Flugdrohnen liefern Einsatzkräften einen raschen Überblick über das Katastrophengebiet. Dabei formieren sich die unbemannten Luftfahrzeuge selbstorganisierend, ähnlich einem Vogelschwarm in der Natur.

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Christian Bettstetter über Selbstorganisation.

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Die Lakeside Labs wurden 2008 als Forschungscluster für Informations- und Kommunikationstechnologien gegründet. In dieser Schnittstelle zwischen der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und Industriepartnern arbeiten derzeit 33 wissenschaftliche Mitarbeiter – gut ein Drittel davon internationale – an aktuell zwölf Forschungsprojekten. Sogenannte "selbstorganisierende vernetzte Systeme" bilden den Forschungsschwerpunkt des Kompetenzzentrums.

STANDARD: Was sind denn selbstorganisierende vernetzte Systeme?

Bettstetter: Motiviert ist unsere Arbeit dadurch, dass Informations- und Kommunikationssysteme immer komplexer werden. Die normale Ingenieursleistung stößt da rasch an ihre Grenzen. Ein Ansatz ist nun, Methoden zu verwenden, die man aus der Natur kennt. Selbstorganisation bedeutet für uns, dass jede einzelne Entität einfache Regeln hat – das ist in etwa so wie bei einem Fischschwarm: Jeder Fisch beobachtet nur seine Nachbarschaft, und dennoch navigiert das Gesamtsystem sehr elegant durchs Meer. Und genau so soll auch ein technisches System komplexe Aufgaben lösen. Wenn ein einzelner Fisch "ausfällt", funktioniert der Schwarm immer noch – das System ist also sehr adaptiv gegenüber Störungen.

STANDARD: Sehen sich die Lakeside Labs auch als selbstorganisierendes, gut vernetztes System?

Bettstetter: Als Forschungscluster bestehen wir natürlich aus mehreren weitgehend autonomen Organisationseinheiten. Es gibt da aber doch einen wesentlichen Unterschied zum selbstorganisierenden System: Bei uns hat jeder Einzelne eine ganz dezidierte Aufgabe – die Forschung wird in der Uni gemacht, das Management in der GmbH und die Entwicklung in der Industrie.

STANDARD: Sind derart auch Ihre Drohnen entstanden, die untereinander kooperieren und aus diesem Grund einen besseren Überblick bei Katastropheneinsätzen ermöglichen?

Bettstetter: Die sind tatsächlich als "bottom-up"-Projekt entstanden. Vier Professoren haben sich zusammengesetzt – zunächst einmal nur Forscher der Uni Klagenfurt ohne Industriepartner -, und die arbeiten nun daran. Bei einer Großeinsatzübung der Feuerwehr hat sich dann gezeigt, wie breit die Anwendungsmöglichkeiten sind: Überall dort, wo ein Hubschrauber nicht reicht oder zu teuer ist, könnte eine ganze Gruppe von Drohnen über das Einsatzgebiet geschickt werden. Das ist sehr hilfreich, wenn Informationen und Bilder schnell benötigt werden – also etwa auch bei einem Unfall auf der Autobahn.

STANDARD: Und diese Drohnen sind so einfach konstruiert, dass sie jeder bedienen kann?

Bettstetter: Genau, denn das Ziel ist ja, dass man nur auf einen Startknopf drückt und die Drohnen dann autonom und koordiniert ein Gebiet abfliegen, um von dort Luftbilder zu senden. Wenn die Batterie aus ist, kommt die Drohne sogar automatisch zurück.

STANDARD: Wo kommt Selbstorganisation noch zum Einsatz?

Bettstetter: Eigentlich überall bei der Vernetzung von eingebetteten Systemen in Alltagsgeräten: So kann etwa das Display oder die Kamera in einer Brille mit dem Navi im Auto vernetzt werden, dieses Navi wiederum mit dem Adressbuch in einem Handy und so weiter. Dafür braucht es nun allerdings Geräte, die sich selbst konfigurieren. Man hat es ja schon nicht gern, wenn einem der Computer abstürzt – aber wenn jetzt das Display in der Brille einfach dunkel wird, ist das wirklich unangenehm. Niemand will da einen Administrator rufen müssen.

STANDARD: Wie weit wird diese Autonomie in Zukunft gehen?

Bettstetter: Bei solchen Servicerobotern spielen der Sicherheitsaspekt und die Privatsphäre schon jetzt eine große Rolle. Da kommt also noch einiges auf uns zu – auch nichttechnischer Natur.

STANDARD: Hat der dezentrale Standort Klagenfurt Nachteile?

Bettstetter: Nur am Anfang: Vor vier Jahren gab es an der Uni Klagenfurt noch kein Studium der Informationstechnik – das heißt, wir bekamen keine Absolventen, die bei uns anfangen konnten, während Wien und Graz aus dem Vollen schöpften. Dieser Nachteil ist aber zum Vorteil geworden: Wir haben stark aus dem europäischen Ausland rekrutiert und jetzt ein internationales Team.

STANDARD: Wirkt sich das auf die Förderstruktur der Projekte aus?

Bettstetter: Nicht wesentlich – wir haben EU-Projekte, aber auch solche, wo Bund und Land eine Teilfinanzierung übernehmen. Ganz neu ist allerdings das "Erasmus-Mundus-Doktoratskolleg", wodurch wir gemeinsam mit vier anderen Unis ein Doktoratsprogramm anbieten können. Es wird über sieben Jahre von der EU finanziert und ist bislang das einzige dieser Art in Österreich.

STANDARD: Ist es da nicht wichtig, auch in der Forschung europäische Kooperationen einzugehen?

Bettstetter: Kooperationen haben wir bereits auf der Forschungsebene in ganz Europa und beim Technologietransfer mit Italien und Slowenien. Aber wir stehen dabei auch ein wenig wie auf einer sich drehenden Scheibe, wo sich Zentripetal- und Zentrifugalkraft die Waage halten müssen: Einerseits sind europäische Projekte wichtig, andererseits sollen nationale Forschungscluster auch zuerst einmal an ihrem Standort etwas Gutes entwickeln können. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.02.2011)