Johanna Dohnal starb am 20. Februar 2010: Ihr Name gilt bis heute als Synonym für fortschrittliche Frauenpolitik.

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Verheiratete Frauen haben - im Unterschied zu alleinstehenden - trotz geringer Pension keinen Anspruch auf Ausgleichszulage, wenn der Ehemann etwas besser verdient.

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Im Interesse der Kinder sollten Pflichtschulen Ganztagsschulen sein: SchülerInnen und LehrerInnen...

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...verbringen dort den Tag gemeinsam, essen gemeinsam zu Mittag.

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Susanne Feigl, Dr. phil., geb. 1945, ist Journalistin und freie Autorin. Sie war drei Jahre Kolumnistin der "Neuen Kronen Zeitung" und zehn Jahre Chefredakteurin der Wochenzeitung "die frau" . 2002 veröffentlichte sie im Ueberreuter-Verlag die Dohnal-Biografie "Was gehen mich seine Knöpfe an?"

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Johanna Dohnal über die Lebenswirklichkeiten von Frauen:

"Die armen und armutsgefährdeten Personen in Österreich sind mehrheitlich Frauen - Alleinerzieherinnen, ältere Frauen und Migrantinnen. Viele Frauen erhalten nach Jahren der Erwerbslosigkeit oder ungeschützten Erwerbsarbeit nur eine Mindestsicherung, so sie nicht den Rat einer ehemaligen österreichischen Ministerin befolgten und zeitgerecht einen älteren gut verdienenden Mann geheiratet haben, der ihnen nach seinem Ableben eine anständige Witwenpension hinterlässt, die das Auskommen sichert. Die Lebenswirklichkeit sehr vieler Frauen aber ist, wie wir wissen, eine andere. Als junge Frauen mit Kleinkindern und ohne bedarfsgerechte Angebote für Kinderbetreuung erwerben sie nur geringe Pensionsansprüche.

Später betreuen sie Mütter, Väter, Schwiegermütter und Schwiegerväter und schlussendlich noch den Ehemann. Als Großmütter betreuen sie oft auch noch die Enkelkinder. Alles legal und kostengünstig. Über Jahrzehnte hinweg federn sie die Probleme ab, die gesellschaftlich zu lösen verabsäumt wird. Wenn sie dann selbst pflegebedürftig sind, können sie sich mangels Geld weder legal noch illegal Pflegeleistungen kaufen, die ihnen ein Altern in Würde ermöglichen. Und wenn sie Pflegeleistungen finanzieren können, dann sind es wiederum Frauen, jüngere Frauen aus ärmeren Ländern, die diese Dienstleistung am Markt anbieten zu Konditionen, die es diesen Frauen unmöglich machen, für ihr eigenes Alter vorzusorgen."

Wenn sich ein Mann mit 65 Jahren von seiner Ehefrau scheiden lässt und mit einer um vieles jüngeren Frau ein Kind zeugt, so gilt er umgangssprachlich als "toller Hecht" . Wenn eine Frau mit 65 Jahren ein Kind zur Welt bringt, so löst dies weltweit eine Debatte über Ethik und Moral aus. Nicht dass ich künstliche Reproduktionsmethoden befürworte, ganz im Gegenteil, ich persönlich lehne diese sehr gewinnträchtige Industrialisierung der Fortpflanzung ab, und zwar unabhängig vom Alter der Frauen. Aber vom alten Vater als tollem Hecht und von der alten Mutter als egoistischer, verantwortungsloser Person zu reden, zeigt, wie unterschiedlich die Möglichkeiten von Frauen und Männern in dieser Gesellschaft beurteilt werden."

Johanna Dohnal zur Fristenregelung:

"Ich halte es für ein grundlegendes Problem, für einen wirklichen Fehler, dass wir - und da meine ich nicht nur die SozialdemokratInnen, sondern alle, die hinter der Fristenregelung stehen - nicht öffentlich darüber reden, warum es bei der Umsetzung der Fristenregelung noch 35 Jahre nach ihrem Inkrafttreten derartige Probleme gibt. Warum hat die Gebietskrankenkasse nicht längst Ambulatorien, die darauf ausgerichtet sind? Warum gibt es nicht in allen öffentlichen Spitälern in ganz Österreich die Möglichkeit, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen? Sicher, laut Gesetz darf kein Arzt und keine Ärztin dazu gezwungen werden, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Diese Regelung ist okay. Aber gleichzeitig muss es in den öffentlichen Spitälern die Möglichkeit geben, dass Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, und zwar von ÄrztInnen, die entsprechende Erfahrung haben. Das heißt, öffentliche Krankenanstalten müssten Vorsorge treffen und ÄrztInnen anstellen, die bereit sind, auch Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen oder eine Lösung zu treffen wie die Salzburger Landeshauptfrau.

Als im Herbst 2009 das Ambulatorium am Fleischmarkt aus Anlass seines 30-jährigen Bestehens zu einem Empfang ins Wiener Rathaus einlud, forderte Kardinal Christoph Schönborn Wiens Bürgermeister Michael Häupl auf, den Empfang abzusagen. Schwangerschaftsabbrüche seien, so das Argument des Kardinals, kein Grund zum Feiern. Der Empfang fand trotzdem statt. Und das war gut so. Denn die Tatsache, dass es diese Einrichtung, die inzwischen pro:woman Ambulatorium heißt, seit mehr als 30 Jahren gibt, ist sehr wohl ein Grund zu feiern, und es ist anzuerkennen, was die MitarbeiterInnen des Ambulatoriums leisten. Denn wenn es sie nicht gäbe, wären die Frauen in einer äußerst schwierigen Situation. Das Ambulatorium am Fleischmarkt war das erste, in dem Frauen, die sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entschlossen haben, den Abbruch auch durchführen lassen konnten.

Auf Wunsch des Kardinals fand kurz danach zwischen ihm und dem Wiener Bürgermeister ein Gespräch über Begleitmaßnahmen zum Schwangerschaftsabbruch statt. Also dass sich 35 Jahre nach Gesetzwerdung der Fristenregelung zwei Männer mittleren Alters unter Ausschluss von Frauen treffen, um flankierende Maßnahmen zum Schwangerschaftsabbruch zu besprechen, ist schon ein fatales Zeichen! Dazu kommt, dass flankierende Maßnahmen seinerzeit sehr wohl gesetzt wurden. Immerhin gibt es inzwischen mehr als 300 Familienberatungsstellen, die Schwangere kostenlos beraten. Und um zu verhindern, dass sich Frauen aus finanziellen Gründen gezwungen sehen abzutreiben, gab es viele Jahre lang das erhöhte Karenzgeld für Alleinerziehende. Das allerdings wurde nach Jahren wieder abgeschafft, denn es war Konservativen aller Parteien ein Dorn im Auge. Es entsprach nicht ihren Vorstellungen von Familie, denen zufolge eine Frau, die Kinder kriegt, gefälligst heiraten soll.

Kostenlose Verhütungsmittel:

Schwangerschaftsabbrüche wird es immer geben. Denn trotz Pille, Spirale und Kondomen können Pannen passieren. Davor ist niemand gefeit. Aber grundsätzlich stimmt es: Die beste Möglichkeit, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zu verringern, ist eine effiziente Verhütung. Interessanterweise aber sind dieselben Kreise, die gegen die Abtreibung sind, auch gegen eine wirksame Verhütung. Warum? Um den Frauen die Sexualität zu verleiden, ihnen ein schlechtes Gewissen zu machen, Macht auszuüben. Dringend erforderlich wären kostenlose Verhütungsmittel für Jugendliche und sozial Schwache, Kondomautomaten in Schulen. Aber das alles gibt es noch immer nicht. Künstliche Befruchtung hingegen wird von der Krankenkasse bezahlt.

Ich erinnere mich noch sehr gut, als erstmals eine ÖVP-Politikerin Familienministerin wurde. Plötzlich durfte die Broschüre über Empfängnisverhütung, die viele Jahre lang vom Bundeskanzleramt und später vom Familienministerium kostenlos ausgegeben wurde, nicht mehr verteilt werden. Der Broschürentext wurde zensuriert, die Informationen über die Spirale entfernt. Denn die gilt laut katholischer Kirche als Teufelswerk, als Frühabtreibung. Diese Machtspiele gehen herein bis in die Gegenwart. Bis vor kurzem versuchten Bischöfe ja auch, die Pille danach zu verhindern."

Johanna Dohnal über eine 30-Stunden-Woche:

"Sozialpolitische Regelungen sind zwar inzwischen alle geschlechtsneutral formuliert, das ändert aber nichts daran, dass etliche davon einseitig zulasten der Frauen gehen. Ich denke da nicht zuletzt an die Einführung des Kinderbetreuungsgeldes, das über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren ausbezahlt wird. De facto ist das Kinderbetreuungsgeld ein Müttergeld, eine Art Subventionierung voll berufstätiger Männer - denn die Zahl der Väter, die ihre Kinder selbst betreuen, ist minimal. So gesehen sind die Auswirkungen des Kinderbetreuungsgeldes, jedenfalls der Langzeitvariante, höchst unerfreulich. Denn der berufliche Wiedereinstieg gestaltet sich um so schwieriger, je länger die Berufsunterbrechung dauert. Es macht einen Riesenunterschied aus, ob jemand ein Jahr oder drei Jahre zu Hause bleibt.

Ich bin immer noch der Meinung, dass eine Verkürzung der täglichen Arbeitszeit für alle (Sechs-Stunden-Tag, 30-Stunden-Woche), wie dies die Wiener SP-Frauen bereits in den 1970er-Jahren gefordert haben, die Vereinbarkeit von beruflichen und familiären Aufgaben enorm erleichtern und viele der damit verbundenen Probleme lösen würde. Die männerdominierte Gewerkschaft allerdings präferierte stattdessen die Verlängerung von Urlaub und arbeitsfreiem Wochenende. Die Vertreter der Wirtschaft argumentierten mit der Auslastung der Maschinen.

Tatsächlich kam es statt zur Verkürzung der täglichen Arbeitszeit für alle zur Verdoppelung des Anteils teilzeitarbeitender Frauen.

Frauen werden, auch wenn sie erwerbstätig sind oder waren, viel eher als Männer von unserem Sozialversicherungssystem als Teil der Familie, als Angehörige behandelt. Arbeitslose Frauen haben beispielsweise seltener Anspruch auf Notstandshilfe. Denn für die Feststellung, ob eine Notlage vorliegt, wird das Einkommen des Ehepartners herangezogen. Tatsächlich sind von den Personen, deren Antrag auf Notstandshilfe "mangels Notlage" abgelehnt wird, 84 Prozent Frauen.

So bleiben Frauen abhängig

Betroffen sind nicht nur verheiratete Frauen, sondern auch Frauen in einer Lebensgemeinschaft. Obwohl kein Lebensgefährte gegenüber seiner Lebensgefährtin unterhaltspflichtig ist, wird bei der Berechnung der Notstandshilfe sein Einkommen berücksichtigt. Diese Abhängigkeit vom Partnereinkommen ist verrückt! Das gilt umgekehrt selbstverständlich auch für Männer; aber da das Einkommen von Frauen im Durchschnitt deutlich geringer ist, verlieren Männer ihren Anspruch auf Notstandshilfe unvergleichlich seltener.

Ähnliches gilt auch für den Bezug einer Alterspension. Verheiratete Frauen haben - im Unterschied zu alleinstehenden - trotz geringer Pension keinen Anspruch auf Ausgleichszulage, wenn der Ehemann etwas besser verdient. So bleiben Frauen von Männern abhängig.

Aber man muss die Situation, wie sie ist, nicht als gottgegeben hinnehmen. Möglich wäre es, die Forderung nach ei-nem eigenständigen Pensionsanspruch für alle Frauen wiederaufzunehmen."

Johanna Dohnal über den Anachronismus Halbtagsschule:

"Solange das österreichische Schulsystem bleibt, wie es ist, haben gewisse Kinder keine Chance. Sie werden schlichtweg ausgegrenzt. Fachleute sind der einhelligen Meinung, dass es viel zu früh ist, im Alter von neuneinhalb Jahren eine Entscheidung zwischen Hauptschule und Gymnasium zu treffen. Diese Entscheidung erfolgt, wie Studien belegen, auch nicht nach den Fähigkeiten der Kinder, sondern weit eher entsprechend dem sozialen Status ihrer Eltern. Kinder von Akademikern gehen selbstverständlich in die AHS, Kinder aus unteren sozialen Schichten landen nahezu automatisch in der Hauptschule.

Die gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen, egal ob sie nun Gesamtschule oder Neue Mittelschule heißt, wäre längst ein Gebot der Zeit. Und zwar eine Schule aller Zehn- bis Vierzehnjährigen, in der Kinder entsprechend ihren Fähigkeiten gefordert und gefördert werden. Aber immer noch gibt es offenbar Leute, die partout nicht wollen, dass Kinder in diesem Land gleiche (Start-)Chancen haben.

Ebenso empörend ist es in meinen Augen, dass Österreichs Schulen Halbtagsschulen sind. Halbtagsschulen haben zur Folge, dass

  • Mütter bestenfalls Teilzeit arbeiten können (und damit finanziell abhängig bleiben), weil sie ab Mittag zu Hause sein und sich um die Kindern kümmern müssen.
  • das Nachhilfewesen inzwischen ein florierender Wirtschaftszweig ist, mit allen möglichen Privatinstitutionen und -lehrerInnen, die gegen Bezahlung das leisten, was von der Schule zu erwarten wäre.

Taschen bleiben in der Schule

Im Interesse der Kinder sollten Pflichtschulen Ganztagsschulen sein: SchülerInnen und LehrerInnen verbringen dort den Tag gemeinsam, essen gemeinsam zu Mittag. Die Kinder lernen und üben in Anwesenheit der LehrerInnen. Die Schulsachen bleiben in der Schule. Sie brauchen nicht jeden Tag hin- und hergeschleppt zu werden. Während des Tages wechseln Unterrichts-, Lern- und Übungsphasen mit Freizeitphasen, sportlichen und kreativen Tätigkeiten ab. Das kommt bekanntlich der Konzentrationsfähigkeit der Kinder entgegen. Was sich in so vielen Ländern bewährt hat, müsste doch auch in Österreich machbar sein!

Wichtig wäre es, endlich einmal anzufangen und die räumlichen Voraussetzungen zu schaffen, das heißt die Schulbauten entsprechend den Bedürfnissen der Kinder und der LehrerInnen zu adaptieren. Das kostet Geld. Aber Investitionen in das Bildungssystem sind wohl die wichtigsten Investitionen in die Zukunft.

Johanna Dohnal über Doppel- und Mehrfachbelastungen:

"Es ist ein Grundübel unserer Gesellschaft, dass von Frauen verlangt wird, alles Mögliche gleichzeitig zu machen. Durch die Hege und Pflege von allen, die um sie herum kreuchen und fleuchen einschließlich der Haustiere, kommen viele Frauen nämlich kaum dazu, ihre ureigensten Interessen wahrzunehmen. In gewisser Weise trifft dies auch auf Frauenministerinnen zu. Meine Nachfolgerinnen im Bundeskanzleramt sind - im Unterschied zu mir - nicht nur für Frauenangelegenheiten zuständig; ihnen wurde alles mögliche andere aufgehalst: Konsumentenschutz, Gesundheit, Medien, öffentlicher Dienst. So als wäre eine Ministerin, die sich um Frauen und deren Interessen kümmert, nicht ausgelastet. So als müsste man das Ressort aufwerten, attraktiver machen. Letztlich ist dies nichts anderes als der Ausdruck der Minderbewertung von Frauen in unserer Gesellschaft.

Ich denke, Frauenministerinnen sollten darauf bestehen, dass sie sich mit Frauenangelegenheiten beschäftigen können, und zwar ausschließlich. Das ist Arbeit genug!"

Johanna Dohnal über die Zukunft von Mädchen:

"Die SchülerInnen wirtschaftsberuflicher höherer Schulen sind zu mehr als 90 Prozent Mädchen; in den technisch-gewerblichen höheren Schulen hingegen beträgt der Mädchenanteil nur 25Prozent.

In meinen Augen ist es ein Skandal, dass hier nicht ganz gezielt gegengesteuert wird. Denn wir wissen, dass die traditionelle Schul- und Berufswahl einer der Gründe für die horrenden Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern ist. Es wäre notwendig, alle Initiativen, die sich mit Schulwahl, Berufsorientierung, Berufsvorbereitung etc. beschäftigen, zu vernetzen und eine nationale Kampagne zu starten. Die Sensibilisierung für nichttraditionelle Ausbildungswege ist ganz wichtig. Immerhin geht es um die Zukunft der Mädchen!

Um die Einkommensunterschiede zu verringern, braucht es aber auch Maßnahmen auf betrieblicher Ebene. Es wird auch in der Privatwirtschaft zu einer verpflichtenden Frauenförderung kommen müssen, bis hin zu gesetzlichen Quotenregelungen. Meiner Erfahrung nach geht es nicht anders." (Susanne Feigl, DER STANDARD, Printausgabe 19./20.2.2011)