANDARD-Printausgabe, 2.3.2011)