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"Bösartige Gerüchte von verruchten Sendern" zwangen Muammar al-Gaddafi in der Nacht zum Dienstag zu einem Fernsehauftritt: ein paar hingemurmelte Worte vor abbröckelnder Fassade unter dem Regenschirm.

Foto: Libyan State Television/AP/dapd

Tripolis/Wien - Das Lachen über die Verrücktheiten von Oberst Muammar al-Gaddafi ist einem angesichts der libyschen Opfer längst im Hals steckengeblieben. Sein Auftritt Dienstagnacht, der beweisen sollte, dass er in Tripolis ausharrt, hat jedoch Chancen als die bizarrste Rede eines abtretenden Diktators in die Geschichte einzugehen: Der vor sich hin murmelnde Oberst mit dem Regenschirm im alten Auto vor der bröckelnden Fassade hat Zweiflern in seinem eigenen Land höchstens gezeigt, dass der Mann nicht mehr ganz bei sich ist. Wobei, wer auch immer die Kulisse ausgewählt hat, die Botschaft absetzen wollte, dass sich Libyen auch heute unter einem Angriff von außen befindet, wie 1986 von den USA.

Man darf als sicher annehmen, dass sich auch deshalb so viele seiner Botschafter und Militärs so schnell von Gaddafi absetzten, weil sie es satt haben, sich auf die Skurrilitäten ihres Staatsoberhauptes ansprechen zu lassen. Gaddafi hat - unter heftiger Mitwirkung seiner Söhne - die Würde Libyens verspielt, das wird ihm jetzt zum Verhängnis.

Der 68-Jährige, der seit einem Putsch 1969 Libyen in der Hand hat, dürfte schwer krank sein. Er gilt als drogensüchtig. Zum Beginn seiner Sucht gibt es zwei Versionen, die eine lautet, dass er seit Jahren unter einer schmerzhaften Polyarthritis leidet, die andere, dass ihm die ständigen Schmerzen als Folge eines Attentats im Jahr in den 1990er Jahren zurückgeblieben sind.

Schlechte Verfassung

Besucher in Gaddafis Zelt in Tripolis berichten sehr Unterschiedliches über seinen Zustand: Die Standard-Redakteurin, die im Mai 1999 mit der damaligen Staatssekretärin Benita Ferrero-Waldner bei ihm war, erlebte ihn damals in einer Verfassung, die nicht erwarten ließ, dass er zwölf Jahre später noch unter den Lebenden weilen würde. Zu Beginn des Treffens konnte er kaum sprechen und beschäftigte sich hauptsächlich gedankenverloren mit seinem Fliegenwachel. Vielleicht hatte man ihn ja aber auch nur zu schnell geweckt. Denn im Laufe des Gesprächs (das sich hauptsächlich um den Kosovo drehte) wurde Gaddafi lebhafter.

Dieses einfache Zelt, das Gaddafis Lebensmittelpunkt ist, ist immer wieder für Geschichten gut - als er im Herbst 2009 die Uno in New York besuchte, wurde mehr über die Stellplatzsuche für sein Zelt berichtet als über seine - redundante - Rede. Sein Zeltdasein ist nicht nur in seiner Stammesherkunft angelegt, sondern wohl auch in seiner Krankheit: Gaddafi könne es in einem höheren Stock nicht aushalten, berichtete die US-Botschaft in einer von Wikileaks veröffentlichten Depesche. So wie er auch größte Schwierigkeiten beim Fliegen habe, besonders wenn es über offenes Wasser geht.

Hauptstadt in der Sandhölle

Seine beduinischen Wurzeln bestimmten auch seinen Wunsch nach einer neuen Hauptstadt, Sirte, im Landesinneren, nahe an seinem Geburtsort. Die libyschen Beamten hassten es, die halbwegs mondäne Küstenstadt Tripolis mit der, wie sie es sahen, Sandhölle in der Wüste zu tauschen, auch wenn Gaddafi noch so viele Staatspaläste dort bauen ließ. Die Rolle seines Qadadfa-Stammes wurde aber auch deshalb stärker, weil er immer weniger anderen Gruppen traute. Einzelne Stämme, die er in sein System eingebaut hatte, hatten bereits 1993 gegen ihn revoltiert. Nun sind wieder alte Stammesnamen unter jenen, die ihm die Allianz aufkündigen. Sie wird er auch nicht beruhigen können, wenn er ihnen mehr Autonomie verspricht.

Die Araber der meisten anderen arabischen Staaten verachtete er als Sklaven des Westens. Als er sich von ihnen abwandte, fing er an, die Afrikaner mit seiner Liebe zu verfolgen, 2009 machte er sich sogar zum "König der Könige Afrikas". Je mehr afrikanische Staatsoberhäupter dunkle westliche Anzüge trugen, desto bunter wurde Gaddafis Crossover-Mode, die ebenso zum Markenzeichen wurde wie das Zelt. Der Regenschirm in der Nacht zum Dienstag war jedoch nur mehr traurig. (Gudrun Harrer, STANDARD-Printausgabe, 23.02.2011)