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Spricht sich für eine forcierte internationale Finanzmarkt- Regulierung aus, über Innenpolitik schweigt er: Ex-Premier Gordon Brown

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Gordon Brown: "Was folgt. Wie wir weltweit neues Wachstum schaffen", Verlag Campus, 2011

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Standard: Während ehemalige Weggefährten wie Tony Blair und Peter Mandelson mit Indiskretionen über Ihre Person nicht sparen, ist in Ihrem neuen Buch keine Retourkutsche zu finden. Wie war und ist Ihr Verhältnis zu Ihrem Amtsvorgänger?

Brown: Ich beschäftigte mich mit wirtschaftlichem Wandel und politischen Antworten darauf. Diese Art von Indiskretionen und Intrigen interessieren mich nicht besonders. Ich konzentriere mich darauf, wie das Leben der Menschen verbessert werden kann.

Standard: Wenn Sie schon nichts zu Ihrem Vorgänger sagen wollen, wie steht es mit Ihrem Nachfolger in der Regierung?

Brown: Ich mische mich nicht in die Innenpolitik ein.

Standard: Gilt das auch für Ihren Labour-Nachfolger?

Brown: Ja.

Standard: In dem Fall zur Wirtschaft: Großbritannien zählt zu den Staaten, die nach der Lehman-Pleite in Sachen Bankenrettung am raschesten und vehementesten reagiert haben. War die Panik in London so groß?

Brown: Man muss sich vor Augen halten, dass Großbritannien einen besonders großen Banken- und Finanzanteil an der Wirtschaft hat. Daher waren wir gezwungen, auf die Finanzkrise, wenngleich sie in den USA ausgebrochen ist, entschlossen zu reagieren. Es wurde rasch klar, dass die Banken nicht nur ein Liquiditäts-, sondern ein strukturelles Problem hatten. Sie sind Risiken eingegangen, die sie nicht abdecken konnten. Daher basierte die britische Vorgangsweise und später auch die anderer Staaten auf der Rekapitalisierung der Institute. Um den Kollaps von Royal Bank of Scotland, HBOS und anderen Banken zu verhindern, hat der Staat Mehrheitsanteile erworben.

Standard: Zu der Zeit wurde in den USA heftig um das TARP-Programm gerungen, bei dem die Herauslösung giftiger Wertpapiere durch den Staat dominierte.

Brown: Dort stand die Überlegung dahinter: Lasst uns diese toxischen Papiere loswerden, dann ist das Problem gelöst. Wir waren der Ansicht, dass selbst nach einer derartigen Maßnahme die Banken unterkapitalisiert sind. TARP löste also nicht das fundamentale Problem, das übrigens heute noch besteht: Das sind hohes Risiko und Verschuldung, hohe Boni und Dividenden.

Standard: Konnten Sie bei der Lehman-Pleite nicht eingreifen?

Brown: Es gab Diskussionen über eine gemeinsame Aktion, wobei Barclays ins Spiel gebracht wurde. Letztendlich war Lehman zu groß für Barclays, wenn die USA keine Garantie für die Investmentbank übernehmen.

Standard: Ein echter Zusammenbruch wurde durch die Staatsinterventionen zwar verhindert, doch jetzt kommt wegen der Sparpakete die große Ernüchterung: Wurde ein zu hoher Preis gezahlt?

Brown: Jetzt geht es darum, zu verhindern, dass die Einsparungen das Wachstum abwürgen. Gleichzeitig kann das Wachstums- und das Defizitproblem nicht ohne stabiles Bankensystem gelöst werden. Die Schwierigkeit für ganz Europa ist, diese Probleme im Zusammenhang mit dem niedrigen Wachstum zu bewältigen. Mit Irland, Portugal, Spanien und Griechenland in der Rezession, wird das alles noch viel schwieriger.

Standard: Sie betonen in Ihrem Buch die Notwendigkeit internationaler Finanzmarkt-Regulierung. Aber gerade die City of London drehte während Ihrer Amtszeit ein ganz großes Spekulationsrad. Ein Widerspruch?

Brown: Wenn ein Finanzzentrum wie Großbritannien Maßnahmen setzt, andere - wie die Schweiz, Singapur oder Hongkong - nicht, werden diese Bemühungen ausgehöhlt. Das spricht für einen internationalen, koordinierten Ansatz. Das gleiche gilt bei der Überwachung der Finanzmärkte, die nicht national, sondern grenzüberschreitend aufgestellt werden muss. Transparenz, Eigenkapitalquoten, Frühwarnsysteme - all das funktioniert nur auf internationaler Ebene.

Standard: Im Kampf gegen Steueroasen hat Großbritannien auch eine zweifelhafte Rolle gespielt. Sie haben für Ausnahmen bei der EU-Zinsbesteuerung gesorgt und die Kanalinseln geschützt.

Brown: Für uns war immer die Frage: Was funktioniert? Ich bin der Meinung, dass eine einheitliche EU-Besteuerung der Zinserträge nicht zielführend ist, weil dann Kapital in andere Länder abgezogen wird. Ich bin daher immer für den Austausch von Bankinformationen eingetreten. Wer sich dem nicht fügt, sollte vom Zugang zum internationalen Finanzsystem ausgeschlossen werden.

Standard: Länder wie Österreich, die über ein Bankgeheimnis verfügen, legen sich quer.

Brown: Das Bankgeheimnis ist nicht zu rechtfertigen, wenn es dazu genutzt wird, keine Steuern zu bezahlen. Vertraulichkeit zwischen Bürgern ist wichtig, Steuerhinterziehung ist unakzeptabel.

Standard: Hat die eigene Währung Großbritannien in der Krise geholfen oder geschadet?

Brown: Wenn eine Krise eintritt, kann ein Euroland nur schwer reagieren, weil eine Abwertung der Währung und eine eigene Zinspolitik nicht möglich sind. Großbritannien konnte das. Es hat sich in den letzten zehn Jahren klar gezeigt, dass das einheitliche Zinsniveau für Spanien, Irland, Portugal und Griechenland falsch war. Die Antwort heißt nicht, den Euro abzuschaffen. Die Antwort heißt, andere Flexibilitäten wirken zu lassen. In den USA gibt es eine weit größere Mobilität zwischen den Bundesstaaten als in Europa.

Standard: Die Kehrseite in Großbritannien sind hohe Inflation und schlechte Konjunktur.

Brown: Die Frage ist: Hätte die Euro-Zinsrate auf Großbritannien umgelegt nicht eine Inflationsspirale in Gang gesetzt? Der derzeitige Anstieg der Teuerungsrate ist ja zu einem guten Teil auf die Anhebung der Mehrwertsteuer zurückzuführen und nicht auf übermäßigen Lohndruck.

Standard: Zurück zur internationalen Koordinierung und Regulierung. Die erste Euphorie ist verklungen, derzeit dominiert wieder - siehe Bankensteuern - die nationale Vorgangsweise.

Brown: Die Welt muss wieder zu den Anstrengungen nach Ausbruch der Krise zurückkehren. Ich glaube, eine international akkordierte Bankensteuer ist die beste Vorgangsweise. Ich bin auch optimistisch, dass Herr Sarkozy als neuer Vorsitzender der G-20 die wichtigen Fragen Basel III, Transparenz oder Schattenbanken vorantreiben wird. Die große Gefahr ist, dass die Märkte die Politik vor sich her treiben und ein Land nach dem anderen attackieren.

Standard: Wie haben Sie auf Ebene der G-20 den Wechsel von Bush zu Obama wahrgenommen?

Brown: Präsident Bush wollte Obama kurz vor Ende seine Amtszeit nicht präjudizieren. Ich bin persönlich sehr gut mit Bush zurande gekommen. (Andreas Schnauder, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 18.2.2011)