Fußballspielen bei 45 Grad im Schatten? Die WM 2022 im Wüstenemirat Katar stellt die Architektur auf die Probe.

Wenn im Sommer 2022 der Anpfiff zu den Fußball-Weltmeisterschaften ertönen wird, werden nicht nur die Bälle rollen, sondern auch die Schweißperlen auf der Stirn. Die Lufttemperatur wird 40 bis 45 Grad Celsius betragen. Vielleicht sogar mehr. Und zwar nicht nur untertags, sondern bis spät in die Abendstunden hinein, denn der Wüstensand wird glühend heiß sein und in der Nacht erst langsam wieder abkühlen, um am nächsten Tag, kaum dass er kalt geworden ist, neuerlich bei Backrohrtemperaturen zu garen.

 

 

(Abb.: Das Al-Gharafa-Stadion von Albert Speer & Partner) 

HHVISION

Katar. Sommer für Sommer eine meteorologische Hölle auf Zeit. Doch geht es nach der Fifa und dem deutschen Architekturbüro Albert Speer & Partner (AS&P), das für die Masterplanung der gesamten WM 2022 zuständig ist, werden Fußballspieler und Zuschauer von dieser Hitze kaum etwas mitbekommen. Eine entsprechende architektonische Planung und ein ausgetüfteltes Kühlsystem wie aus einem kryonischen Alchimie-Kasten sollen dafür sorgen, dass die Innentemperatur in den Stadien angenehm kühl bleibt.

 

 

(Abb.: Al-Gharafa-Stadion)

HHVISION

"Eine Fußball-WM in einem derart heißen Klima wie Katar abzuhalten ist für alle Beteiligten natürlich eine große Herausforderung", meint Axel Bienhaus, Geschäftsführer bei AS&P. "Doch wir sind am richtigen Weg." Insgesamt müssen in den kommenden Jahren zwölf Stadien errichtet beziehungsweise adaptiert und aufgerüstet werden. Neben Norman Foster, der für das sogenannte Lusail Iconic Stadium verantwortlich zeichnet, liefert AS&P Entwürfe für fünf weitere Standorte.

 

 

(Abb.: Al-Gharafa-Stadion)

HHVISION

Die Planung für all diese Mammutprojekte ist bereits im Bieterbuch enthalten. "Mit sieben Kilogramm Gewicht ist das Bid Book, das wir der Fifa präsentiert haben, umfangreicher als alles Bisherige", sagt Bienhaus. "Wir haben darin nicht nur die Möglichkeiten und Schwierigkeiten skizziert, sondern haben bereits exakte Detailpläne ausgearbeitet, von der Stadtplanung über die öffentliche Verkehrserschließung bis hin zu möglichen Nachnutzungsszenarien."

 

 

(Abb.: Al-Khor-Stadion)

HHVISION

Kalte Luft durch Sonnenlicht

Das Hauptaugenmerk im Bieterbuch für Katar lag jedoch auf neuen Technologien, auf den vielen Tricks und Überlegungen, die dafür sorgen sollen, das extreme Klima des Wüstenemirats in den Griff zu kriegen. Die Zauberformel lautet solare Kühlung. "Katar hat nicht nur ein Überangebot an Öl und Gas, sondern auch an Sonne und Hitze", so der Architekt. "Genau diesen Überschuss wollen wir uns zunutze machen."

 

 

(Abb.: Al-Khor-Stadion)

HHVISION

Und das geht so: Zwei Tage vor Spielbeginn werden die Stadien mit Dachelementen zugezogen. Die lichtundurchlässigen und stark reflektierenden Folien sollen dafür sorgen, dass direkte Sonneneinstrahlung verhindert wird und dass sich die Stahlkonstruktion auf diese Weise nicht zusätzlich aufheizt. Zu den Spielzeiten am Nachmittag und am Abend, wenn die Sonne längst weitergezogen ist, sollen Spielfeld und Tribünen wieder geöffnet werden. So viel zur passiven Kühlung.

 

 

(Abb.: Al-Khor-Stadion)

HHVISION

Das aktive Runterfrösteln auf die von der Fifa festgesetzte Obergrenze von 27 Grad Celsius erfolgt durch den Einsatz von Solarthermie. Wie in einem Theater wird im Bereich der Sitzränge kalte Frischluft in die Tribünen gepumpt. Da kalte Luft schwerer ist als warme, strömt sie nach unten und bildet über dem Spielrasen einen riesengroßen Kaltluftsee.

"Jetzt müssen wir in zahlreichen Windsimulationen nur noch nachweisen, dass die Stadiondächer auch wirklich aerodynamisch sind", sagt Axel Bienhaus. "Es bringt nichts, wenn wir es so weit geschafft haben, und dann zieht eine warme Böe ins Gebäude und schaufelt die kühle Luft mit einem Stoß wieder raus."

 

 

(Abb.: Al-Shamal-Stadion)

HHVISION

Für die nötige Kälte sorgen Sonnenkollektoren - zu hundert Prozent ökologisch und ohne jeden Ausstoß von CO2, wie die beiden planenden Büros Transsolar (München) und Arup Associates (London) versichern. Angebracht werden diese auf den Parkplätzen rundherum (sie sollen gleichzeitig als Beschattung für die Autos dienen), auf den Stadiondächern selbst sowie - und das ist der größte Teil der Kollektoranlagen - auf riesigen Solarfarmen in der Wüste.

Der erste Probeanlauf ist bereits geglückt. Vor wenigen Wochen stellte Arup in Katar ein Show-case-Stadion mit 500 Sitzplätzen fertig. Erzielte Temperatur: erstaunliche 23 Grad Celsius.

 

 

(Abb.: Al-Shamal-Stadion)

HHVISION

Anhand dieses Dummys möchte man nun eine Reihe an unterschiedlichen Tests durchführen. Läuft alles nach Plan, will man die Resultate des kleinen Versuchszwergs in den kommenden Monaten auf die großen Giganten mit 40.000 Zuschauern und mehr hochrechnen.

1400 Quadratmeter Sonnenkollektor- und Fotovoltaik-Fläche werden für das Ministadion benötigt. In Reihen angebrachte Fresnel-Reflektoren bündeln das Licht und steigern auf diese Weise den Ertrag. Das System wurde am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) entwickelt. In Absorptionskältemaschinen wird die gewonnene Energie daraufhin unmittelbar in Kälte umgewandelt. Falls nötig, kann die Hitzeenergie in Tankanlagen, die sich direkt unter dem Stadium befinden, auch zwischengespeichert werden. Generatoren auf Basis von Biosprit stehen für den Notfall bereit.

 

 

(Abb.: Al-Rayyan-Stadion)

HHVISION

 

Für die insgesamt zwölf Stadien mit weitaus größeren Ausmaßen muss man die Solarfarmen entsprechend größer dimensionieren. Der Aufwand ist gewaltig. Hinzu kommen Infrastruktur, öffentliche Verkehrsanbindung sowie die Neubauten und Umstrukturierungen der bestehenden Gebäude. Laut kürzlich veröffentlichtem Fifa Evaluation Report betragen die Gesamtinvestitionskosten für die WM 2022 rund drei Milliarden US-Dollar.

170.000 Gratis-Sitzplätze

"Die Stadien zur WM 2022 werden eine ganze Generation von regionalen und internationalen Sport-Events prägen", gibt sich Scheich Mohammed bin Hamad bin Chalifa Al Thani, Vorsitzender der WM-Bietergruppe, sicher. "Eine derart umweltfreundliche Infrastruktur wird sich ohne jeden Zweifel auf die Stadien der Zukunft auswirken."

 

 

(Abb.: Al-Rayyan-Stadion)

HHVISION

Kritiker fragen: Wozu der ganze Aufwand? Architekt Axel Bienhaus antwortet: "Drei Milliarden Dollar sind viel Geld. Doch Katar kann sich diesen Aufwand mit Leichtigkeit leisten." Das merkt man auch an einem kleinen Passus, der im Bieterbuch enthalten ist: Nach Beendigung der WM, wenn die Fußballstadien rückgebaut und wieder verkleinert werden, möchte Katar die modularen Fußballtribünen an ärmere Länder verschenken. Ein großes Präsent: Die Rede ist von rund 170.000 Sitzplätzen.

Doch den wahren Erfolg von Katar 2022 sieht Bienhaus in jenen Investitionen, von denen das Land auch nach Ende der WM profitieren wird: "Wir errichten eine U-Bahn, wir bauen die Infrastruktur aus, vor allem aber bauen wir ein riesiges Sonnenkraftwerksnetz, das abseits der Fußballspiele die Hauptstadt Doha mit solarem Strom versorgen soll. Das ist ein nachhaltiger Gewinn für alle."

 

 

(Abb.: Al-Wakrah-Stadion)

HHVISION

Wüstenwahnsinn oder ökologisches Vorzeigeprojekt? Mit viel Glück könnte Katar ein Exempel für das zukünftige Leben in den Wüstenstaaten statuieren. So steht es zumindest in der Masterstudie "Qatar Vision 2030".

Ob das gelingt oder ob hier nicht viel eher ein zweites Dubai in der Petrischale liegt, hängt nicht zuletzt von den wahren Visionen der Gastgeber ab. Die Chancen stehen besser als im Fußball. Fifa-Weltranglisten-Platz: 90.
(DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.2.2011)

 

 

(Abb.: Al-Wakrah-Stadion)

HHVISION