Beobachtet "mit einigem Unwohlsein die Entstehung autokratisch regierter Inseln im Netz": Wolfgang Blau

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Technik beeinflusst journalistische Werte, sagt Alberto Ibargüen, Präsident und CEO der Knight Foundation. Erfolgreiche Unternehmen aus der digitalen Welt können damit umgehen, "die meisten Newsrooms nicht", sagt Ibargüen. Gemeinsam mit dem Non-Profit-Unternehmen Mozilla, das die Entwicklung des Browsers "Firefox" vorantreibt, wurde das "Knight-Mozilla News Technology Fellowship" gestartet. Das Projekt soll die beiden Welten zusammen bringen und Nachrichtenorganisationen mit Open-Source-Lösungen versorgen. Vier Redaktionen, BBC, "Boston Globe", "Guardian" und "Zeit Online" nehmen daran teil. derStandard.at befragte Wolfgang Blau, Chefredakteur von "Zeit Online", warum er "embedded technologists" in die Redaktion holt. Blau setzt auf die "enorme Schaffenskraft" der User und "Geben und Nehmen" im Netz und erhofft sich vor allem Impulse für Community-Funktionen. Die Fragen stellte Sabine Bürger.

derStandard.at: Welche Nachrichten-Anwendungen und Innovationen erwarten Sie von dieser Partnerschaft?

Blau: Wenn wir das jetzt schon genau wüssten, wären es sicherlich keine Innovationen. Was wir uns von der Partnerschaft mit der Mozilla-Foundation, der BBC, dem "Boston Globe" und dem "Guardian" aber erhoffen, sind unter anderem Denkanstöße für die Weiterentwicklung unserer für Tablet-PCs optimierten Website. Die gerade von Apple mitgeteilten Regeln für Verlags-Apps bestärken uns darin, parallel zu unseren Apps auch unsere von Apple unabhängige, tablet-optimierte Site intensiv weiterzuentwickeln. Die Möglichkeiten von HTML5 für journalistische Präsentationen sind ja faszinierend, stecken aber noch in den Kinderschuhen.

Von der Mozilla Foundation, die einen der weltweit führenden Browser vorantreibt, erhoffen wir uns natürlich erstklassige Impulse. Sehr interessiert sind wir auch an der Weiterentwicklung unserer Community-Funktionen und allem, was unter dem Begriff "Social Reading" diskutiert wird. Wer sagt denn zum Beispiel, dass User-Debatten nur unter einem Artikel stattfinden müssen und nicht zum Beispiel auch mitten im Text? Mit Blick auf die täglich wachsende Bedeutung von Facebook interessieren uns auch Möglichkeiten, unseren Usern mehr Kontrolle über ihre Privatsphäre zu verschaffen.

derStandard.at: Was können Zeitungen von Mozilla lernen?

Blau: "Zeit Online" ist keine Zeitung. Was Redaktionen und Verlage aber exemplarisch am Beispiel Mozilla beobachten könnten, ist die enorme Schaffenskraft, die eine Organisation entwickelt, wenn sie das Wissen ihrer User anerkennt und aufgreift und zugleich möglichst viel von ihrem eigenen Wissen mit ihren Usern teilt.

derStandard.at: Einer der 15 Fellows wird in der Entwicklungsredaktion von "Zeit Online" arbeiten. Welche Erwartungen setzen Sie in diesen "embedded technologist"?

Blau: Nachdem das Netz jahrelang als dezentralisierende Kraft besungen wurde, beobachten wir nun mit einigem Unwohlsein die Entstehung autokratisch regierter Inseln im Netz. Diese Inseln oder Monokulturen wie etwa Facebook oder auch Apples App-Environment haben zwar ihren unbestreitbaren Reiz, sie benötigen aber die Balance durch ein leistungsfähiges, freies Internet mit offenen Standards. Wir erwarten also von dem Fellow, dass sie oder er ein Projekt auf Basis offener Standards vorantreibt, von dem nicht nur "Zeit Online" profitiert, sondern auch andere kommerzielle und nicht-kommerzielle journalistische Sites.

derStandard.at: Gibt es zu wenige Programmierer in den traditionellen Medienunternehmen?

Blau: Ja, Programmierer, die journalistisch denken und Journalisten, die zumindest Grundzüge einer Programmiersprache kennen, sind rar und werden
dringend benötigt. Einen guten Einstieg in dieses Thema bietet die Site hackshackers.com.

derStandard.at: Die Ergebnisse dieses Fellowship-Programms sollen nach dem Open-Source-Gedanken auch anderen Medien-Websites zur Verfügung stehen. Keine Angst, der Konkurrenz zuzuarbeiten?

Blau: Nicht wirklich. Das ist ein stetes Geben und Nehmen. Ohne den Open-Source-Gedanken hätte "Zeit Online" zum Beispiel auch kein lizenzfreies Redaktionssystem, keine so gute Plattform für unsere Blogs und keine lizenzfreien Community-Funktionen. Durch Geheimhaltung erzielte technische Vorsprünge halten ohnehin nicht lange. Wichtiger Wettbewerbsvorteil eines Online-Mediums ist das Mindset seiner Mitarbeiter und deren spielerischer Umgang mit journalistisch relevanten Technologien, nicht aber ob sie die Technologie besitzen oder wegsperren können. Dafür dreht sich die Welt viel zu schnell. (derStandard.at/17.2.2011)