Mit Kopftuch am Pistenrand: Skifahren ist der optimale Sport für konservative Türken, glaubt Eglenceoglu.

Foto: Standard/Markus Bernath

Ein Macher: Mehmet Eglenceoglu mit Skilehrerin Delya vor seinem Geschäft in Kayseri.

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In Kayseri, einer der anatolischen "Tigerstädte", entsteht das größte Skigebiet der Türkei. Angetrieben wird das Projekt von einem, der auf den Hängen des Arlbergs aufwuchs und in die Stadt seiner Familie zurückging.

Kayseri – Kriegerhorn Südhang, das war's eigentlich. Die Buckelpiste gehörte Mehmet, und Mehmet war die Buckelpiste. "Ich wollte gar nicht zurück in die Türkei. Ich konnte ja nicht einmal richtig Türkisch", sagt er. Jetzt dreht der Mann aus Lech am Millionenrad des Wintersportgeschäfts. Seinen Arlberg hat er mitgenommen und ähnlich Ski-Verrückte um sich gesammelt – Delya, Ahmet und die anderen. Einen Begriff für "bergnarrisch" gibt es in der Türkei noch nicht, aber Leute mit diesem Syndrom sehr wohl. Das zweite Leben des Mehmet Eglenceoglu als Ski-König von Kayseri beginnt in der Stadt am Fuß des Erciyes, tief in Anatolien. Denn 3917 Meter sind auch kein Pappenstiel.

Oben auf dem Gipfel des Vulkans treibt der Wind Wolken entlang, unten wird Pflug geübt. "Kar sapani" nennen sie das auf Ski-Türkisch. Ahmet, einer von Mehmets Skilehrern und nebenbei türkischer Nationaltrainer, fährt vor, die Kinder purzeln hinterher. "Böyle gelen!", ruft er, "folgt mir so nach!" Die Türkei ist ein Anfängerland. Zwischen Bergspitze und Liftstation liegt ein bisschen Rot und sehr viel Himmelblau, die Abfahrt mit dem schwarzen Schwierigkeitsgrad wird es erst in der nächsten Saison geben, zusammen mit der ersten Buckelpiste auf der Nordseite des Erciyes. Die gehört dann wieder Mehmet. "Das hier ist eine Goldgrube", sagt der 42-Jährige. So einfach ist das.

Am Erciyes soll das größte Skigebiet der Türkei entstehen, größer als der Uludag am Marmarameer, wohin die Istanbuler fahren, besser als Erzurum, das zu weit im Osten liegt und zu kalt ist. Wenn man morgens um halb acht in Amsterdam in die Maschine steigt, so rechnet Mehmet Eglenceoglu vor (sprich: Ehlendscholu), dann steht man um elf auf der Piste in Kayseri. Vom Flughafen der Millionenstadt bis zum Vulkan sind es keine 30 Minuten. Die Niederländer werden seine Kunden sein und alle, die erst umständlich umsteigen müssen, wenn sie zum Skifahren in die Alpen wollen: die Russen, Araber, Israelis, die Türken natürlich, vielleicht gar die Österreicher. "Warum nicht mal was anderes?"

Olympischer Traum

Neun Kilometer Piste gibt es auf dem Erciyes derzeit, 160 sollen es sein, wenn der Millionenplan Wirklichkeit geworden ist. 34.000 Skifahrer in der Stunde wird der Berg schlucken, 21 Lifte sollen sie nach oben schaukeln. 275 Millionen Euro sind für das Projekt veranschlagt, 350 Millionen mit allem Drumherum, finanziert vom Staat, der Stadt und privaten Investoren wie Eglenceoglu. Hotels werden gebaut, ein Trainingszentrum für die türkische Fußballnationalmannschaft, eine Biathlonstrecke, neue Seen, die das Wasser für die Schneekanonen aus Italien liefern. Und 2022 bekommt Kayseri dann die olympischen Winterspiele. "Wir glauben daran", steht groß auf einer Außenwand von Mehmet Eglenceoglus neuer Skistation – einer Riesenhütte mit Selbstbedienungsrestaurant, Skiverleih und Kaminzimmer für Managersitzungen, wenn es denn sein soll. Eben wie in den österreichischen Alpen.

Mehmet war zwei Jahre alt, als ihn sein Vater mit der Familie aus Kayseri nach Lech am Arlberg holte. Vater Eglenceoglu war Schuhmacher und blieb damals, in den 1960er-Jahren, beim Traditionsunternehmen Strolz in Lech hängen. Auch Mehmet arbeitet dort später und verbringt den Rest seiner Zeit auf der Piste. Er gehört zu den Leuten, die auf den Brettern stehen, wie andere abends an teuren Bartheken lehnen. Maßlos lässig und einen Hauch gelangweilt. Ende der 1980er-Jahre lädt er einen Kleinbus voll mit Skiern und Kleidung und fährt nach Anatolien. Es ist der Beginn seines Unternehmerlebens.

Eglenceoglu ist nicht ein Vorzeigebeispiel für die gelungene Integration von ehemaligen Gastarbeitern. Er ist mehr: ein Macher. Einer, der verkauft und organisiert, der Österreicher und Türken zusammenbringt und arbeiten lässt. Ein Mann mit eigenem Programm – Berg, Ski, schnell. Mittlerweile auch österreichischer Honorarkonsul in Kayseri.

"Bischt geeignet dafür?", fragt er oben, am letzten Doppelmayr-Lift unter dem Gipfel, wo man weit ins Taurische Gebirge sehen kann, und gibt mit seinem Motorschlitten Vollgas, ohne die Antwort abzuwarten, in einem fürchterlichen Satz hinunter zur Talstation, wo Mütter und Großmütter an den Tischen sitzen und ihren Nachwuchs beim Pflugfahren beobachten. Die anderen Türken und das Skifahren also. Als Mehmet zum ersten Mal im Winter nach Kayseri kam, gab es nur einen Lift auf dem Berg – einen Sessellift der Wiener Firma Girak -, und auch der war nur sonntags in Betrieb.

Mehmet machte Werbung, eröffnete ein Wintersportgeschäft in Kayseri – natürlich mit dem Namen "Arlberg" -, fuhr mit seinen Skiern auf dem Stadtplatz hin und her. "Die schauten erst ein bisschen blöd, dann haben sie sich mit mir fotografieren lassen, und dann wollten sie Skifahren lernen."

Köfte zum Après-Ski

Durch seine Schule sind in den vergangenen Jahren alle gegangen: Gouverneure und ihre Ehefrauen, Unternehmer, Regierungsleute wie Wirtschaftsminister Ali Babacan. Und das passt zusammen, Skifahren und Kayseri, die konservativ-muslimische Industriellenstadt? "Das passt hervorragend zusammen!", sagt Eglenceoglu, "es ist die optimale Sportart für sie." Kein Streit um Kopftuch oder Gleichberechtigung, jeder ist mit sich und den Skiern beschäftigt. Zum Après-Ski gibt es eben Köfte und Tee.

Die Piste als Gaudi- und Geldmaschine: Eglenceoglu hat den Wintersport und die Vermarktung in Lech wachsen sehen. Jetzt verschafft er österreichischen Unternehmen Aufträge an den Hängen von Kayseri. "Ich seh' den ganzen Film hier noch einmal. Ich weiß, was in zehn Minuten kommt." Und das amüsiert den Vorarlberger aus Anatolien sehr. (Markus Bernath aus Kayseri, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.2.2011)