Wien - Bald wird sich weisen, ob unser Empörungspotenzial gleich hoch ist wie das Franzosen, denn ab 16.2. liegt Stéphane Hessels lediglich 20 Seiten umfassende Streitschrift Empört Euch! (Ullstein), die in Frankreich mehr als eine Million Mal verkauft wurde, in deutscher Übersetzung vor.

Es ist vielleicht kein allzu gutes Zeichen für den Stand der Diskussion, dass dieses relativ grob argumentierende Büchlein - in dem ein 93-jähriger Autor daran erinnert, dass die Ziele des französischen Widerstands nicht nur in der Befreiung von den Nazis bestanden, sondern auch soziale und politische Anliegen umfassten - über Frankreich hinaus so großes Aufsehen erregen konnte.

Trotzdem freut man sich, denn wahrscheinlich würde ein Aufruf wie Empört Euch! im deutschen Sprachraum, wo man lieber über Minarette oder Heeresreformen diskutiert, ungehört verhallen. Ob die deutsche Startauflage von 50.000 Exemplaren trotz eines Preises von 4,20 Euro nicht zu hoch ist, wird sich weisen.

Doch könnte der Text, der mehr Aufschrei als kritische Analyse ist, zu Diskussionen Anlass geben. Nicht wegen der Abrechnung mit dem Finanzkapital, der Kritik an Ungerechtigkeit und Umweltverschmutzung oder Hessels Parteinahme für Immigranten, sondern wegen seiner kritischen Aussagen zur israelischen Siedlungspolitik.

Stéphane Hessel, der gegen die Nazis kämpfte, ins KZ deportiert wurde und später eine Diplomatenlaufbahn einschlug, ist eine schillernde Figur, die geschult an Sartre und Walter Benjamin zu Entschlossenheit und (gewaltlosem) Widerstand aufruft. Lauwarm ist das nicht.

Die Schlimmsten, so Hessel, seien die Gleichgültigen, denen eines der "absolut konstitutiven Merkmale des Menschen abhanden gekommen sind: die Fähigkeit zur Empörung und damit zum Engagement". (steg, DER STANDARD - Printausgabe, 16. Februar 2011)