Eva van Rahden, Abteilungsleiterin der Anlaufstelle für Prostituierte.

Foto: BildungsRaum Sophie

Sozialarbeiterin Anita Kaluza bei der Beratungsarbeit.

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Der gemütliche Kommunikationsraum der Beratungsstelle zum Plaudern, Tee oder Kaffee trinken, im Internet surfen oder Lesen.

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Der rote Regenschirm ist Symbol des Widerstandes gegen Unterdrückung und Diskriminierung in der Sexarbeit.

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Im BildungsRaum "Sophie" können sich Frauen, die in der Prostitution arbeiten oder gearbeitet haben, zu den unterschiedlichsten sozialen und rechtlichen Themenbereichen beraten lassen. Seien es Fachinformationen zur Selbständigkeit, Steuer oder Versicherung, Fragen zum Umstieg in den "bürgerlichen" Arbeitsmarkt oder Belange wie Gesundheit, Wohnungssuche, materielle Existenzsicherung oder Stigmatisierung. daStandard.at hat mit Eva van Rahden, Abteilungsleiterin der Beratungsstelle, und Anita Kaluza, Sozialarbeiterin, über ihre Arbeit gesprochen.

daStandard.at: Welchen Aufgaben widmet sich Ihre Beratungsarbeit im BildungsRaum "Sophie"?

Anita Kaluza: Wir unterstützen und begleiten Frauen in unterschiedlichsten Anliegen mit Sozial- und Rechtsberatung sowie Umstiegsberatung. In jedem Fall haben wir einen akzeptierenden Ansatz, das heißt, ist die Frau in der Sexarbeit tätig, wird sie darin unterstützt und mit Wissen und Know-How ausgestattet, damit sie nicht in Abhängigkeitsfallen gerät und sich hier im Zielland orientieren kann - die meisten Frauen, die uns aufsuchen, sind migrantischer Herkunft.

Das einzige Kriterium für die Beratung ist entweder in der Sexarbeit tätig zu sein oder gewesen zu sein. Wir unterstützen auch Frauen, die den Wunsch äußern, nicht mehr in der Prostitution arbeiten zu wollen und in einem anderen Bereich Fuß fassen möchten. Hier geht es um Arbeitsmarkt-Zugangsregelungen und den langwierigen Prozess des Umstiegs.

Eva van Rahden: In diesem Bereich arbeiten wir in enger Kooperation mit dem Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (WAFF). Dort gibt es Ansprechpersonen, die speziell diese Zielgruppe unterstützen können, auch was Aus- und Weiterbildung anbelangt.

Kaluza: Es geht auch stark um Nostrifizierungen, denn viele Frauen sind hochqualifiziert, ihre Ausbildung hat aber leider in Österreich ohne Nostrifizierung keinen Wert. Häufig ist die Nostrifizierung ein aufwendiger Prozess, da wenig anerkannt wird und viel nachgeholt werden muss.

daStandard.at: Wie viele Frauen kommen regelmäßig zu Ihnen?

Van Rahden: Im letzten Jahr hatten wir über 400 Frauen in Beratung und weit über 3000 Kontakte, die unter anderem durch die aufsuchende Arbeit der Streetworkerinnen zustande kommen, wo wir die Frauen an ihren Arbeitsplätzen nach Möglichkeit muttersprachlich kontaktieren - unsere Folder und die Homepage gibt es in neun Sprachen.

daStandard.at: Wie alt sind die Frauen, die zu Ihnen kommen?

Van Rahden: Von achtzehn bis über sechzig Jahren.

Kaluza: Wobei die größte Gruppe Frauen um die dreißig sind, also fünfundzwanzig plus.

daStandard.at: Gibt es ein Hauptanliegen, weswegen viele Frauen zu Ihnen kommen?

Van Rahden: Die meisten Frauen kommen zu uns, wenn sie sich erstmalig als Prostituierte angemeldet haben, und dann weitergehende Informationen zum Rechtssystem in Österreich haben möchten. Wie ist das mit der Versicherung, wie ist das mit der Steuer? Was muss ich beachten? Wie ist die Gesetzeslage, damit ich auch ohne Strafen in diesem Bereich arbeiten kann? Eine weitere relativ große Gruppe kommt mit Verwaltungsstrafen nach dem Wiener Prostitutionsgesetz zu uns.

daStandard.at: Wie erfahren die Frauen von Ihrem Angebot?

Van Rahden: In der Regel durch die aufsuchende Arbeit, der größte Zustrom kommt aber durch Mundpropaganda.

daStandard.at: In wie vielen Fällen kann man davon aus gehen, dass es sich bei den Arbeitsverhältnissen der Frauen um Zwangsprostitution handelt?

Kaluza: Hier kurz zur Begriffsklärung: Wir gehen davon aus, dass Prostitution zwischen zwei Erwachsenen unter einer einvernehmlichen Vereinbarung stattfindet. Sobald Zwang dazu kommt, nennen wir es sexualisierte Gewalt, Ausbeutung von Frauen oder Menschenhandel. Das heißt, in diesem Sinn gibt es den Begriff Zwangsprostitution gar nicht, weil er sich widerspricht.

Wir sind aber sehr darauf sensibilisiert, Frauen, die in Abhängigkeits- oder Zwangsverhältnissen arbeiten müssen, als solche zu identifizieren. Das ist sehr schwierig und wir haben keine seriösen Zahlen. Es kommt immer wieder zu Verdachtsvorfällen beim Streetwork. In der Beratungstätigkeit öffnen sich die Frauen erst nach längerer Zeit, nachdem sie Vertrauen zu uns aufgebaut haben.

daStandard.at: Für Asylwerberinnen ist es kaum möglich, in ein reguläres Arbeitsverhältnis einzusteigen. Sich als Neue Selbständige anzumelden und dann den Beruf der Prostituierten auszuüben, ist aber leichter möglich.

Van Rahden: Ja, als eine Möglichkeit. Aber die Liste der Tätigkeiten als Neue Selbständige ist sehr lang.

daStandard.at: Werden neben der Prostitution auch andere Berufe wahrgenommen?

Van Rahden: Uns sind Frauen in anderen Tätigkeitsbereichen bekannt. Die Liste ist auf jeden Fall sehr lang und es gibt eine Reihe von freien Gewerben oder Tätigkeiten, die möglich sind.

Kaluza: Aber die Arbeitsmarktzugangsbeschränkung betrifft nicht nur die AsylwerberInnen, sondern auch noch bis Mai 2011 die ganzen EU-Länder, die 2004 beigetreten sind, also zum Beispiel Polinnen, Tschechinnen, Slowakinnen. Es wird oft transportiert, dass man als Asylwerberin keine andere Möglichkeit hat. Aus der Beratungsarbeit wissen wir jedoch, dass es immer wieder auch Ausnahmefälle gibt. Daher ist uns ein Eingehen auf die individuelle Situation der Frauen so wichtig.

Van Rahden: Wir haben auch schon Frauen begleitet und betreut, die als Neue Selbständige in einem anderen Bereich tätig geworden sind.

daStandard.at: Generell unterstützen sie die Frauen in ihrer Berufswahl, wenn sie diese Arbeit ausüben möchten. Doch hat Prostitution nicht immer etwas mit Gewalt - und sei es psychische Gewalt - zu tun?

Kaluza: In der Beratungsarbeit lerne ich viele selbständige Frauen kennen, die sehr wohl ihren Arbeitsalltag selbst bestimmen, wo niemand dahinter steht.

Van Rahden: Was wir aber sehr kritisch sehen und auch immer wieder thematisieren, ist die Tatsache, dass es mit Sicherheit ein Feld ist, das sich rechtlich in einem Graubereich befindet. Und überall, wo es wenig Rechtssicherheit und sehr unklare Verhältnisse gibt, ist auch Ausbeutung oder Unterdrückung leichter möglich. Deswegen ist es für uns so wichtig, dass als einer der ersten Schritte das Urteil der Sittenwidrigkeit fällt, also der Umstand, dass ein Vertrag zwischen einer Frau und einem Freier als sittenwidrig erklärt wird. Aber auch ich habe viele Frauen kennengelernt, wo ich in keinster Weise das Gefühl hatte, dass da etwas nicht passt.

daStandard.at: Sie veranstalten auch Workshops und Kurse für die Frauen, die Ihre Beratung in Anspruch nehmen. Was gibt es aktuell und was haben Sie ständig im Angebot?

Van Rahden: Im Moment haben wir nichts ständig im Angebot, weil uns dafür die nötigen Geldmittel fehlen. Was wir aber immer wieder machen sind Deutschkurse, die von Ehrenamtlichen geleitet werden. Momentan sind wir dabei, im Gesundheitsbereich Material für Workshops mit dem Schwerpunkt Oralverkehr zusammenzustellen. Denn Geschlechtsverkehr wird zwar häufig safe - also mit Kondom - angeboten, viele Frauen bieten aber Oralverkehr ungeschützt an und sind sich überhaupt nicht bewusst, welche gesundheitlichen Folgen das hat.

Kaluza: Aktuell laufen auch Workshops zum Thema Einkommenssteuererklärung, wo wir über neueste Änderungen informieren. Wichtig ist, dass diese auch muttersprachlich angeboten werden und die Frauen dann eigenständig die Einkommenssteuererklärung ausfüllen und abgeben können. (Jasmin Al-Kattib, 24. Februar 2011, daStandard.at)