Im europäischen Vergleich funktioniert in Österreichs Städten die Integration unterschiedlicher ethnischer Gruppen gut. Doch wie ein STANDARD-Wohnsymposium zeigte, lauern im Alltag von Wohnanlagen eine Fülle von Spannungen und Problemen.

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Die Wiener SPÖ dachte, sie hätte beim Thema Integration und Wohnen alles richtig gemacht. Durch die Öffnung der Gemeindebauten für Migranten wurde die Ghettobildung in den alten Zinshäuservierteln gestoppt. Die Stadt sorgte für eine gute Durchmischung und eine relativ hohe Wohnqualität, die das aus anderen europäischen Städten gefürchtete Banlieue-Phänomen vermeiden sollte. Wohnanlagen der Gemeinnützigen boten Gemeinschaftseinrichtungen, wo Integration im Alltag stattfinden sollte. Und wo Konflikte zwischen Bewohnern auftauchten, waren Hausbetreuer und Mediatoren zur Stelle.

Umso größer war der Schock, als bei den Wiener Gemeinderatswahlen am 10. Oktober 2010 die FPÖ ein Viertel der Stimmen einfuhr und vor allem in den Gemeindebauten, dem Stammwählerrevier der Sozialdemokraten punkten konnte. War die Integrationspolitik vielleicht doch nicht so erfolgreich wie behauptet? Und gab es Probleme, die von der Politik übersehen worden waren?

Diese Spannung zwischen Anspruch und Realität in der österreichischen Wohnpolitik prägte auch das Standard-Wohnsymposium, das sich vergangene Woche unter dem Titel "Problemzone oder Zukunftsmodell" dem Thema Integration im Wohnau widmete. Während Experten auf der von der Fachzeitschrift Wohnen Plus mitorganisierten Tagung die Wege zu einem funktionierenden Zusammenleben skizzierten, klangen bei den Praktikern auch die Alltagshürden durch, die das Ausländerthema so explosiv machen.

Für den Politikwissenschafter Anton Pelinka ist Integration "ein Prozess und nicht ein Zustand, nicht entweder erfolgreich oder gescheitert. Er schreitet ständig fort und kann sich auch zurückentwickeln." Die Wohnverhältnisse seien ein wichtiger Indikator für Fort- und Rückschritte, und hier vor allem die Vermeidung oder Aufösung von Ghettos und Slums. "In Paris ist das nicht gelungen, in der South Side of Chicago lange Zeit auch nicht", zog Pelinka internationale Vergleiche. "Wenn im Wohnverhalten die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Gruppen verwischt werden, nach Einkommen, aber nicht mehr nach Herkunft, nach Vermögen, aber nicht mehr nach Religion unterschieden wird, dann ist Integration gelungen."

Platz auch für Segregation

Der Integrationsexperte Kenan Güngor, der auch die Stadt Wien und Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) berät, sieht auch in der Segregation eine Funktion. Schließlich würden Zuwanderer die eigenen ethnische Gruppe als Netzwerk benötigen. "Segregation dient auch der Vermeidung von Konflikten." Aber: "Österreich hat eine der geringsten Segregationsdichten in Europa", führt er aus. "Es gibt keine einzige ethnische Gruppe, die in einem Bezirk besonders stark vertreten ist." Dennoch empfänden viele Menschen - und besonders Modernisierungsverlierer - eine nichtgewollte Multikulturalität als schwere Belastung.

"Für Einheimische verändert sich die gewohnte Nachbarschaft, die vertraute Welt geht verloren", beschreibt die Psychoanalytikerin Adelheid Wimmer diesen Prozess. Das sei eine "beängstigende Entwicklung", die zu Vorurteilen und Klischeebildungen führe.

Ein Gegenmodell ist laut Herbert Ludl, dem Chef der Sozialbau, seit 15 Jahren die Wohnanlage "Interethnische Nachbarschaft" in Wien-Alterlaa, wo Menschen aus bis zu 28 Herkunftsländern gemeinsam wohnen und es keine Gruppenbildung gebe. Die Erfahrungen von dort würden inzwischen auf allen neuen Sozialbau-Wohnanlagen angewandt, wo bis zu 50 Prozent Zuwanderer einziehen würden. Das sei "nicht nur ein Indikator für Integration, sondern auch eine der exzellentesten Voraussetzungen für deren Beschleunigung", pries Ludl die Vorteile des Tür-an-Tür-Lebens mit Menschen aus anderen Kulturkreisen.

"Alle wollen das Gleiche"

Für Klaus Lugger von der Neuen Heimat Tirol haben weder die Intellektuellen Recht, die gar keine Probleme sehen, noch die "politischen Zündler, die das Thema ständig hochspielen". Dazwischen stünden die Hausverwaltungen, die eine bessere Ausbildung in "niederschwelliger Mediation" und daher auch eine bessere Bezahlung benötigten.

In der politischen Debatte betonte der FPÖ-Landesrat in Oberösterreich, Manfred Haimbuchner, die Probleme in Anlagen mit hohem Migrantenanteil, der Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SPÖ) indes die Chancen von Zuwanderern für die Stadt und das ganze Land.

Wie selbst an den schwierigsten Plätzen Gemeinsamkeit geschaffen werden könne, berichtete Renate Schnee, Stadtteilzentrumsleiterin im Wiener Gemeindebau "Am Schöpfwerk". Als frustrierte Mietervertreter um ein Treffen mit Politikern baten, fanden zur Vorbereitung zwei Workshops statt, um über die Probleme zu diskutieren. "Dort zeigte sich: Alle wollen das Gleiche. Aus der Diskussion zwischen Alt- und Neuösterreichern wurde am Ende ein 'Wir Schöpfwerker'." (Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.3.2011)