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Die überpünktliche Sonne hat die Bewohner der westgrönländischen Siedlung Ilulissat ziemlich überrascht. Der Grund für ihr zu frühes Aufgehen könnte eine atmosphärische Refraktion gewesen sein, wie der Wiener Astronom Thomas Posch und sein Linzer Kollege Klaus Bernhard glauben.

Foto: AP/John McConnico

Nuuk/Wien - Normalerweise erscheint die Sonne am Breitengrad der westgrönländischen Siedlung Ilulissat nach mehrmonatiger Polarnacht erstmals wieder am 13. Jänner. Groß war die Überraschung, als sie heuer zwei Tage zu früh, nämlich am 11. Jänner um exakt 12:56:57 Uhr am Horizont auftauchte. Über die Ursache des ungewöhnlichen Ereignisses spekulierten Wissenschafter wie Laien gleichermaßen, eine eindeutige Lösung für das Rätsel blieb die Fachwelt bis dato schuldig.

Nun haben Wiener Astronomen eine neue mögliche Erklärung für den verfrühten Sonnenaufgang vorgelegt: die atmosphärische Refraktion, ein durch Lichtbrechung verursachtes Phänomen, das vor allem nahe dem Horizont alle Gestirne deutlich höher erscheinen lässt. Ursprünglich war unter anderem angenommen worden, dass das durch den Klimawandel beschleunigte Abschmelzen des Inlandseises das Phänomen verursacht haben könnte.

"Hier im Ort kommt die Sonne erst am 13. Jänner. Da stimmt wohl das eine oder andere nicht," hatte der grönländische Rundfunk KNR Mitte Jänner einen Einheimischen ob des frühen Sonnenaufgangs zitiert. Thomas Posch vom Institut für Astronomie der Universität Wien vermutete damals in einer ersten Stellungnahme, dass die Beobachtung auf eine lokale Veränderung des Horizonts - etwa durch Abschmelzen des Eises - zurückzuführen sein könnte.

Nun hat Posch gemeinsam mit seinem Linzer Kollegen Klaus Bernhard im Fachblatt Der Sternenbote eine andere Erklärungsvariante vorgelegt: die Refraktion, die durch die Brechung von einem von außen in die Atmosphäre eintretenden Lichtstrahl verursacht wird. Diese Refraktion kann besonders während des arktischen Winters zwischen 24 und mehr als 120 Bogenminuten variieren, die Sonne kann also um bis zu zwei Grad höher stehend erscheinen.

Bodennaher Luftdruck spricht für Refraktion als Ursache

"Wenn wir nun annehmen, die Refraktion sei am 11. Jänner in Ilulissat besonders groß gewesen, nämlich um 20 Bogenminuten größer als im Mittel, so böte dies allein eine zureichende Erklärung für das beobachtete Phänomen", schreibt Posch. Dafür spricht auch ein "wesentlich höherer bodennaher Luftdruck als in den Vorjahren", so Posch. Denn die Refraktion ist u.a. von Temperatur, Luftdruck und Atmosphärenschichtung am Ort des Beobachters abhängig.

"Sehr extrem seltene Fälle" der Strahlenhebung in der Erdatmosphäre sind auch unter dem Namen "Novaya-Zemlya-Effekt" bekannt. Diese entstehen in der Arktis nur in speziellen Situationen, wie der starken Brechung des horizontnahen Sonnenlichts an Inversionsschichten und können die Sonne um sogar vier bis fünf Grad "heben". Bei einem solchen Effekt könne die Polarnacht sogar um mehr als zehn Tage früher enden als gewöhnlich. Erstmals wurde dieses Phänomen 1596 von Seefahrern auf der Nordmeerinsel Nowaja Semlja beobachtet.

Astronomische Ursachen wie Veränderungen der Erdbahn oder der Rotationsdauer der Erde schließt Posch nach wie vor aus. Aber auch den periodischen Einfluss von Schaltjahren hält der Astronom nicht für möglich. Denn Mitte Jänner 2011, ein Jahr vor einem Schaltjahr, stehe die Sonne um rund zwei Bogenminuten tiefer als zwei Jahre vor einem Schaltjahr (2010) und sogar um vier Bogenminuten tiefer als zur selben Zeit des Jahres 2009. (red/APA)