Ein juchzender Leib tanzt unter dem Triumphbogen.

 

Foto: Lisson Gallery

Kinder und Erwachsene spielen gleichermaßen begeistert mit Kunstwerken. Unruhig flackern die Augen des Aufsichtpersonals, Stimmengewirr beherrscht die Stimmung im Münchener Haus der Kunst. Der Samstagnachmittag nach der Eröffnung der Ausstellung Move - Kunst und Tanz seit den 60ern. Ein junger Mann mit großer Namensplakette auf dem Sweatshirt bringt einer Bande von zehn äußerst gut aufgelegten Achtjährigen das Kunsterlebnis nahe. Nach zwei Stunden hat diese Arbeit bereits eine zarte Blässe in sein Antlitz gezaubert.

Die Stimmung der Besucher hebt sich bereits im Eingangssaal angesichts eines meterhohen Triumphbogens mit goldgelb angepinselten Stuckapplikationen. Vor allem dann, wenn diese Karikatur über gebaute Propaganda, Magnificent Triumphal Arch in Pompeian Colours (Pablo Bronstein, 2010), von einer jungen Frau in höfisch-barocker Manier umtanzt wird, die mit juchzender Simme ausruft: "Oh, was für ein wundervoller Bogen! Was für eine herausragende architektonische Leistung, welch geschmackvolle Komposition aus Kunst und Dekor!" Da hat man bereits einen der von der Choreografin La Ribot zur Verfügung gestellten Klappsessel, die mit Weisheiten zur Kunst ironisch beschrieben sind, ergattert und sich hingesetzt, um dieses Möbel dann in die weitere Ausstellung hineinzutragen, irgendwo stehen zu lassen und bei Bedarf einen anderen stehen gelassenen Sessel zu nutzen.

Ein Abenteuer beginnt. Für Männer etwa, deren Stolz eine gewisse Leibeswölbung ist, stellt die Passage durch Bruce Naumans Green Light Corridor (1970) eine körperliche Herausforderung dar. Und ohne Fitnessstudiopraxis ist die Installation The Fact of Matter (2009) des Choreografen William Forsythe nicht zu bewältigen: Gut zehn Meter lang über von der Decke hängende Turnsaalringe zu bewältigen, das schaffen Jugendliche, Sportler und Tänzer. Der Rest sieht nachdenklich zu, wie diese ihr Geschick beweisen.

Leichter schon ist es, sich mit den drei freundlichen, neugierigen und redegewandten Tänzerinnen zu unterhalten, die Xavier Le Roys und Mårten Spångbergs Arbeit Production (2010) verkörpern. Das Gespräch ist Teil dieser Choreografie. Wenn die Künstlerinnen keine Ansprechpartner haben, dann beschäftigen sie sich mit der Rekonstruktion von Tanzstücken. Oder sie toben sich in Gorillakostümen in Mike Kelleys Installation Test Room Containing Multiple Stimuli Known to Elicit Curiosity and Manipulatory Responses (1999/2010) aus.

Wer kann sich im Weiteren zurückhalten, auf einer Skulptur von Robert Morris zu balancieren, in Simone Fortis Hangers, drei von der Decke hängenden Seilschlaufen, zu schwingen oder sich in Lygia Clarks Gumminetz zu verheddern? Oder eines von Franz Wests Passstücken tanzen zu lassen?

Aufblasbare Birne

An diesem Samstagnachmittag scheinen alle Hemmungen gegenüber der heiligen, weil ja so wahnsinnig kostbaren Objekthaftigkeit von Kunst zu fallen: In einer großen aufblasbaren Birne aus durchsichtigem Plastik - Teil einer Installation von Lygia Clark -, in der sich eigentlich nur maximal eine Person den Gefühlen leichten Überdrucks hingeben sollte, sitzen auf einmal sieben Kinder und zwei Erwachsene. Die Betreuerin dieses Werks kämpft gestikulierend und in beschwörenden Worten mit ihrer Contenance.

Das Ganze ist alles andere als harmlos: Die Einführung zweier Prinzipien, jenes der Performance und das der Partizipation, verändert den kontemplativen Charakter, den Kunstschauen üblicherweise an sich haben, radikal. Der ernste Diskursort wird zum Spielplatz, also zu einem Ort der Entdeckung, der Übung, der Erfahrung, der Kritik und des Vergnügens. Damit findet einerseits ein Aufstand gegen das ewige, kindisch sakrale Abfeiern von Kunstkapitalien statt, aber auch eine veränderte Auseinandersetzung mit Kunst durch körperliches Handeln. Wer dann aber doch ein wenig Ruhe haben will, begibt sich in Boris Charmatz' Installation héâtre-élévision (2002) und gibt sich dort einer Videoperformance hin, allein und von leichtem Schauern bewegt.

Kuratorin Julienne Lorz ist es gelungen, die von Stephanie Rosenthal für die Londoner Hayward Gallery überaus durchdacht angelegte, reichhaltige und vielfältige Ausstellung großzügig für ihre Räume zu adaptieren. (Helmut Ploebst, DER STANDARD - Printausgabe, 15. Februar 2011)