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Najeeb Rajab: "Die Missstände sind natürlich durch die regierende Familie verursacht"

Foto: Archiv

Der bekannte Menschenrechtsaktivist Najeeb Rajab fordert im Gespräch mit Astrid Frefel die Abschaffung der Folter.

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Standard: Womit haben wir es in Bahrain zu tun: Protesten, einem Aufstand oder einer Revolution?

Rajab: Es ist ein Aufstand. Aber die Missstände sind natürlich durch die regierende Familie verursacht. Und wenn die Regierung weiterhin ignoriert, was passiert, könnte daraus eine Revolution werden.

Standard: Sind die Proteste nach dem Muster von Tunesien und Ägypten über das Internet organisiert?

Rajab: Ja, es ist eine Facebook-Revolution, beeinflusst von Tunesien und Ägypten. In Bahrain gibt es so viele ungelöste Probleme, vor allem im Bereich der Menschenrechte - da haben sich die Menschen gesagt, wenn die das können, können wir das auch. Obwohl es hier nicht eigentlich darum geht, das Regime zu stürzen. Solche Parolen hört man jetzt zwar auch, nachdem am Anfang nur die Forderung nach Reformen stand. Das ist vor allem der Brutalität geschuldet. Aber wenn die Regierung ernst macht mit der Abschaffung von Folter und Diskriminierung, Versammlungsfreiheit gewährt und freie und faire Wahlen verspricht, dann werden die Forderungen nach dem Fall des Regimes verstummen.

Standard: Der Kronprinz hat einen Dialog angeboten. Wäre es jetzt an der Zeit, sich an den Tisch zu setzen?

Rajab: Es ist nicht klar, was er unter Dialog versteht. Wir wissen nicht, ob es ihm ernst ist, denn wir haben in den vergangenen Jahren so viele Versprechen gehört - und nichts ist passiert. Erst müsste das Königshaus eingestehen, dass es Probleme gibt, die gelöst werden müssen.

Standard: Wenn die Regierung zu Reformen bereit wäre, könnte sie die ja einfach anordnen?

Rajab: Ja, zum Beispiel könnten sie aufhören systematisch zu foltern oder die Praxis der Einbürgerung von Ausländern nach Konfessionskriterien einstellen, um die Demographie zu ändern.

Standard: Das heißt, die Demonstranten wollen zuerst vertrauensbildende Maßnahmen sehen?

Rajab: Ja, die Regierung sollte eine positive Atmosphäre kreieren. Zum Beispiel die politische Gefangenen freilassen; jene zur Verantwortung ziehen, die für die Toten verantwortlich sind und die Opfer entschädigen. Wir haben einen politischen Gefangenen auf 1000 Einwohner, das ist sehr viel. Aber bevor wir solche Gesten sehen, glauben wir nicht, dass das Dialog-Angebot seriös ist.

Standard: Kann diese Bewegung positiv für die ganze Bevölkerung sein? Im Moment haben viele Sunniten das Gefühl, sie könnten zu den Verlierern gehören.

Rajab: Die Schiiten sind die Mehrheit auf der Straße wie auch in der Bevölkerung, aber es sind auch viele Sunniten unter den Demonstranten. Bei jedem Aufstand gehen die Marginalisierten voran, und die Schiiten sind stärker marginalisiert. Alle Bahrainis werden von der Regierung unterdrückt, aber zusätzlich leiden die Schiiten unter Diskriminierung in jeder Sphäre. Die Menschenrechte, die jetzt auf der Straße gefordert werden, werden allen zu Gute kommen. (Astrid Frefel, STANDARD-Printausgabe, 22.02.2011)