Der türkische Regierungschef ist sauer und lässt das auch alle wissen. Tayyip Erdogan fühlt sich und sein Land von der EU ungerecht behandelt und kann dafür auch Gründe geltend machen. Dass der aufbrausende Premier bei seinem Auftritt in Düsseldorf besonders freundliche Töne für die Integration der Türken in Deutschland finden würde, war deshalb kaum zu erwarten. Je weiter die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU auf Grund laufen, desto ruppiger gibt sich die türkische Führung.

Es ist ein Kräftemessen der Bauernschlauen: Die Mehrzahl der Regierungen in der EU, darunter auch die österreichische, versuchen den Türken "ergebnisoffene" Verhandlungen zu verkaufen, die so offen sind, dass Staatschefs wie der französische Präsident Nicolas Sarkozy sogar seelenruhig das völlige Gegenteil verkünden können - eine Vollmitgliedschaft in der EU wird es für die Türkei nicht geben, was auch immer die Brüsseler Kommission und Ankara herumverhandeln mögen.

Den Türken bietet die EU derzeit nur noch eines von 34 offenen Beitrittskapiteln an. Es ist das komplizierteste und steht üblicherweise am Ende der Verhandlungen: die Angleichung an die Wettbewerbsregeln der EU und komplette Öffnung des Markts. Wie sollen sich die Türken da nicht gefoppt fühlen? Sie üben nun Revanche: Das Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen kann die EU vergessen, solange der Visazwang für Türken nicht fällt. (Markus Bernath, STANDARD-Printausgabe, 01.03.2011)