Der Pub ist zum Bersten voll. Cathryn Skerry steigt auf die Bühne, ihr Tagebuch aus Teenagerzeiten in den zitternden Händen. "April 1999: Ich schäme mich. Ich küsse so schlecht", liest die 28-Jährige. "Mai 1999: Phil fragte mich, ob ich mit ihm ausgehen wolle. Ich sagte nein, weil ich dachte, wenn ich Ja gesagt hätte, hätte er gedacht, dass ich auf ihn stehe." Das Publikum biegt sich vor Lachen. Willkommen bei einer "Cringe Night" - die Abende der Peinlichkeiten sind in der Szene der britischen Hauptstadt der letzte Schrei.

"Ich will wirklich einen Freund haben. Ich will, dass jemand mich sexy, lustig und talentiert findet", liest Emily Lawler aus ihrem Tagebuch von 1999. "Ich hasse meine Familie. Ich will lockiges Haar und glücklich sein. Selbstmord ist die einzige Lösung", schrieb die damals 15-Jährige. Für viele schüchterne Teenager wäre das literarische Outing der Alptraum schlechthin. Doch Organisatorin Ana McLaughlin beschreibt, warum das Konzept so attraktiv ist: "Als Teenager wähnt man sich im Zentrum des Universums und denkt, was auch immer mir passiert, ist wahrscheinlich das Schlimmste, was je einem Menschen passiert ist. Und diese Art von Drama ist einfach wahnsinnig komisch."

Schon mindestens ein Jahrzehnt alt

Da die Tagebücher normalerweise geheim sind, "ist man vollkommen ehrlich", betont McLaughlin - im Gegensatz zu Facebook-Updates oder Blogs, die dazu da sind, von anderen gelesen zu werden. Bei den meisten derer, die ihre Ergüsse öffentlich machen, ist seit den Einträgen mindestens ein Jahrzehnt vergangen. "Deshalb ist es komisch und nicht verletzend", erklärt Skerry, die selbst Therapeutin ist.

Das Publikum kann sich identifizieren, weil die Themen allen bekannt sind: unerwiderte Liebe, die Beziehungen zu Eltern und Freunden, Alkohol, depressive Stimmungen, Obsessionen. Manch ein Vortrag gerät zur bravourösen Show wie bei Claire Rose, einer Kinderbuchautorin mit komödiantischem Talent: "24. März 1998: Ich freue mich echt auf das Konzert der Spice Girls. Noch 25 Tage", schrieb sie als Zehnjährige. "6. April: Das Konzert rückt näher und ich habe noch nicht mal die Hälfte der Klamotten zusammen. 9. April: Noch neun Tage. Das hier ist aufregender als Weihnachten. Ich glaube, ich frage Mama nach einem BH."

Mut antrinken

Rose hat eigenen Angaben zufolge ein paar Gläser Bier gebraucht, bevor sie auf die Bühne gehen konnte. "Man ist zunächst ziemlich verunsichert", räumt sie ein. "Aber dann ist es berauschend. Das Publikum war eine große Hilfe, jeder hat gelacht." Cringe Nights gibt es in den USA seit 2005, in Großbritannien werden sie seit Ende 2009 regelmäßig organisiert.

Meist treten Frauen zwischen 20 und 40 auf die Bühne. "Mädchen führen anscheinend eher Tagebücher als Burschen", sagt McLaughlin. Zudem seien ihre Erinnerungen aufschlussreicher. So könnten sie über fünf Seiten beschreiben, wie ein Bursch sie anschaute und was er dabei anhatte. "In den Tagebüchern der jungen Männer heißt es dagegen: war in der Stadt, hab Sarah gesehen, nicht schlecht."

Einer der Männer, die sich auf die Bühne trauten, war Matt Rose. In seinem Tagebuch erzählt er von einer Reise nach Griechenland als 15-Jähriger: "Ich hab versucht, für Ollie am Flughafen Zigarren zu kaufen, und als sie mich nach meinem Ausweis fragten, sagte ich, ich hole ihn und rannte weg", liest er glucksend vor Lachen. "Am Sonntag kotzte ich dann in die Haupthalle des staatlichen Museums von Griechenland." (APA)