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Betrat 1983 mit der "Kritik der zynischen Vernunft" das Podium des öffentlichen Denkers, um es nicht mehr zu verlassen: Peter Sloterdijk (63), ein medienkompatibler Nachfahre des Diogenes.

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Hans-Jürgen Heinrichs schrieb über Sloterdijk.

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Dessen Biograf Hans-Jürgen Heinrichs sprach mit Ronald Pohl über die Schwierigkeiten, ein philosophisches Lebenswerk vor dessen Abschluss zu katalogisieren und zu bewerten.

Debatten: "Peter Sloterdijk stellt oft Thesen zur Diskussion, die den Rahmen der Philosophie zu sprengen scheinen: ob in seiner Elmauer Rede Regeln für den Menschenpark (1999), in der er die universale zivilisatorische Kraft des Humanismus infrage stellte, in seiner während des Klimagipfels 2009 in Kopenhagen gehaltenen Rede, in der er das immer dringlicher werdende Klima- und Atmosphärenmanagement von einem raumphilosophischen Standpunkt aus erörterte, oder in seinem Essay Die Revolution der gebenden Hand (2009), in dem er Vorschläge für eine Umwandlung des Staats von einem gierbeherrschten System in die stolzbewegte, von dem hohen Gut der Gabe geprägte Gesellschaft machte. Stets ringt er um eine lebendige, von der Dynamik und Zukunftsfähigkeit gesellschaftlicher Prozesse durchdrungene Philosophie. Der erkalteten akademischen Philosophie traut er nicht mehr zu, dem erfolgten und dem bevorstehenden Wandel eine Sprache und eine Stimme zu verleihen."

Fröhliche Wissenschaft: "Sloterdijk findet ganz neue innovatorische und visionäre Beschreibungen für das menschliche Zur-Welt-Kommen und In-der-Welt-Sein, Beschreibungen, die wegen der Kraft der Zuspitzung und des Grenzüberschreitenden sehr viel Widerstand erzeugen. Man möchte seine im Ansatz ,Fröhliche Wissenschaft' gegen eine ernsthafte Philosophie ausspielen und übersieht sehr oft, dass die ,Fröhliche Wissenschaft' auch der Lohn für die Ernsthaftigkeit des Denkens und einer souveränen Einmischung in versteinerte Argumentationen und Debatten ist."


Widersprüche: "Mein Eindruck ist, dass Sloterdijk aus der letzten Debatte, die sich um seinen Text Die Revolution der gebenden Hand (FAZ, 13. 6. 2009) entsponnen hatte, nicht die richtige Folgerung gezogen hat. Die Kontroverse, die Sloterdijks Aufsatz auslöste, war vor allem ein Meinungsstreit über die Denkhoheit in der akademischen gesellschaftstheoretischen Philosophie. Sie nahm an seiner grundsätzlichen Infragestellung des Systems der Zwangsbesteuerung Anstoß und sah aufgrund ,ungeheuerlicher' Vorschläge (deren Ziel es sei, die Idee der Gleichheit als solche zu Fall zu bringen) sogar die Demokratie in Gefahr. Und noch etwas schien der von Axel Honneth repräsentierten Gegenseite in Gefahr: die Ernsthaftigkeit der Denk-Wissenschaft und ihr Ideal der auf Forschungsliteratur begründeten Wahrheit, verspielt von einem Hasardeur, einem ,philosophischen Essayisten' und einem mit , atemberaubendem methodologischem Leichtsinn' und ,fatalem Tiefsinn' operierendem ,poetischen Philosophen'."

Selbstverkennung: "Sloterdijk selbst zieht aus Obigem, wie ich meine, nicht die richtige Konsequenz. Er verwirft in diesem Fall rundweg die real existierende Differenz zwischen einer akademischen Philosophie und seiner Philosophie, die ein treibendes, sich nie verbergendes Element im vitalen, dynamischen Vorgang des ,Philosophierens' und der dazu nötigen Kunst und Literarizität hat. Wenn er von dieser Differenz sagt, sie komme ,allein in der Einbildung von verständnislosen externen Beobachtern' vor, vermittelt er den Eindruck, als sei das ,Literarische' eine Einschränkung des Philosophischen. Damit schwächt er seine eigene Philosophie, die sich in der Kunst des Philosophierens realisiert. Da nicht vorstellbar ist, dass er sich selbst so verkennt, gilt es nach den Ursachen zu suchen."

Konsens: "Konsensuale Haltung ja, im Sinne von: auf dem Boden von Gemeinsamkeiten der Denkhaltung des Anderen folgen. Mich interessiert es weniger, ganz aus der Position des Gegensatzes und des Widerstands heraus zu denken. Es liegt mir mehr, und ich halte es auch für fruchtbarer, mich erst einmal unter das ,Walten einer Faszination' zu stellen."

Denkanstöße: "Ich nehme zurzeit in einigen von Sloterdijks Sätzen eine starke Häufung von Begriffen, die um Kompetenz und Macht kreisen, wahr. Sie verdrängen teilweise die frühere, ,fließende' Sprache, die selbst den Begriff Philosophie zuallererst in die Bewegung des Philosophierens übersetzt hat. Sloterdijks partielle (vielleicht nur vorübergehende) Zuwendung zu einer eher starren Begrifflichkeit korrespondiert mit einer gelegentlich angenommenen Haltung der Selbstverteidigung. Sein letzter Beitrag zur Steuer-Debatte Warum ich doch recht habe (Die Zeit, 2. 12. 2010) hat mich sehr erstaunt. Für mich ist dies ein auf den ersten Blick verstörender Satz aus dem Mund eines Philosophen, der wie kein anderer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Diogenes, den heiter-subversiven Verächter des Rechthabens und der argumentativen Verteidigung des eigenen Standpunkts, zurück auf die Bühne der Philosophie geholt hat. Zwischen der Kritik der zynischen Vernunft (und deren Inthronisierung des Diogenes als Frechling) und des 2010 geäußerten Ich habe doch recht-Satzes liegen nahezu 30 Jahre. Welche Entwicklung hat Peter Sloterdijk zu dieser veränderten Tonlage bewogen? Darüber werde ich jetzt weiter nachdenken."