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William Helferich warnte 2001 Frauen mit Brustkrebs vor der Einnahme von Soja-Extrakten, "insbesondere nach den Wechseljahren".

Etliche gesunde Eigenschaften werden Sojaprodukten zugeschrieben. Die Pflanze und ihre Bohnen liefern wertvolles Eiweiß sowie schützende Phytohormone. Sojabohnen sollen Substanzen enthalten, die Krebszellen in den Selbstmord treiben. "Eine Wirkung, die für die Krebsvorbeugung aber auch für die Entwicklung neuer Krebsmedikamente bedeutsam ist." Zu dieser Erkenntnis kamen die Forscher um Julie Saba vom Children's Hospital and Research Center in Oakland. Verantwortlich dafür sind sogenannte Sphingadiene, die unter anderem fettartige Biomoleküle (Lipide) aufbauen.

Kann Soja Krebs fördern?

Demgegenüber sorgten 2001 Labor- und Tierversuche für Verwirrung. Sie sollten die positiven Wirkungen der Sojabohne auf den menschlichen Organismus belegen. Vor allem das "Genistein" stand im Zentrum der Beobachtung. Es gilt als eines der wichtigsten Phyto-Östrogene der Sojabohne und ist auch in Rotklee-Extrakten enthalten. William Helferichs Experimente an der University of Illinois gaben Anlass zur Warnung: Wenn Testmäuse mit Genistein gefüttert wurden, wuchsen die Zellen schnell zu Tumoren, während sie ohne Zufuhr verkümmerten. Aufgrund dieser Erkenntnisse warnte Helferich Frauen mit Brustkrebs explizit vor der Einnahme von Soja-Extrakten, "insbesondere nach den Wechseljahren".

Prävention und Gefahr

Welchen der gegensätzlichen Forschungsergebnisse kann man nun Glauben schenken? Existiert in der Fachwelt ein Konsens? Roland Grossgut, Risikobewerter bei der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) ist mit beiden Positionen vertraut: "Sojabohnen enthalten Isoflavone. Diese zählen zu den Phytoöstrogenen und wirken als bioaktive Substanzen. Sie verfügen über eine endokrine Wirkung im Sinne einer hormonellen Wirkung. Die aber geringer ist als jene des menschlichen Hormons Östradiol."

Was im Klartext heißt: Aufgrund dieser hormonellen Wirkung sind sowohl positive als auch negative gesundheitliche Auswirkungen auf die Gesundheit möglich. Wie sich die Inhaltsstoffe von Soja auswirken, hängt stark von der entsprechenden Aufnahmemenge und der Aufnahmezeit ab, betont der Experte. Beides beeinflusst die Bioverfügbarkeit und damit den Plasmaspiegel.

Scheinbare Widersprüche

Zu den widersprüchlichen Aussagen über die Wirkung von Sojabohnen beziehungsweise Sojaextrakten kommt es laut Grossgut auch durch den Vergleich von oft sehr unterschiedlichen Studiendesigns. Der Risikobewerter spricht deshalb von "scheinbaren Widersprüchen", die sich generell um die Phytoöstrogene drehen. Zu diesen zählen auch die Phytoöstrogene der Sojabohne, etwa die Isoflavone Genistein, Daidzein und Glycitein und deren Glycoside.

Phytoöstrogene sind biologisch aktiv und zeigen unter anderem Wechselwirkungen mit den Östrogen-Rezeptoren. Sie hemmen Enzyme der Östrogenbiosynthese und beeinflussen die Schilddrüsenhormone. "Aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit mit natürlichem Östrogen können diese Substanzen an den menschlichen Östrogen-Rezeptor binden und einerseits zu antagonistischer (Anm.: hemmender) als auch agonistischer (Anm.: stimulierenderer) Wirkung führen." In der Literatur wird deshalb sowohl von protektiven als auch von schädigenden Effekten berichtet.

Beeinflussung von Schilddrüse und Brustgewebe

"Besonders zu beachten ist, ob die entsprechenden Substanzen in natürlicher Form als Lebensmittel oder als Extrakt, etwa in Form von Nahrungsergänzungsmitteln, aufgenommen werden", betont Grossgut und verweist auf eine Stellungnahme zu Isoflavonen vom deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) aus dem Jahr 2007. Eine Reihe wissenschaftlicher Studien ergab: Angenommene positive Wirkungen von isolierten Isoflavonen auf Wechseljahresbeschwerden gelten nach derzeitigem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse als nicht ausreichend gesichert.

Toxikologische Risiken

"Die Aufnahme von Isoflavonen im Rahmen einer Soja-Kost bei üblichen Verzehrmengen gilt nach dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Kenntnisstand als unbedenklich", berichtet Grossgut. Zu diesem Ergebnis sei das BfR 2008 im Rahmen eines Expertentreffens gekommen.

Kritischer werden die toxikologischen Risiken bezüglich des Hormonhaushalts bewertet. Die Einnahme von Isoflavonen in isolierter oder angereicherter Form und in hoher Dosierung sei nicht a priori als gesundheitlich unbedenklich anzusehen. Isoflavone können die Funktion der Schilddrüse beeinträchtigen und das Brustdrüsengewebe verändern. Es ist nicht auszuschließen, dass diese östrogenähnlichen Effekte die Entwicklung von Brustkrebs fördern können.

Keine Einigkeit

Zusammenfassend stellt das BfR eine unzureichende Datenlage zur Bewertung isolierter und/oder angereicherter Isoflavone fest. Unter den ExpertInnen herrsche Uneinigkeit, beobachtet Grossgut. "Auch von wirtschaftlicher Seite wurden Unsicherheiten in der Bewertung der Isoflavone in den Vordergrund gestellt", weiß der Risikobewerter. Als wünschenswert sieht er die Gewinnung weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse, wovon auch der laufende wissenschaftliche Diskurs zeugt.

Neue Ergebnisse im Mai

Derzeit widmet sich eine Arbeitsgruppe der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) den Fragen nach Gefahr und Nutzen der Aufnahme von Isoflavonen. Untersucht wird deren Auftreten in Lebensmitteln, Aufnahme und Bioverfügbarkeit, Wirkungsweise sowie Dosis-Wirkungsbeziehungen. "Die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe liegen noch nicht vor, die derzeitige Deadline ist Mai 2011", weiß Grossgut.

"Abschließend sei festgehalten, dass sich die hier beispielhaft angeführte Problematik nicht nur auf die Isoflavone in Sojabohne beschränkt, sondern im Wesentlichen alle endokrinen Disruptoren", betont der Risikoexperte. Darunter versteht man alle hormonell wirksame Substanzen, egal ob natürlichen oder anthropogenen Ursprungs. (Eva Tinsobin, derStandard.at, 08.03.2011)