Gehen auf neue Vermarktungsmöglichkeiten im Musikbusiness zu: die 1986 gegründete Band Radiohead.

Foto: Westenberg/EMI

Acht Lieder zwischen Pathos und Verzweiflung.

Wien - Es gibt da diesen alten, aus der damaligen Weltwirtschaftskrise geborenen deutschen Schlager von Marika Rökk. Dieser wollte ziemlich genau 75 Jahre vor dem heutigen Jammertal das Geschäft, das keines mehr ist, von der heiteren Seite nehmen: "Ich brauche keine Millionen, / mir fehlt kein Pfennig zum Glück. / Ich brauche nur Musik, Musik, Musik, Musik." Die fetten Jahre sind also vorbei. Musik wird zwar immer mehr. Dafür bezahlt aber wird immer weniger.

Man könnte auch das alte Lied darüber anstimmen, dass daran eine Industrie selbst Schuld trägt, die mit den ab den 1990er-Jahren überzogenen Preisen für das CD-Format ihr eigenes Grab zu schaufeln begann. Mit frühen Internet-Tauschbörsen wie Napster bekam sie 1998 schon einmal den Grabstein spendiert. Mit Ausnahme von modernisierungsresistenten Genres wie Schlager, Volksmusik und Metal liegt sie heute zumindest im Wachkoma.

Das britische Quintett Radiohead um Thom Yorke gilt neben US-Künstlern wie Trent Reznor von Nine Inch Nails als derzeit innovativste Kraft im Popgenre, diesem Dilemma durch neue Vermarktungstechniken entgegenzuwirken. Zum einen beruht der Gang ins Internet und zu neuen Finanzmodellen wie dem wahlweise gratis oder für eine freiwillige Spende erhältlichen Album In Rainbows von 2007 auf der schlichten Tatsache, dass man zuvor mit den im zweistelligen Millionenbereich abgesetzten Alben wie OK Computer (1997) noch dickes Geld auf dem haptischen Sektor erwirtschaftete. Bei kluger Anlage sollten sie auch nach dem Einbruch der Musikindustrie ein sorgenfreies Altern ermöglichen. Zum anderen vermag es der dadurch bedingte Bekanntheitsgrad, im Graubereich der Downloads weiter Gewinne abzuschöpfen.

Die seit dem Wochenende auf der Radiohead-Homepage erhältliche neue Arbeit The King of Limbs möchte wahrscheinlich auch aufgrund der damals doch nicht so hoch wie erwartet ausgefallenen Erträge aus In Rainbows nun dennoch nicht auf Fixpreise verzichten. Für die acht auf The King of Limbs enthaltenen Songs muss man im MP3-Format sieben, beziehungsweise für die bessere WAV-Version elf Euro bezahlen. Mit einer vorbestellbaren, ab Juni erhältlichen Luxusversion, die Vinyl-Platten, CD sowie umfangreiches Artwork und ein nicht näher definiertes "Newspaper" enthält, hofft man allerdings auf eine treue Stammkundenschaft, die bereit ist, bis zu 39 Euro für Radiohead auszugeben. Ganz zu schweigen von jenen treuen Seelen, die ab 8. März das CD-Format kaufen.

Musikalisch lässt Thom Yorke wieder einmal Maschine und Mensch gegeneinander antreten. Die sperrigen, vertrackten und durch reales Schlagzeug aufgewerteten Laptopbeats deuten darauf hin, dass bei Radiohead zuletzt viel hochmoderner, sich aus karibischen Stilen und abstrakter Elektronik speisender Dubstep gehört wurde. Darüber singt Yorke im verweht mehrspurigen Dialog mit sich selbst die sich aus fragmentarischen Arrangements schälenden Melodien zwischen Pathos und Verzweiflung über sparsamen Keyboardakkorden. Gelegentlich geraten Streicher ins Schwelgerische, die Gitarrenzuspielungen senden retrofuturistische Grüße hin zum Krautrock der 1970er-Jahre.

Die kryptischen Texte entwirft Seine Merkwürden einmal mehr zwischen Verlust (You stole it all, give it back), Ennui (I think I've had enough) und der guten alten Entfremdung (I'm a fish now out of water). Radiohead liefern mit altbekannten Mitteln den Soundtrack für sensible Web-User. Wir leben vernetzt. Aber wir bleiben dabei allein. (Christian Schachinger, DER STANDARD - Printausgabe, 22. Februar 2011)