Nach der Lektüre des Beitrages von Werner Zinkl ("Im Zeifel für die Richterin", Standard , 17. 2.) ließe sich oberflächlich resümieren, die Richtervereinigung rudere zurück, die auch heftige Kritik an deren (milde gesagt) überschießenden Reaktion auf Prof. Veltens Darstellung und Bewertung von Vorgängen im so genannten Wiener Neustädter Tierschützerprozess zeitige Früchte. Eine so verständnisvoll nachsichtige Sicht ist allerdings fehl am Platz. In der Sache zeigt sich Zinkl unversöhnlich beharrend, Konzessionen werden ausschließlich gemacht, um angesichts der öffentlichen Reaktion auf die von der Richtervereinigung gemachte "Mitteilung an die Staatsanwaltschaft" (im Volksmund Anzeige genannt) den Schaden zu begrenzen.

Es ist zu unterstellen, dass Zinkl nicht nur das in der Kleinen Zeitung abgedruckte Interview mit Velten kennt, sondern auch deren Bericht im Journal für Strafrecht. In diesem werden, klar von einander getrennt, Vorgänge während eines Hauptverhandlungstages in Wiener Neustadt dargestellt und sodann unter Bezugnahme auf Gesetz, Judikatur und Lehre einer Bewertung unterzogen.

Sollte der von Velten gegebene Bericht über die Ereignisse falsch sein, hätte die Richtervereinigung jedes Recht, die Fehler aufzuzeigen. Genau das geschieht aber nicht. Es ist also davon auszugehen, dass sich, was Velten beschreibt, an diesem einen Verhandlungstag in Wiener Neustadt tatsächlich zutrug. Das Geschehen dann als menschenrechtswidrig, als Verstoß gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens, verbunden mit dem Vorwurfe der Parteilichkeit der Richterin beurteilt zu sehen, darf nicht "Stein des Anstoßes" sein. Falls die Verhandlung so wie von Velten geschildert verlief, wird man der, von Zinkl ablehnend referierten, Bewertung der Vorgänge nicht ernsthaft widersprechen können. Die Sorge der Richtervereinigung sollte dann eher dem Umstand gelten, dass der tätigen Richterin publizitätsträchtig "hohe Professionalität" fehlt.

Zinkl hat mit seinen wiederholten Verweisen Recht, dass auf der Ebene der Kommentierung von Entscheidungen bzw Meinungen von Lehre und Rechtsprechung der Kommunikationsprozess überwiegend friktionslos verläuft. Aber auch hier ließen sich leicht Gegenbeispiele nennen. Zinkl verkennt, dass Veltens Anliegen im konkreten Fall nicht dieser Ebene galt. Gegenstand ihrer Auseinandersetzung waren die Mühen der den Entscheidungen und der Entwicklung von Lehre und Rechtsprechung vorgelagerten Ebene.

Wann immer die Kritik konkreten Erscheinungen des Alltags des Ermittlungs- oder Hauptverfahrens gilt, kommt reflexartig der richterliche Vorwurf, es handle sich um, gelegentlich sogar besonders gewichtige, jedenfalls aber unzulässige Versuche der Einflussnahme auf das Gericht. Die so Reagierenden verkennen, dass das Gericht keine Institution außerhalb der Gesellschaft ist, gesellschaftliche Versuche der Einflussnahme auf das Gericht notwendig und unvermeidbar sind.

Diskutieren kann man darüber, welche Versuche einer Einflussnahme mit dem Wesen des Rechtsstaates in einer demokratischen Gesellschaft unvereinbar sind. Der von Velten gehört jedenfalls nicht dazu. Die Kritik an Velten bestätigt ihre in anderem Zusammenhang getroffene Feststellung: "Kritik, die an der Justiz geübt wird, fällt ganz unabhängig von der Überzeugungskraft des Kritikers einseitig auf diesen zurück."

Abschließend eine Bemerkung, die mir schon einmal verärgerte richterliche Reaktionen einbrachte. Im Durchschnitt sind Richter, wie auch Rechtsanwälte oder Journalisten durchschnittliche Menschen. Die historisch und rechtsstaatlich bedingte Privilegierung des Richters erforderte aber eine überdurchschnittlich kritische Auseinandersetzung mit dem, was er macht. (Wolfgang Moringer, DER STANDARD, Printausgabe, 22.2.2011)