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Foto: epa/SOEREN STACHE

Bis auf wenige Einwände waren sich die Finanzminister der Eurogruppe am Montag rasch einig: Der Belgier Peter Praet soll die Österreicherin Gertrude Tumpel-Gugerell im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) ablösen. Für sich genommen eine gute Wahl: Der 62-Jährige ist als Wirtschaftsprofessor und langjähriges Mitglied der belgischen Notenbank mit Spezialgebiet Bankenaufsicht fachlich außerordentlich qualifiziert für diesen Job. Ab Juni wird er als Mitglied ins Direktorium einrücken und die einzige Frau an der EZB-Spitze ersetzen, auf acht Jahre bis Juni 2019 gewählt, praktisch unkündbar – und durch den Maastricht-Vertrag bombenfest gegen jeden politischen Einfluss oder Zuruf von außen abgemauert.

Genau damit beginnt das Problem. Bei einigen in Europas politischer Führung, die die Finanzpolitik nicht nur fachlich, sondern gegenüber den Wählern auch psychologisch vertreten müssen, rauchen jetzt die Köpfe, hört man in Brüssel. Denn so wie die Dinge derzeit stehen, könnte nun bald der Fall eintreten, dass die Führung von Europas gemeinsamem Währungsinstitut fast ganz in die Hände von Bankern aus Italien, Spanien und Portugal fällt.

Und das käme bei den Wählern in traditionellen Hartwährungsländern wie Deutschland vermutlich nicht so gut an in Zeiten, in denen die „Südschiene“ von Griechenland bis Portugal unter immenser Schuldenlast leidet, den Euro belastet und zum Teil nur mit Milliardenkrediten über Wasser gehalten werden kann.

Die drohende Dominanz durch Banker aus dem „Club Med“  ergibt sich fast zwingend aus den strikten Regeln des Maastrichtvertrages für Besetzung und Politik der EZB, aus der Notwendigkeit, dass der EZB-Präsident mit Ende Oktober abtreten und ersetzt werden muss, dass der bis vor einer Woche praktisch fixe deutsche Bundesbankchef Axel Weber aber zurückgezogen hat, und dass es zwischen den Eurostaaten, großen wie kleinen, Nord und Süd, immer um eine sehr, sehr heikle Balance der Interessen ging, wenn es um die Zentralbankspitze ging. Die Festlegung auf den Belgier Praet hat jedenfalls den Spielraum für Manöver, insbesondere für die Euro-Gottseibeiuns Deutschland und Frankreich, empfindlich eingeschränkt.

Und das kommt so:

Das EZB-Direktorium besteht prinzipiell aus sechs Personen: einem Präsidenten (derzeit Jean-Claude Trichet aus Frankreich), dem Vizepräsidenten (Vitor Constantio, Portugiese, bis 2018 gewählt) und vier weiteren Direktoren. Um deren besondere Unabhängigkeit zu unterstreichen, sahen die Väter des Maastricht-Vertrages für sie eine besonders lange Amtszeit von acht Jahren vor. Kein Politiker, keine Regierung sollte diese abkürzen können, oder  einen EZB-Direktor zu irgendetwas zwingen können.

Wenn überhaupt, dann kann ein EZB-Spitzenbanker nur durch einen Entscheid des Europäischen Gerichtshofes seines Amtes enthoben werden. Dazu müsste er vermutlich mehr angestellt haben als silberne Löffel klauen.

Nun wollten sich die einflussreichsten Regierungen seit 1998, als mit der Schaffung der Währungsunion erstmals eine EZB-Spitze gekürt wurde, über die Besetzungspolitik zumindest Frauen und Männer aus ihrer eigenen Bankenwelt nach Frankfurt schicken und so eine Art finanz-kulturellen Einfluss ausüben. Es galt seither die informelle Regel, dass Deutschland und Frankreich als die mit Abstand stärksten Volkswirtschaften immer im Direktorium vertreten sind, ebenso Spanien und Italien. Die übrigen beiden Sitze gingen an kleine Länder, Niederlande (das mit Wim Duisenberg den ersten EZB-Chef stellte) oder eben Österreich mit Tumpel-Gugerell, die aus der Nationalbank kam.

Hätte der Deutsche Axel Weber den Franzosen Trichet abgelöst, hätte Frankreich zwar kurz aussetzen müssen, bis der nächste Direktor ans Amtsende kommt. Aber die Balance zwischen Nord und Süd hätte an der Spitze gepasst, mit einem deutschen Präsidenten und einem portugiesischen Vizepräsidenten. Weber hat dieses Konstrukt nun brutal zum Einsturz gebracht, als er alles hinwarf.

Denn Italien hat seine Chance blitzartig erkannt und den Chef der Banca d’Italia, Mario Draghi, als möglichen Präsidenten nominiert. Ein erfahrener, exzellenter Banker, der den deutschen Wirtschaftsweg bewundert. Und schon werden in einflussreichen Zeitungen wie der Financial Times Kolumnen geschrieben, warum Draghi unbedingt Trichet nachfolgen muss.

Da mit dem Italiener Lorenzo Bini Smaghi und dem Spanier Manuel Gonzales Paramo bereits jetzt zwei weitere Männer aus dem Süden im Direktorium sitzen (bis 1013 bzw. 2014 gewählt) und diesem noch lange angehören werden, wäre die Überdominanz der PIIG-Länder fast perfekt.

Dem EU-Vertrag ist das egal. Er kennt nur qualifizierte Personen, richtet sich nicht nach Nationalität. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel steht daher jetzt etwas blöd da. Wie soll man all die Milliardenzahlungen für den Euro öffentlich rechtfertigen, wenn die Spitze der EZB so stark mit Bankern aus den Notenbanken der Schuldenstaaten besetzt sind? Jemanden frühzeitig aus dem Amt zu drängen geht aber auch nicht: Das verbietet der Vertrag, untergräbt die Glaubwürdigkeit der Unabhängigkeit von EZB-Direktoren.

Merkel musste jetzt erst einmal einen Chef für die deutsche Bundesbank suchen: Sie nominierte ihren Wirtschaftsberater Jens Weidmann. Aber Spitzenbanker, die das Zeug zum Chef von Europas Zentralbank haben und von allen Euro-Staaten akzeptiert werden, die sind nicht so leicht zu finden. Klaus Regling, der den Euro-Rettungsfonds seit Juli 2010 leitet, der als Spitzenbeamter in Berlin und in der EU-Kommission mit dem Euro sehr vertraut ist, wird es gegen Draghi schwer haben: Regling hat noch nie in einer Notenbank gearbeitet.

Bliebe Merkel eigentlich nur zu versuchen, Jürgen Stark, der seit 2006 als Chefvolkswirt im EZB-Direktorium wirkt, ins Rennen zu schicken. Er hat auch noch nie eine Notenbank geleitet, aber er verfügt über viel Euro-Erfahrung. Stark war 1996, als der Euro auf den Weg gebracht wurde, Staatssekretär beim damaligen Finanzminister Theo Waigel. Ob er gegen Draghi Chancen hätte, ist aber eher ungewiss. Ein EZB-Chef muss sich vor seiner Kür auch dem Europäischen Parlament stellen.

Derzeit läuft also alles auf Draghi zu. Durch die Bank wird er als der qualifizierteste Bewerber beschrieben. Luxemburgs Finanzminister Luc Frieden hat bereits erklärt, dass die Regierungschefs so rasch wie möglich eine Entscheidung treffen sollen, spätestens bis Ende März.

Es sei denn, dass doch noch der Finne Erkki Liikanen, der die finnische Notenbank leitet, das Rennen macht. Oder als Außenseiter gar Österreichs Gouverneur Ewald Nowotny? Dann würden mit ihm, dem Belgier Praet und dem Portugiesen Constancio drei Vertreter von kleinen Ländern im Direktorium sitzen. Das wären "harte Zeiten" für die Großen Deutswchland und Frankreich.