Nikolaus Kowall: "Ich bin 28 und nicht darauf angewiesen, dass die jetzige Führungsriege irgendwann über mein Fortkommen entscheidet."

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"Ich will keinem der derzeit agierenden Spitzenfunktionäre meine Arbeitskraft zur Verfügung stellen."

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"Die Allianz mit der Krone ist der SPÖ unwürdig."

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"Es gefällt ihnen, dass sie im Klub der Opernballelite akzeptiert werden. Für stolze Sozialdemokraten müsste es selbstverständlich sein, gar nicht zu diesem Klub gehören zu wollen", sagt Nikolaus Kowall, Vorsitzender der Sektion 8 in Wien-Alsergrund. Im derStandard.at-Interview sprach er über Karrieremöglichkeiten in der SPÖ, die notwendige "Redemokratisierung" seiner Partei und die ökonomische Abhängigkeit vieler Abgeordneter. Die Fragen stellte Katrin Burgstaller.

derStandard.at: Die Sektion 8 wurde 2007 gegründet, als Protest gegen das Kabinett Gusenbauer. Wie beurteilen Sie die Performance Werner Faymanns im Vergleich zu ihm?

Kowall: Wir können in den üblichen medialen Diskurs einsteigen und anhand von Personen die aktuelle SPÖ-Linie analysieren. Aber das ist nicht sehr sinnvoll. Gusenbauer ist genauso wie Faymann ein Produkt einer spezifischen Kultur, die sich herausgebildet hat. Sie schaffen es irgendwann an die Spitze und sind Getriebene aber auch Treiber des Apparates. Sie haben vielleicht gar nicht so viel Handlungsmacht, wie man sich das vorstellt. Bei aller Wut, die man das eine oder andere Mal auf den Parteivorsitzenden hat, muss man sich eingestehen: Wesentlich ist, dass sich Strukturen verändern und es andere Mechanismen sind, durch die man in der SPÖ Erfolg hat.

derStandard.at: Die SPÖ lässt anscheinend auch noch andere Treiber zu, nämlich die Kronen Zeitung.

Kowall: Das ist ein Indiz für die Orientierungslosigkeit und das ausgedünnte Selbstbewusstsein der Sozialdemokratie. Eine stolze SPÖ braucht keine Kronen Zeitung oder andere Einflüsterer. Die würde sich mit nahe stehenden Kräften verbünden und versuchen, ihre Agenda durchzuziehen. Die Allianz mit der Krone ist der SPÖ unwürdig.

derStandard.at: Wann und warum ist der Stolz der SPÖ verloren gegangen?

Kowall: Als es gewisse Kräfte in der Gesellschaft geschafft haben, die Prinzipien des egomanischen Shareholder Value-Kapitalismus zu den wesentlichen Denkmustern der Gesellschaft zu transformieren. Das traditionelle Solidarkonzept der Sozialdemokratie, das auch seine objektiven Schwächen hatte, ist in den 80er Jahren erodiert und zwar in ganz Europa.

derStandard.at: Das ist eine gesamtgesellschaftliche Analyse. Die Frage ist aber auch, welche Rolle die Politiker selbst spielen. Elfriede Hammerl hat sinngemäß einmal gesagt, es komme ihr bei der SPÖ so vor, als würden die einst armen Kinder jetzt mit den Reichen spielen dürfen. Sind die einzelnen Akteure abgehoben?

Kowall: Ich sehe das nicht als Abgehobenheit sondern als mangelndes Selbstbewusstsein. Es gefällt den Spitzenrepräsentanten der SPÖ wenn sie von gewissen Leute aus Medien, aus der Wirtschaft und aus der Wissenschaft einen Schulterklaps bekommen. Es gefällt ihnen, dass sie im Klub der Opernballelite akzeptiert werden. Für stolze Sozialdemokraten müsste es selbstverständlich sein, gar nicht zu diesem Klub gehören zu wollen. Ihre Elite sollten die Leute sein, die sich für andere einsetzen und nicht die großspurigen Bosse der Gesellschaft.

derStandard.at: Die SPÖ hat das vielkritisierte Fremdenrechtspaket durchgewunken. Ist das auch ein Problem des Systems?

Kowall: Nein, das sorgt bei mir schon für Aufregung. Es ist das fünfte Fremdenrechtspaket in 22 Monaten. De facto bauen alle Fremdenrechtspakete auf einer Paranoiapolitik auf. Es gibt eine große Paranoia in Österreich Fremden gegenüber. Man kann diese Paranoia schüren, bekämpfen oder sich dafür fürchten. Die SPÖ hat sich schon vor vielen Jahren dazu entschlossen, sich zu fürchten. Dadurch fehlt eine entscheidende gesellschaftliche Kraft, die dazu in der Lage wäre, die Diskussion zu einer Sachdiskussion zu lenken. Der Hass in der Bevölkerung ist nicht politisch sondern pathologisch. Dieser Hass hat einen ganz kleinen realen Kern und hat eine ganz große Hassblase rund herum. Der Fremdenhass ist die größte zeitgenössische Krankheit der österreichischen Gesellschaft. Die SPÖ müsste erkennen, dass sie selbst auf die Diskurse Einfluss nehmen kann. Die SPÖ muss diese Glaubensblase platzen lassen.

derStandard.at: In Graz wurde das Bettelverbot erlassen, mit allen Stimmen der SPÖ, einzig ein Abgeordneter, nämlich Max Lercher, hat dagegen gestimmt. Lercher hat gemeint, die SPÖ hat dieser Sache zugestimmt, weil die Wähler das so wollen.

Kowall: Die Wählerschaft der SPÖ ist relativ inhomogen. Wahrscheinlich hat die Parteiführung recht, dass der größere Teil, nämlich die traditionelle Wählerschaft, für gewisse Vorurteile empfänglich ist. Sozialdemokratische Kerngruppen müssen auch bedient werden, aber eben nicht mit der Ressentimentpolitik der Rechtspopulisten. Wenn es die SPÖ nicht schafft, die Diskurse in Richtung ihrer Kernthemen zu verschieben wird sie noch mehr Wähler verlieren. Denn sie gehen zum Schmied, nicht zum Schmiedl.

derStandard.at: Lercher hat sich dem Klubzwang widersetzt und nicht mitgestimmt. Er musste sich dann vorwerfen lassen, er habe Voves lediglich als politisches Feigenblatt gedient, um das gute Gewissen in der steirischen SPÖ darzustellen. War das Sitzenbleiben keine so große Sache?

Kowall: Was Max Lercher betrifft: Das war eine große Tat. Es ist von außen schwer einsehbar, dass hier die ganze sozialdemokratische Tradition der Disziplin und der Geschlossenheit mitspielt. Es ist erfreulich, wenn ein junger Mensch da ausbricht, aber es ist auch verständlich, dass er innere Konflikte hatte. Gäbe es in der SPÖ eine demokratische Kultur, in der im Detail ausdiskutiert wird was nachher im Klub beschlossen wird, dann wäre der Klubzwang nicht so dramatisch. Die Wahrheit ist aber, dass der Parteivorsitzende dem Klub vorschreibt, was er zu beschließen hat.

derStandard.at: Oft wird der Jugend mangelndes politisches Interesse vorgeworfen. Wie sehen Sie das?

Kowall: Der Umstand, dass nur ein geringer Teil der Bevölkerung stark politisiert ist, hat negative aber auch positive Seiten. Er ist ein Indiz dafür, dass wir in Frieden leben und dass die politische Organisation nicht eine Frage von Leben und Tod ist. Die Menschen können es sich heute leisten, sich für andere Dinge zu interessieren. Aber ich glaube nicht an die Politikverdrossenheit. Bei gewissen Punkten ist das Interesse größer, in anderen Punkten kleiner.

derStandard.at: Die Sektion 8 will die Parteilogik der SPÖ durchbrechen. Welche Logik? Was soll anders werden?

Kowall: Durchbrochen werden soll die Abhängigkeit der einzelnen Akteure von oben, die zu einer Kommandokultur führt. Das zu durchbrechen ist ein wesentlicher Schritt um überhaupt einmal eine fruchtbare politische Debatte zu ermöglichen. Es gibt Leute die ihre Karriere in der SPÖ wie in einem privaten Unternehmen planen. Es muss für solche Pragmatiker Platz in einer Volkspartei sein, aber sie sollen das Geschehen nicht dominieren, so wie das derzeit der Fall ist. Das Verhältnis zwischen pragmatischen Netzwerkern und ideologischen Überzeugungstätern muss sich zu Gunsten der Zweiteren verschieben. Die SPÖ denkt in kleinen taktischen Punktesiegen, das ist natürlich Unsinn. Die SPÖ wird nur dann als authentisch wahrgenommen, wenn sie langfristig und aus Überzeugung handelt. Voraussetzung für alle Änderungen ist eine Redemokratisierung.

derStandard.at: Wollen Sie keine Hierarchien mehr? Oder Basisdemokratie?

Kowall: Nein, auf keinen Fall. Basisdemokratie ist kein Modell für uns. Sie taugt maximal in Kleingruppen, in komplexeren Organisationen ist sie kein opportunes Instrument. Wir stellen uns eine partizipative Führung vor, in der transparent ist, welche Personengruppen Entscheidungen fällen. Die Gremien in der SPÖ sind sehr aufgeblasen, was man als demokratisch interpretieren könnte. Kurioserweise bedeutet ihre Aufgeblasenheit aber nichts anders, als das sie leichter kontrollierbar sind. Weil nicht mehr klar ist, wer sich absprechen kann.

derStandard.at: Was müssten Sie tun, um unter den vorherrschenden Strukturen nach oben zu kommen?

Kowall: Das ist eine sehr hypothetische Frage, denn dann müssten meine Überzeugungen austauschbar sein. Aber ich würde versuchen, mit meinen KollegInnen den Zickzackkurs der Partei argumentativ zu unterstützen und bei Veranstaltungen den Jubelperser zu machen. Ich würde versuchen junge Leute zusammenzustellen, die ein gutes Kamerabild abgeben. Aber für mich und für die Leute in der Sektion 8 ist klar: Wir wollen es unter unseren Bedingungen schaffen.

derStandard.at: Werden Sie weiterkommen, wenn Sie jetzt so aufmüpfig sind?

Kowall: Ich bin 28 und nicht darauf angewiesen, dass die jetzige Führungsriege irgendwann über mein Fortkommen entscheidet. Das werden zu einer anderen Zeit andere Leute machen. Ich bin da entspannt.

derStandard.at: Gibt es einen SPÖ-Spitzenfunktionär, für den Sie derzeit gerne arbeiten würden?

Kowall: Nein, ich will keinem der derzeit agierenden Spitzenfunktionäre meine Arbeitskraft zur Verfügung stellen.

derStandard.at: Warum engagieren Sie sich für eine Partei, deren Politik Sie nicht für gut erachten?

Kowall: Meine Mitstreiter und ich sind wegen der sozialdemokratischen Idee in der Partei und nicht wegen des aktuellen Zustandes der SPÖ. Wir versuchen, diese sozialdemokratischen Ideale auch wieder in die SPÖ zurückbringen. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 28. Februar 2011)