Tunis - Die tunesische Übergangsregierung hat am Freitag eine Amnestie für alle politischen Gefangenen des Landes beschlossen. Ein entsprechendes Dekret mit Gesetzeskraft solle "in den kommenden Tagen" veröffentlicht werden, sagte ein Regierungssprecher nach einer Sitzung des Kabinetts in Tunis. Am Mittwoch hatte der Justizminister des Landes, Lazhar Karoui Chebbi mitgeteilt, dass bereits 3.000 Häftlinge freigelassen worden seien. Er machte aber keine Angaben darüber, ob es sich um politische Gefangene handelte. Nach Angaben eines Anwalts befinden sich derzeit zwischen 300 und 500 politische Gefangene in den Strafanstalten des Landes.

Das Kabinett beschloss zudem ein Sofort-Paket mit Sozialmaßnahmen, wie der Regierungssprecher sagte. Vor einem Monat war Präsident Zine El Abidine Ben Ali nach wochenlangen Protesten aus dem Land geflohen. Die Menschen hatten unter anderem gegen Armut, Arbeitslosigkeit und steigende Lebenshaltungskosten protestiert. Tausende Tunesier flohen in den vergangenen Tagen aus ihrem Land und setzten sich mit Booten auf die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa ab.

"Andere Prioritäten"

Zum Gesundheitszustand Ben Alis sagte der Regierungssprecher, dieser sei in der Kabinettssitzung "nicht einmal zehn Sekunden lang" Thema gewesen. "Sein Schicksal geht die Übergangsregierung nichts an, die andere Prioritäten hat." Am Donnerstag hatte ein Vertrauter Ben Alis gesagt, der gestürzte Staatschef habe einen Schlaganfall erlitten und liege seit Dienstag in einem Krankenhaus im saudiarabischen Jiddah im Koma.

In Tunis attackierten Islamisten am Freitag eine Straße im Rotlichtbezirk und versuchten, Bordelle in Brand zu setzen. Die Angreifer wurden nach Angaben eines Polizisten von Sicherheitskräften auseinandergetrieben, das Militär war demnach mit Hubschraubern vor Ort im Einsatz. Dutzende Islamisten hatten nach dem Freitagsgebet vor dem Innenministerium für die Schließung von Bordellen demonstriert. "Nein zu Prostituierten-Häusern in einem muslimischen Land", riefen sie, bevor sie in die Straße im Rotlichtbezirk marschierten. (APA)