Esther Fritsch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde für Tirol und Vorarlberg beim Holocaust Memorial Day 2011.

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Der Umgang zwischen Juden und Nicht-Juden ist in Tirol entspannter als früher und die jüdische Gemeinde wächst auch ohne Werbung für Zuwanderung seitens der Israelitischen Kultusgemeinde, weiß Esther Fritsch zu berichten. Die Situation der Juden in Europa sieht sie allerdings einem Wandel unterzogen: Einerseits vereinigen sich rechte europäische Parteien im Kampf gegen eine vermeintliche Islamisierung Europas mit Israel, andererseits wird es, ihrer Meinung nach, für orthodoxe Juden in einigen europäischen Städten immer schwieriger mit der dortigen muslimischen Bevölkerung zusammenzuleben.

daStandard.at: Wie viele Mitglieder zählt die Israelitische Kultusgemeinde in Tirol und Vorarlberg?

Fritsch: Es sind ungefähr 140 Mitglieder. Ende der 70er Jahre hatten wir 70 Mitglieder, die noch zum Großteil in Tirol geboren waren. Die Leute waren damals ziemlich betagt, heute ist das Durchschnittsalter sehr viel niedriger, bei ca. 40 bis 50 Jahren, und da sind die vielen Kinder, die schon in Tirol auf die Welt kamen, gar nicht mitgerechnet.

daStandard.at: Weiß man, wie viele Menschen jüdischer Herkunft in Tirol leben?

Fritsch: Das ist schwer zu sagen. Heute interessieren sich viele Menschen für ihre Vorfahren. Wir bekommen fast täglich Anrufe, bei denen sich Leute erkundigen, ob sie jüdische Vorfahren haben, sie informieren sich, ob ihr Name jüdisch ist. Die Juden in Tirol sind heute bunt zusammengewürfelt. Die alten Tiroler Juden sind weitgehend ausgestorben, heute handelt es sich vor allem um Zugezogene aus Wien, München, Berlin, Russland und Israel.

daStandard.at: Mit welchen Herausforderungen hat die jüdische Gemeinde in Tirol am meisten zu kämpfen - Überalterung, Vorurteile, Auswanderung?

Fritsch: Überalterung sicherlich nicht, wir sind wie gesagt jünger als früher. Wir freuen uns natürlich über neue Mitglieder, werben aber nicht um Zuwanderer. Propaganda für eine jüdische Zuwanderung nach Tirol und Vorarlberg zu machen, liegt sicherlich nicht in unserem Bestreben.

daStandard.at: In Wien gibt es eine verhältnismäßig große jüdische Bevölkerung, mehrere Synagogen, eine jüdische Schule, Altersheim, ein jüdisches Museum, koschere Lebensmittelgeschäfte und Restaurants. Existiert in Innsbruck bzw. Tirol überhaupt so etwas wie ein jüdisches Leben außerhalb der Synagoge?

Fritsch: Natürlich! Aber ein wirklich orthodoxes Judentum gibt es nicht und hat es hier auch nie gegeben. Die Juden haben sich hier immer der Umgebung angepasst. Seit Beginn der Diaspora, nach der Zerstörung des Tempels, gibt es ein bekanntes Sprichwort: „Sei Römer, wenn du aus dem Haus gehst, und Jude, wenn du zu Hause bist." Das ist auch heute noch so. Wir leben liberal, sind aber trotzdem keine Reformgemeinde, denn wir begehen die Feiertage nach der orthodoxen Liturgie mit Kantor und Vorbeter und unterstehen dem Oberrabbiner von Österreich.

daStandard.at: Wie würden Sie den Umgang zwischen Juden und Nicht-Juden in Österreich charakterisieren? Ariel Muzicant fragte einmal: "Warum haben so viele Österreicher Hemmungen, das Wort 'Jude‘ auszusprechen?"

Fritsch: In Tirol gab es diese Einstellung früher. Die vergangene Generation hat sich gescheut das Wort „Jude" auszusprechen. Die dachten, es könnte ein Schimpfwort sein. Heute ist das nicht mehr so. Im Alltag ist der Umgang absolut normal. Trotzdem gibt es auch heute noch genug Antisemitismus im Land, vor allem versteckt hinter der Israelkritik.

daStandard.at: Einige rechtsgerichtete Parteien in Europa (Niederlande, Norwegen, Dänemark) solidarisieren sich aber in den letzten Monaten mit Israel und fürchten eine Islamisierung Europas. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Fritsch: Hier muss man differenzieren. Wilders*, der mir als Person nicht sympathisch ist, äußert sich tatsächlich sehr pro-israelisch. In Schweden und Norwegen haben wir dagegen große Probleme, sowohl von ganz rechts wie von ganz links, sie sind dort sehr antisemitisch. Extreme Parteien sind für Juden immer ein Problem.

daStandard.at: Aus den Niederlanden, Schweden oder Frankreich hört man Berichte, dass es immer schwieriger wird für sichtbar orthodoxe Juden in Städten mit einem großen Anteil an muslimischer Bevölkerung zu leben. Hegen Sie solche Bedenken auch für Österreich?

Fritsch: Viele der dort ansässigen Familien reisen mittlerweile nach Israel aus und das ist gut so. Ich würde in so einer Atmosphäre auch nicht leben wollen. Der Staat schützt die Juden dort nicht wirksam genug, es ist daher für sie wahrscheinlich besser, nach Israel zu gehen, obwohl diese Gemeinden dort seit Jahrhunderten bestehen. Natürlich haben wir große Probleme mit dem fundamentalen Islamismus in Europa.

daStandard.at: Gibt es diese Probleme in Österreich?

Fritsch: Am ehesten in Wien, das hat man auch an den Äußerungen und Aktionen von dem Gemeinderat Omar Al-Rawi im Zuge der Kontroversen um die Erstürmung der „Mavi Marmara" gesehen. Da geht's um viele muslimische Wählerstimmen. Wovor ich Angst habe ist, dass sich Rechte, Linke und Muslime gegen die Juden und Israel vereinigen. Es wird die Mär erzählt, dass eine Lösung des Israel-Palästina-Konflikts sofort Frieden auf Erden bringen würde. Aber die arabischen Länder haben vor allem interne Probleme zu lösen. Ägypten zum Beispiel wäre kein armes Land, wenn es nicht von den eigenen Autokraten arm gemacht worden wäre. Dass die Leute gegen diese aufbegehren, ist schon einmal ein guter Anfang.

daStandard.at: Heinz-Christian Strache reiste im Dezember nach Israel und sprach über „die besondere Verantwortung, die wir für dieses blühende Land tragen." Warum interessiert sich Strache Ihrer Meinung nach so plötzlich für Israel?

Fritsch: Das war doch nur ein Gag. Sich plötzlich als „Judenfreund" zu positionieren, ist absurd. Wir wissen doch, was früher in den schlagenden Burschenschaften so vor sich ging. Solange Burschenschaften die Basis der Partei sind, können wir deren Ideen keinesfalls unterstützen. Das Schlimmste war, dass er mit einem Burschenschafter-Deckel Yad Vashem besuchte. Das hat mich persönlich sehr getroffen und stößt mich ab.

daStandard.at: Sie sind persönlich nach Österreich eingewandert. Wie waren hier die Anfänge für Sie?

Fritsch: Ich bin als Studentin nach Wien gekommen, weil ich damals keinen Platz für ein Medizinstudium in Jerusalem erhalten habe und Biologie hätte studieren müssen. Am Anfang war ich in einer israelischen Gruppe eingebettet und hatte zum Beispiel am Seziertisch mehr mit Arabern und Persern als mit Österreichern zu tun. Ich habe dann bald einen Studierplatz in Israel bekommen, bin aber hier geblieben, weil ich meinen künftigen österreichischen Mann kennen gelernt habe. Er ist übrigens Katholik. Seitdem lebe ich in Österreich, abgesehen von einem längeren Studienaufenthalt an der Yale-University.

daStandard.at: Wann ist man Ihrer Meinung nach gut integriert?

Fritsch: Wenn man sich die Sprache und die Kultur aneignet, und das hiesige Recht befolgt. Wenn es einem hier gefällt, wenn man akzeptiert wird und hier bleiben will. Ich habe mich in die Wiener und seit 30 Jahren in die Tirol Kultur eingelebt.