Foto: Markus Bey
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Es war wieder eine politisch aufregende Woche in der Türkei, in einem der zahlreichen Verleumdungsprozesse, die Ministerpräsident Tayyip Erdogan anstrengt, ist die Anklage verlesen worden, seine Regierung peitschte den Großteil eines Mega-Gesetzespakets im Parlament durch und dann hat noch der ägyptische Staatspräsident nach 30 Jahren hingeworfen, ganz so wie sich Ankara das gewünscht hat. Aber hübsch der Reihe nach.

Das Satiremagazin „Uykusuz" („Schlaflos") beschäftigt sich mit dem Schicksal des Studenten Bariş Ünver oder vielmehr der armen Regierungsbeamten, die sich nun täglich in den Orkus des Internet begeben und Online-Kommentare auf ihre politische Gefährlichkeit hin studieren müssen. Der 22-jährige Ünver hat auf seiner Blogseite http://beyn.org einen solchen Eintrag verfasst, bei welchem dem Herrn Regierungschef das Geimpfte aufging: „Öcalans Seelenverwandter" hieß der Titel, der sich auf Erdogan bezog und in der Tat einigermaßen mutig war. Anlass für den Kommentar war eine ähnliche Äußerung Erdogans während der Kampagne vor dem Verfassungsreferendum im September 2010.

Der türkische Premier warf damals den Oppositionsparteien CHP und MHP vor, sie würden mit ihrem Nein zur Verfassungsänderung beweisen, dass sie „Seelenverwandte" der Terrororganisation wären - sprich: der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK. Wenn dem so sei, folgerte Bariş Ünver, der bloggende Student, dann muss Erdogan ein Seelenverwandter des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan sein. Denn Öcalan hatte die Kurden schließlich zu einer wohlwollenden Prüfung der vorgeschlagenen Verfassungsänderung aufgerufen. Kleiner Unterschied, wie die liberale Tageszeitung Radikal feststellte: „Es ist ok, wenn der Regierungschef so etwas sagt, aber ein Verbrechen, wenn Bariş es tut."

Auf der Titelseite von „Uykusuz" sieht man nun einen Beamten, der mit Ordnern ins Büro kommt und seinem Kollegen ankündigt: „Sternzeichen Jungfrau, Widerborstiger Kater, Crazy Orange - die Namen der Kommentarschreiber auf den Blogs sind gekommen." Der geplagte Kollege antwortet: „Lass uns aufhören, die Blogs der jungen Leute zu lesen, meine Nerven machen nicht mehr mit", findet aber wenig Mitleid: „Schau nach, was du findest."
Der Staatsanwalt hat vergangenen Montag für Bariş zwei Jahre Gefängnis und den Entzug der Bürgerrechte verlangt.

„Penguen" nimmt in ziemlich gemeiner Weise die tödlichen Explosionen in zwei Fabriken in Ankara zum Anlass, um die Fahrlässigkeit von Unternehmern und Staat und den zeitgleichen Einsatz der Polizei gegen demonstrierende Arbeiter und Gewerkschafter zu kritisieren: „Gut, dass wir nicht zur Demonstration gegangen sind. Die Polizei hat Tränengasbomben geworfen..." - „Kumpel, komm und setz dich ein bisschen."

Bei den Explosionen von offenbar 30 Jahre alten Sauerstofftanks in zwei verschiedenen Fabriken starben am 3. Februar insgesamt 20 Arbeiter. Die Demonstrationen wiederum richteten sich gegen ein wüstes Paket von 278 Gesetzesänderungen unterschiedlichster Natur, die in zwei Durchgängen und ohne Debatten im Einzelnen durch das Parlament gepeitscht werden. Kein Mensch habe die 768 Seiten der „torba" - des „Sacks", wie das Gesetzespaket wegen seines Allerlei genannt wird - wirklich gelesen, kritisierten Kommentatoren wie Altan Öymen in „Radikal". Das Satiremagazin „Leman" zeigt eine zeitgenössische ägyptische Adaptation der „torba"-Demonstrationen in Ankara: Erdogan sprengt auf einem Kamel über den Platz und peitscht die Demonstranten auseinander wie die regime-treuen Mubarak-Anhänger es auf dem Tahrir-Platz getan hatten.