Bild nicht mehr verfügbar.

Alaa al-Aswani im Gespräch mit Mohamed ElBaradei, der zur Frage, wie die Übergangszeit aussehen sollte, mit ihm übereinstimmt. Beide wollen eine neue Verfassung für Ägypten.

Foto: APA/EPA

Er vertraue der Armee - aber nicht dem, was jetzt in Ägypten passiert. Der Autor Alaa al-Aswani drückt im Gespräch mit Gudrun Harrer seine Sorge aus, dass das alte Regime sich noch nicht geschlagen gibt.

*****

STANDARD: Haben Sie Vertrauen in die Armee als Manager des Übergangs in Ägypten?

Aswani: Es geht nicht um Vertrauen. Ja, wir vertrauen der Armee. Aber ich zweifle an den Schritten, die jetzt gesetzt werden. Ich glaube, dass es keine gute Idee ist, die Verfassung zu reformieren. So eine Verfassung sollte mit dem gestürzten Regime verschwinden.

STANDARD: Sie wollen also eine ganz neue Verfassung?

Aswani: Ja, natürlich. Ich habe jetzt gerade lange darüber mit einem der Experten im Verfassungskomitee gesprochen. Atif al-Banna ist ein sehr guter Mann, ich habe volles Vertrauen in ihn, wie auch in den Vorsitzenden Tarik al-Bishry. Aber er hat mich nicht davon überzeugen können, dass sie das Richtige tun. Wir müssen jetzt darüber entscheiden, welchen Staat wir haben wollen - und das sollte doch nicht durch Novellierung einer schrecklichen Verfassung geschehen, die einen Präsidenten auf Lebenszeit vorsieht!

STANDARD: Aber gerade das ist doch leicht zu ändern, oder?

Aswani: Aber sie werden nur drei Punkte ändern, nicht alles, was sie ändern wollen. Alle an der Revolution Beteiligten und viele Verfassungsjuristen sind der gleichen Meinung wie ich: Eine Verfassungsreform ist nicht genug. Wir brauchen eine neue Verfassung.

STANDARD: Allerdings würde das viel länger dauern.

Aswani: Es gibt da zwei Dinge, die ich nicht verstehe. Erstens: Warum hat die Armee solche Eile? Wir machen nicht jeden Monat eine Revolution. Es ist unsere Chance, einen richtigen demokratischen Staat aufzubauen. Mir würde es nichts ausmachen, wenn das zwei Jahre dauert, das ist kein Problem. Wenn Sie schnelle Wahlen machen: Sogar wenn die nicht gefälscht sind, werden sie angesichts der Einschränkungen für Parteien nicht den Willen des Volkes reflektieren. Es wird mindestens ein Jahr dauern, bis die Menschen eine Form gefunden haben, sich politisch auszudrücken und ihre Parteien zu gründen.

Was ich zweitens nicht verstehe und was ich - wie viele andere Ägypter - für sehr gefährlich halte: Die jetzige Regierung gehört politisch zum alten System. Diese Leute können nicht die Reformen überwachen. Viele davon gehören vor Gericht. Gegen sie liegen schwerwiegende - und dokumentierte - Anschuldigungen wegen Korruption vor. Diese Leute werden versuchen, Tatsachen zu vertuschen; wenn gegen sie ermittelt wird, werden sie Dokumente vernichten. Sie werden zurückschlagen. Diese Leute vertreten die politischen Ideen eines Regimes, das die Ägypter gestürzt haben.

STANDARD: Sie klingen sehr besorgt.

Aswani: Ich bin sehr besorgt. Ich traue den Resten des Regimes nicht. Sie werden alles tun, um mit ihren Verbrechen davonzukommen. Es gibt da einige wichtige Punkte: Einer sind die politischen Gefangenen, zehntausende. Sie wurden noch nicht freigelassen. Ein anderer: Ich weiß, dass die Menschen, die bei der Revolution getötet wurden, mehr als 735 waren. Das heißt, der Gesundheitsminister lügt. Und das Sicherheitsbüro im Innenministerium existiert noch immer: Das ist die Abteilung, wo Ägypter gefoltert und sexuell missbraucht wurden - und diese Abteilung arbeitet noch immer, auch wenn man sie nicht sieht.

Ich habe den Eindruck, da ist schon eine Konterrevolution im Gange. Diese Revolution wurde durch Blut erkämpft. Ich habe junge Menschen gesehen, die an meiner Seite erschossen wurden. Wir werden uns die Revolution nicht stehlen lassen. Wir sind bereit, den Preis zu zahlen.

STANDARD: Was für eine Regierung wünschen Sie sich?

Aswani: Es gibt eine existierende Formel für Transitionen: Eine ein- oder zweijährige Übergangszeit sollte unter Supervision der Armee stehen, die die Sicherheit nach innen und nach außen garantiert. Und sie sollte unpolitische Persönlichkeiten einsetzen, die nicht nach politischen Posten streben: eine Technokratenregierung, die in Wahlen führt.

STANDARD: Redet die Armee mit Leuten wie Ihnen?

Aswani: Sie reden mit niemandem, sie haben nur einige junge Leute eingeladen, um die Demonstrationen unter Kontrolle zu bringen.

STANDARD: Im Westen gibt es bei einigen Sorge über die zukünftigen Beziehungen Ägyptens zu Israel.

Aswani: Keine gewählte Regierung wird Israel Probleme machen - nicht wegen der israelischen Interessen, sondern aus Eigeninteresse. Unser Land war degradiert durch eine Diktatur, wir verdienen Besseres. Nach der Revolution wird jede gewählte Regierung im Interesse der Ägypter handeln. Es macht keinen Sinn, mit unseren Nachbarn Ärger anzufangen. Aber die Lektion für Israel und andere westliche Regierungen sollte sein: Wenn man Frieden mit einer Demokratie macht, dann ist der viel stabiler, als wenn er mit einem korrupten Diktator geschlossen wird, der jeden Moment gestürzt werden kann.

STANDARD: Und die westliche Angst vor den Muslimbrüdern?

Aswani: Ein Aspekt dieser Revolution ist, dass wir diesen Akt schließen können. Das war Propaganda, von einem Diktator verbreitet, der seine Diktatur rechtfertigen wollte. Die Revolution wurde von allen gemacht, niemand kann sie für sich beanspruchen.

STANDARD: Werden andere Umstürze in der arabischen Welt folgen?

Aswani: Ich glaube, dass wir soeben das Ende der Diktaturen der Postunabhängigkeits-Ära der arabischen Staaten sehen. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.2.2011)