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Brennende Mülltonnen bei Protesten in Teheran.

Foto: AP

Vorerst nur als Solidaritätskundgebung der iranischen Opposition mit dem ägyptischen und tunesischen Volk angekündigt, wandelte sich der 14. Februar zum eigenen "Tag der Wut" im Iran. Tausende Iraner nahmen an den Protesten in Teheran und den Provinzhauptstädten teil - die Demonstrationen wurden von Sicherheitskräften zum Teil brutal verdrängt.

Bild: Ein Flyer der Opposition, der zu Protesten am 14.2. aufrief

Zwei Tote wurden bestätigt, Menschenrechtler sprechen von mehr als tausenden Verhaftungen. Die Opposition rief zu neuen Protesten im Gedenken an die Toten am Sonntag auf. Ein Überblick über die Geschehnisse nach den Protesten.

Die spanische Tageszeitung El Pais berichtete am Montag von der Verhaftung des spanischen Konsuls Ignacio Pérez Cambra während der Proteste in Teheran. Er soll von sechs Sicherheitsbeamten vor der spanischen Botschaft abgeführt und sein Mobiltelefon beschlagnahmt worden sein. Nach vier Stunden wurde er jedoch freigelassen.

Die iranische Regierung habe 48 Stunden Zeit, den Vorfall und die Beweggründe der Verhaftung ausreichend zu erklären und sich zu entschuldigen, zeigte sich der spanische Außenminister Trinidad Jimenez empört. Anderenfalls werde das Außenministerium seinen Botschafter für Konsultationen aus Teheran zurückberufen. Der iranische Außenminister Ali Akbar Salehi reagierte am Donnerstag mit einem Anruf und entschuldigte sich. (derStandard.at berichtete)

Anders als in Ägypten fällt der offizielle Ton zu den Protesten viel mahnender, ja sogar abwertend aus. Ein Bild davon, wie iranische Medien die Geschehnisse des 25. Bahman (das dem 14. Februar entsprechende Datum im iranischen Kalender) präsentieren, kann man sich mit einem Blick auf den Aufmacher der konservativen und als Stimmrohr Ayatollah Khameneis fungierende Zeitung Kayhan machen. Redaktionsleiter Hossein Shariatmadari titelt am 15. Februar mit „ Es existiert kein Zucker ohne Abfall".

Unter anderem spricht er über die Proteste vom 14. Februar als „eine Ansammlung von höchstens 300 bis 400 Menschen", die eine Ausnahme unter den 75 Millionen Einwohnern und somit nur eine die islamische Revolution und das System in Frage stellende Minderheit bildet. „Ein Kilo Zucker enthält sogar mehr Abfall als das", kommentiert er spöttisch. Dieser „Abfall" oder „Mist" lasse sich aber sehr einfach sammeln und entsorgen, heißt es.

Einen Tag nach den Protesten in Teheran und anderen Provinzhauptstädten erhält das erste Opfer durch eine Veröffentlichung durch die Mehr News Agency einen Namen und ein Gesicht. Der 26-jährige Sane Jhaleh wurde während dem Demonstrieren in der iranischen Hauptstadt erschossen; er erlag seinen Verletzungen nachdem der Wagen das Krankenhaus erreicht hatte.

Seit Bekanntgabe seines Namens laufen die Anschuldigungen zur Ermordung auf Hochtouren, und auch die bis jetzt von beiden Seiten gemachten Angaben zu seiner politischen Gesinnung unterscheiden sich maßgeblich. Während die Anhänger der Opposition von einem gezielten Schuss auf den Demonstranten durch die Sicherheitskräfte sprechen, verbreiten die Fars News Agency und die iranische Regierung die Nachricht, dass Jhale den Basij-Milizen angehörte und von den Oppositionellen - genauer von den Volksmudschahedin - ermordet wurde.

Bruder nach Interview verhaftet

Am Mittwoch stellte sich der Bruder des Verstorbenen, Ghane Jhale, dem persischen TV-Sender „Voices of America" für ein Telefoninterview zur Verfügung und berichtete, sein Bruder sei starker Verfechter der grünen Reformbewegung und nie Mitglied der Basij-Organisation gewesen. Am Abend desselben Tages berichteten BBC Persian und der US-finanzierte Radiosender Farda von der Verhaftung Ghane Jhalehs; Grund sei die öffentliche Dementierung der Behauptungen über seinen Bruder.

Die Website des „Committee of Human Rights Reporters" verweist auf Erzählungen von Sane Jhalehs Freunden und Universitätskollegen: „Sane hat Mousavi gewählt und an allen Protesten teilgenommen." Außerdem veröffentlichte eine studentische Vereinigung, bei der Jhaleh ein Mitglied gewesen sein soll, ein Foto von einer Gruppe Studenten (unter ihnen auch Jhaleh) mit dem Regimekritiker und verstorbenen Ayatollah Hossein Ali Montazeri.

Die Website Tehran Bureau veröffentlichte am Donnerstag Abend ein Video, das im Rahmen eines Projektes von Sane Jhaleh zusammen mit seinen Studienkollegen an der Kunstuniversität Tehran gedreht wurde. Der Kurzfilm ist eine Parodie an Pink Floyd und handelt von der Heuchlerei muslimischer Kollegen, die zwar vorgeben strenggläubig zu sein sowie andere zu bekehren versuchen, sich selbst im Versteckten gehen lassen. Das Video ist hier zu sehen.

Die ohnehin schon angespannte Stimmung auf der Beerdigung des bei den Protesten umgekommenen Sane Jhaleh gewann durch Zusammenstöße von Anhängern der Basij-Studentenorganisation und den Kollegen und Freunden des jungen Kunststudenten an noch mehr Brisanz. Beide Gruppen beanspruchten den Verstorbenen für sich und beschuldigten ihr Gegenüber des Mordes. Der Rundfunk der islamischen Republik Iran gibt an, es sei an dem Ausgangspunkt der Trauerprozession, der Kunstuniversität Teheran,  zu Zusammenstößen mit Angehörigen der „Unruhestifter" gekommen.

Auf Facebook und Twitter waren schon früh erste Statusnachrichten und Tweets zu lesen, in denen von brutalem Vorgehen der Sicherheitskräfte beziehungsweise der Basijis die Rede war, etliche Studenten sollen verhaftet worden sein. Die "Nachrichten- und Analyseseite Kaleme" der Opposition informierte noch am selben Tag über die Ereignisse. In einem Artikel heißt es, dass Sane Jhalehs Kollegen und Professoren in einem Hörsaal eingesperrt wurden damit die Trauerfeierlichkeiten allein von der studentischen Basij-Organisation und dem Militär begangen werden.  Die Fars News Agency veröffentlichte Fotos von dem in der iranischen Flagge eingehüllten Sarg des Verstorbenen unter einer Menge von Basij-Studenten. "Die Universität durch das Militär besetzt, der Märtyrer auf den Schultern seiner Mörder", titelt Kaleme.

„Gott, lass mich stehend sterben, denn das sitzend leben in ständiger Erniedrigung habe ich satt." Diese Statusnachricht postete der 22 Jahre junge Mohammad Mokhtari drei Tage bevor er bei den Protesten erschossen wurde. Anders als bei Sane Jhale, waren schon in den ersten Stunden zahlreiche Bilder und Informationen zu dem jungen Studenten verfügbar. Seine Facebook-Freunde hatten diese seinem Profil entnommen und auf den führenden Oppositionellenseiten verbreitet.

Die wohl wichtigste Seite auf Facebook in diesem Zusammenhang heißt „25 Bahman", in Anspielung an das Datum der ersten Proteste. Sie mobilisierte Tausende Iraner und auch Menschen auf der ganzen Welt für den „iranischen Tag der Wut". Nach dem Umkommen der beiden Studenten erhielt sie auch den Zweck zur Hommage an „die neuen Märtyrer der grünen Bewegung". Während sich die grüne Bewegung und die Regierung um Jhale streiten, gab es bei Mokhtari nur wenig Bemühung seitens der Regierung, ihn als „einen von sich auszugeben". Wahrscheinlich auch deshalb, weil sein Facebookprofil ein solches Vorhaben erschwert.

Er postete meistens regimekritische Videos und Statusnachrichten, vor dem 25. Bahman rief er regelmäßig seine Freunde zur Beteiligung auf. Der Blog Tehran Bureau auf der Website Frontline habe eigenen Angaben nach mit der Familie des Verstorbenen gesprochen: Er war ein junger gutaussehender Mann, sportbegeistert und ein großer Fan der persisch-sprachigen, politischen und regierungskritischen Satire-Sendung „Parazit" des Senders „Voices of America". Bevor er das Haus am Montag verließ, postete er: „Happy Valentine's Day". Stunden später wird der Student angeschossen und erliegt seinen Verletzungen am nächsten Tag.

Schon am Tag nach den Protesten standen die Oppositionsführer Mir Hossein Mousavi und Mehdi Karroubi am Pranger. Am frühen Morgen sieht man im iranischen Staatsfernsehen Bilder von einer unruhigen Parlamentssitzung; zu Ende umgeben die Abgeordneten den Rednerpult und rufen „Mousavi, Karroubi müssen hingerichtet werden!" (Video der Parlamentssitzung auf youtube.com). Hingerichtet, weil sie - wie es offiziell seit Tagen heißt - als „Anführer der Unruhestifter" für sowohl die Aufruhr selbst als auch für die zwei Opfer verantwortlich seien.

Beide Politiker stehen unter einer Ausgangssperre, während das Staatsfernsehen mit Nachrichten und Sendungen über den Tod der beiden Studenten Jhaleh und Mokhtari durch Schüsse der Oppositionellen den Hass gegen die früheren Präsidentschaftskandidaten schürt. Der Sohn von Mahdi Karroubi, Hossein Karroubi, berichtete, dass am Mittwoch in seiner Abwesenheit Sicherheitskräfte in sein Haus eingedrungen sein sollen und dort verweilt wären. Die Fars News Agency erklärt weiters, dass Gruppen von Menschen vor den Häusern von Mousavi und Karroubi ihre Abneigung durch Parolen kundtun. Sahamnews.org spricht von Angriffen auf das Haus der Familie Karroubi. In einem offiziellen Brief von Fatemeh Karroubi, der Frau von Mahdi Karroubi, an Parlamentspräsident Ali Larijani, erwähnt sie den seit Donnerstag anhaltenden Hausarrest und kritisiert die Angriffe auf ihr Haus.

Am Donnerstag nimmt Karroubi erstmals Stellung zu dem von der Regierung verbreiteten „Wunsch des Volkes nach Verurteilung der Unruhestifter": „Wenn ihr mutig seid, dann macht einen öffentlichen Prozess", wird der sich wenig eingeschüchtert zeigende Karroubi von seinem Berater Mojtaba Vahedi zitiert. Zwar distanziert sich die iranische Justiz von dem Anliegen zur Hinrichtung und verweist auf eine Verurteilung im Rahmen der Gesetze (Der Standard berichtete), trotzdem bleibt aber die Situation für die Oppositionsführer gefährlich. Auf einer Website der Opposition erklärt die Tochter von Mousavi, dass sie seit Dienstag keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern Mir Hossein Mousavi und Zahra Rahnavard hatte. Man geht aber davon aus, dass bis jetzt keiner der beiden Oppositionsführer verhaftet wurde.

Die Opposition rief auf der Nachrichtenseite der "Bewegung grüner Weg" alle Iraner zur Ehrerweisung für die zwei Opfer der Proteste vom 14. Februar zu neuerlichen Protesten auf. Am 20. Februar (1. Esfand nach iranischem Kalender), sieben Tage nach dem Todestag, sind um drei Uhr nachmittags in Teheran und allen Provinzhauptstädten Versammlungen geplant.

Beim heutigen Freitagsgebet in der iranischen Hauptstadt verschärfte sich der Ton gegenüber Mousavi und Karroubi. Fars News zufolge lobte der Chef des Wächterrats Ayatollah Ahmad Jannati die Freiheitsbewegungen im arabischen Raum und kritisierte die Unterdrückung des Volkswillen im Jemen und Bahrain. Bevor er die ersten Bemerkungen zu den Unruhen im Iran und den Oppositionsführern weiter ausführen kann, wird er von der parolierenden Masse unterbrochen:"Die Unruhestifter müssen hingerichtet werden!"

Janati betont die Zuständigkeit der Justiz für die Garantierung einer Verurteilung von Mousavi und Karroubi. Weiters müsse man den Kontakt zwischen den Oppositionsführern und dem Volk abbrechen: Ihre Bewegungsfreiheit soll beschränkt und ihre Telefon- sowie Internetanschlüsse unterbrochen werden. "Sie müssen in ihren eigenen Häusern eingesperrt sein", heißt es. Abchließend beruhigt er die Masse beim Freitagsgebet, die Kundgebungen zur Feier des 32. Jahrestages der Islamischen Revolution hätten diese Proteste von "einpaar Leuten" in ihrer Symbolkraft weit übertroffen. Im Anschluss fanden Demonstrationen gegen die Opposition statt, zu denen die Regierung aufgerufen hatte. (Näheres hier)