"Straßenfeger" in Aktion: Country-Hero Johnny Cash (li) im Duett nit Show-Gigant Peter Alexander bei dessen Eurovisions-Show im Mai 1992.

Foto: Screenshot/Youtube

Den Nachrufern nachgerufene Reflexionen zu einem legendären TV-Duett und dem Umgang der Unterhaltungsindustrie mit allem, was nicht "Gute Laune"-kompatibel ist.

Jung san ma, fesch san ma – Nein, das ist nicht die Überschrift eines Nachrufes auf Peter Alexander in einer chinesischen Tageszeitung, sondern, wie wir alle wissen, der Titel eines Liedes, das der Verstorbene zu Lebzeiten gerne und oft intonierte. Ein Lied, das in Fachkreisen seit jeher ex aequo mit den ähnlich signifikanten "Glücklich ist wer vergisst" und "Schifoan" ("Chi-Foan" auf chinesisch) als die heimliche, jedoch eigentliche, österreichische Bundeshymne gilt.

Für meine, nun folgenden, Überlegungen ist jedoch entscheidend, dass dieses krypto-chinesische Lied im Jahre 1992 von Peter Alexander im Duett mit Johnny Cash im Rahmen der Peter Alexander-Show dargebracht wurde. Ein "Straßenfeger", wie die Zeitungen nicht müde werden zu schreiben. Quoten: 70 % .

Ich habe mir dieses epochale Duett heute Morgen auf Youtube angesehen und dabei kamen mir folgende, vielleicht etwas wirre und demnach folgerichtig auch ungeordnete Gedanken zur Unterhaltungs-Industrie im besonderen, zu Leben und Sterben im Allgemeinen, in den Sinn.

Verletzlichkeit

Johnny Cash, ein Gigant, von meiner Wenigkeit sowohl für sein Früh- wie auch für sein Spätwerk gleichermaßen hoch verehrt und geschätzt, steht neben Peter Alexander auf der Bühne und noch dazu im gleichen Smoking. Wir wissen, Johnny Cash hatte bessere und schlechtere Phasen in seinem Leben und in seiner Karriere. Dieser TV-Auftritt gehört wohl eher zu letzteren.

Was ihn jedoch zeitlebens auszeichnete war eine Art von Verletzlichkeit, die ihn als Mensch authentisch machte, und die in seiner Kunst einen überzeugenden, manchmal geradezu überwältigenden Ausdruck fand.

Peter Alexander (zu Johnny Cash): "Oh Johnny, du bist ja a Weana!" Das Publikum freut sich. Im Hintergründ tänzelt ein Fiaker-Ross tatsächlich im Takt dazu. Oder hatte es nur aus lauter Lampenfieber nervöse Zuckungen?

Wir wissen, auch Peter Alexander hatte bessere und schlechtere Phasen in seinem Leben, Letzteres vor allem zuletzt. Wir wissen aber auch, dass dies niemals Ausdruck in dem Medium fand, in dem sich Peter Alexander als Entertainer zeitlebens "wie ein Fisch im Wasser" bewegte, mühe- ja schwerelos. Anscheinend.

Für seine Verletzlichkeit, die ihn als Mensch authentisch machte, war und ist in dem Genre der "Unterhaltungs-Industrie" kein authentischer künstlerischer Ausdruck vorgesehen. Nach der Show im privaten Kreis schon, aber nicht auf der Bühne.

Thomas Gottschalk begründete seinen Rücktritt von "Wetten dass" unlängst damit, dass seit dem Unfall eines Kandidaten, der zu bleibenden Schäden führte, "ein schwarzer Schatten über seiner Show laste". Michelle Hunziker macht weiter. Nix da mit Verletzlichkeit. Hun-Zi-Ker, schon wieder, Chinesen-Herz kennt keinen Schmerz.

Johnny Cash, dessen Biografie einer Achterbahn gleicht mit ihren atemberaubenden Abfolgen von Höhen und Tiefen, fand gerade am Ende seines Lebens einen besonders berührenden musikalischen Ausdruck dafür. Gemeinsam mit dem, um zwei Generationen jüngeren Produzenten Rick Rubin zog er sich in eine Thoreau'sche Holzhütte im Wald seines Anwesens zurück und produzierte die Album-Serie "American Recordings", interpretiert mit nackter, brüchiger Stimme, die an die entsprechende Zerbrechlichkeit unserer menschlichen Existenz gemahnt. Nix da mit Entertainment und dennoch Entertainment!?

Als die "schwarzen Schatten" über Peter Alexanders Leben aufzogen, verstummte er als Entertainer und als Mensch. Ich wusste gar nicht, dass er noch lebt, insofern hat mich sein Tod doch etwas überrascht.

Ich muss mich nicht noch zusätzlich jenen Nachrufen anschließen, die Peter Alexander als Apoll der Zerstreuungsindustrie ansehen, als Inkarnation der Nachkriegs- und Wiederaufbaugeneration. Das mag schon stimmen, aber warum musste ständig gar so viel gute Laune sein? Geradezu penetrant viel und penetrant gut. Und vor allem, warum so lange über die Epoche des Wieder-Aufbaus hinaus bis lange nach 68? Vielleicht war aber dieses "Jung San Ma, fesch San Ma" auch ein subversiver Kommentar zu den Jugendrevolten der 60er-Jahre? Vielleicht haben wir den raffiniertesten Protest-Song aller Zeiten schlicht verkannt? You never know!

Entertainment?

Johnny Cash sang zu der Zeit live im Gefängnis Folsom Prison:

"When I was just a baby my mama told me. Son,

Always be a good boy, don't ever play with guns.

But I shot a man in Reno just to watch him die

When I hear that whistle blowing, I hang my head and cry ...

Entertainment!?

Thomas Gottschalks "Schwarze Schatten" betreffen seine eigene Betroffenheit über den Unfall eines Anderen. Peter Alexanders Schweigen betraf ihn selbst (und es wird auch im Gegensatz zu Marcel Duchamps Schweigen unterbewertet), aber es betrifft auch eine gesamte Branche, die keinen adäquaten Ausdruck findet für etwas, was nicht "Gute Laune – kompatibel" ist.

Dieses Schweigen spricht Bände. Und es entspricht dem Kodex des "Entertainers" (selbstverständlich geschlechtsneutral), der auch auf die Bühne geht, wenn ein naher Angehöriger kurz davor verstorben ist. The Show must go on. Was nur keinem Entertainer bisher gelungen ist: leibhaftig auf der Bühne zu erscheinen, nachdem er verstorben ist. Michael Jackson war knapp dran.

Peter Alexander, mögen Sie in Frieden ruhen. Vielleicht begegnen Sie im Jenseits wieder Ihrem Sangesfreund Johnny Cash, grüßen Sie ihn von mir und singen Sie doch wieder im Duett, aber tauschen sie doch einmal die Rollen, nicht den Smoking, denn der ist identisch. Lassen Sie doch einmal – pardon – die "Sau raus" und lassen sie uns Österreicher davon wissen. Es hätte eine kathartische Wirkung, davon bin ich zutiefst überzeugt. (Klaus Karlbauer, DER STANDARD – Printausgabe, 15. Februar 2011)