Gruppenbild mit Architekt: Eckehard Loidolt (links) und ÖAD-Wohnen-Chef Günther Jedliczka erklären der kanadischen Delegation alles über das Passivhaus Molkereistraße.

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Thomas Mueller (rechts, mit Günther Jedliczka vom ÖAD) ist Präsident des Canada Green Building Council.

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Das "Austria House" der Olympischen Winterspiele von Vancouver in Whistler wird heute als Cross-Country-Ski- bzw. Mountainbike-Zentrum genutzt und dient andererseits auch weiterhin als Passivhaus-Demonstrationsobjekt.

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"95 Prozent der kanadischen Häuser sind aus Holz", stellt Thomas Mueller fest. Nachsatz: "Man sieht das nur meistens nicht."

Der gebürtige Bayer, der seit 23 Jahren in Kanada lebt, führte in seiner Eigenschaft als Präsident des "Canada Green Building Council" in der vergangenen Woche eine kanadische Delegation nach Wien, um die heimische Passivhaus-Technologie zu begutachten. Das Reiseziel war nicht zufällig gewählt: Einerseits zählt die Alpenrepublik, was energieeffizientes Bauen betrifft, seit Jahren zu den Vorreitern. Und andererseits ist da natürlich das "Austria House" in Whistler, unweit von Vancouver. Es wurde von der eigens dafür gegründeten "Austria Passive House Group" im Vorfeld der Olympischen Spiele 2010 errichtet und war das erste Passivhaus auf kanadischem Boden.

Gründe genug für die Kanadier also, dem Herkunftsland des Gebäudes einen Besuch abzustatten. Genauer: Dem Passivhaus-Studentenheim des Österreichischen Austauschdiensts (ÖAD) in der Wiener Molkereistraße unweit des Pratersterns.

"Katastrophal", je nach Sichtweise

Bei der Führung durch das Haus zeigt sich die rund 30-köpfige Delegation durchaus beeindruckt - insbesondere von den niedrigen Baukosten von 1.200 Euro pro Quadratmeter. Und auch die schnelle Bauzeit sorgte für Staunen: Zwei Wochen habe man nur pro Stockwerk benötigt, insgesamt zwei Monate, berichtet der Geschäftsführer der ÖAD-Wohnraumverwaltung, Günther Jedliczka. Dies, obwohl es sich um eine Betonkonstruktion handelt.

Architekt Eckehard Loidolt (damals Baumschlager/Eberle, aktuell bei schneider+schumacher) präsentiert den nordamerikanischen Besuchern ein Muster der verwendeten Polystyrol-Dämmung und erklärt fast ein wenig verschämt, dass der erste "Blower-Door-Test" (dabei wird Luft in die Räume gepumpt, Anm.) des neu gebauten Objekts "katastrophal" ausgegangen sei. Nachfrage aus der Gruppe: "Was heißt katastrophal in diesem Zusammenhang?" Loidolt erklärt: "Erreicht werden sollte ein Wert von 0,6, aber wir waren weit über zwei." - Gelächter im Raum. "Wir müssen hart kämpfen, um auf einen Wert von 3 zu kommen", ruft ein Vertreter der kanadischen Bauwirtschaft.

Lichtsystem

Für Staunen unter den kanadischen Gästen sorgen dann auch die Gänge des Passivhaus-Studentenheims. Durch links und rechts abwechselnd etwas eingerückte Wände wirken diese - und damit auch die Fluchtwege - nämlich schmäler, als sie sind. Der Grund für diese ausgestanzten Leerräume ist das ausgeklügelte System zur Tageslicht-Gewinnung; Lichtkamine leiten es von oben nach ganz unten, "man kann überall ohne künstliches Licht Zeitung lesen", berichtet Jedliczka. In Kanada würden diese verengten Fluchtwege allerdings keine Genehmigung bekommen, bemerkt eine Teilnehmerin - die kanadischen Behörden würden wohl bekritteln, dass es hier leicht zu panikartigen Szenen kommen könnte. Architekt Loidolt winkt ab: Von Seiten der Baubehörde war das kein Thema. - Andere Länder, andere Vorschriften.

Loidolt erklärt neben der Herkunft des Namens der "Dairy Street", wo sich einst eine Molkerei ("dairy") befand, auch die Architektur des Gebäudes. Er erzählt, wie es dazu kam, dass von den straßenseitigen Fenstern immer zwei und zwei zusammengefasst und geschoßweise versetzt eingebaut wurden. Dies sollte quasi der "Behübschung" der Gegend dienen, um der Stadt etwas Gutes zu tun und um das Gebäude nicht "wie ein Gefängnis" wirken zu lassen. Schlagfertige Antwort eines Kanadiers: "Ein hübsches Gefängnis."

Und ein nicht zertifiziertes - dies sorgt in der kanadischen Delegation ebenfalls für Verwunderung. Jedliczka erklärt, dass man darauf verzichtet habe, weil eine Zertifizierung einerseits teuer sei, andererseits nichts bringe.

LEED im Vormarsch

Ganz anders ist die Situation in Kanada: Dort erlebe man gerade einen regelrechten Boom auf dem Sektor der Gebäude-Zertifizierungen, erklärt Thomas Mueller. "Die Städte bauen schon fast alle nach Green-Building-Standard, und wir zertifizieren das dann" - konkret nach dem "Leadership in Energy and Environmental Design"- bzw. abgekürzt LEED-System. Dieses soll die Nachhaltigkeit eines Gebäudes auf Basis neutraler Kriterien bescheinigen - ähnlich dem hierzulande vor wenigen Jahren eingeführten Energieausweis, allerdings wesentlich erfolgreicher.

Sein erstes Passivhaus hat Mueller vor drei Jahren gesehen. Auf einem Heimaturlaub in München machte er damals auch einen kurzen Abstecher nach Tirol, quasi nach dem Motto: "Schau'n mer uns das mal an." Die Idee hat ihn sofort überzeugt, seitdem versucht er sie in Kanada zu propagieren.

Know-how-Mangel

Leicht ist das aber nicht, wie er im Gespräch mit derStandard.at bekennt. Konkret macht er zwei große Probleme des nachhaltigen Bauens in Kanada aus: Einerseits fehle es bei den Handwerkern gravierend am entsprechenden Know-how. Andererseits komme von der Regierung praktisch keinerlei Unterstützung. "The government is crappy", bestätigt eine weitere Delegationsteilnehmerin unter Verwendung eines wenig schmeichelhaften Begriffs, der hier deshalb unübersetzt bleiben soll.

Unterstützung für alternative Bauweisen komme in Kanada allenfalls von den Provinzregierungen, erklärt Mueller; hauptsächlich aber von den Stadtregierungen der großen Metropolen. Diese hätten mit der Raumplanung auch das wesentliche Werkzeug in der Hand, die Entwicklung voranzutreiben, manche - etwa Vancouver oder Toronto - täten dies auch, so Mueller.

Weniger Energiebewusstsein

Die demografischen Gegebenheiten lassen dies auch als Gebot der Stunde erscheinen: Ziemlich genau zwei Drittel der kanadischen Bevölkerung leben nämlich in den Ballungsräumen, mehr als die Hälfte davon in den drei größten Metropolen Toronto, Montreal und Vancouver. Problematisch sieht Mueller aber auch, dass in Kanada das Energiebewusstsein noch nicht so ausgeprägt ist wie in Europa, weil Energie wesentlich weniger kostet.

So ist das "Österreich-Haus" in Whistler nach wie vor das einzige Passivhaus auf kanadischem Boden - bis auf Weiteres. An der Nummer zwei werde nämlich bereits gearbeitet, berichtet Mueller, kurz bevor die Gruppe aufbricht, um die künftige "Seestadt Aspern" zu besichtigen. Und schon in einem Jahr könnte es dann auch in Kanada eine Handvoll Passivhäuser geben, ist der Bayer, der den Kanadiern das umweltbewusste Bauen ans Herz legen will, sicher. (Martin Putschögl, derStandard.at, 24.2.2011)