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Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Glücksspiel und Kokain können süchtig machen. Das ist wissenschaftlich hinlänglich bewiesen. Ein Psychologenteam aus der Schweiz will diesen Befund aufweichen - und wartet mit einem besonderen Kniff auf: Kokainsucht soll mit Glücksspiel therapiert werden. Was wie ein bizarrer Widerspruch klingt, ist die Grundlage eines Konzepts, das vor zwei Jahren als Pilotprojekt in Basel startete - und heute von der Krankenkasse unterstützt wird. "Die Basisbehandlung ist in der Schweiz mittlerweile anerkannt und etabliert", sagt der Genfer Psychologe François Crespo, der das Programm mit seiner Kollegin Sylvie Petitjean initiierte.

Die Therapie beruht auf regelmäßigen Gesprächen, in denen zunächst die Umstände der Kokainsucht eruiert werden. In einem weiteren Schritt entwickeln die Betroffenen dann Strategien, um Wege aus der Abhängigkeit zu finden - zum Beispiel, indem man bestimmte Orte meidet, neue Freundschaften knüpft oder einer Freizeitaktivität frönt.

Während der Behandlung sind die Teilnehmer gehalten, kein Kokain zu konsumieren. Tun sie es dennoch, werden sie nicht ausgeschlossen, im Gegenteil: "Wir nehmen Rückfälle als Teil unserer Therapie wahr", sagt Crespo, "wir wollen die Patienten Schritt für Schritt aus der Abhängigkeit befreien."

Belohnt werden wollen

Bis dahin klingt alles noch relativ unspektakulär. Der Clou an der Sache ist jedoch, dass die Psychologen den entscheidenden Ausweg im Glücksspiel sehen. Im Rahmen der Therapie müssen sich die Teilnehmer jeder Woche einem Drogentest unterziehen. Fällt der Test negativ aus, erhalten die Probanden Lose - quasi als Belohnung für ihr Durchhaltevermögen. Wie bei einem echten Gewinnspiel enthalten manche Lose Nieten, andere einen Gewinn - zum Beispiel ein Füllfederhalter.

Die Wissenschafter wollen damit an der Wurzel der Sucht ansetzen: Nach der Einnahme von Kokain wird das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert. Dabei schüttet der Körper euphorisierende Substanzen wie Dopamin, Oxytocin und Adrenalin aus - Hormone, die wie ein Stimmungsaufheller wirken. Ganz ähnlich verhält es sich mit Geschenken: Sie sollen das Verlangen nach intensiven Glücksmomenten kompensieren, so die Intention der Forscher.

Beim Menschen können schon kleine Bonifikationen wie ein Stift oder eine kostenlose Tragtüte Glücksgefühle auslösen - selbst wenn man dadurch keinen nennenswerten wirtschaftlichen Vorteil erlangt. Der monetäre Anreiz soll die Suchtmomente denn auch nicht substituieren, sagen die Psychologen, schließlich stünden die Teilnehmer allesamt im Beruf und seien daher auf geringfügige Geldbeträge nicht angewiesen.

Vor diesem Hintergrund drängt sich deshalb schon die entscheidende Frage auf: Bekämpft man nicht eine Sucht auf Kosten einer anderen? Leistet die Kokain-Therapie gar der Spielsucht Vorschub? Crespo wiegelt ab. Er erblickt in beiden Suchtformen unterschiedliche Abhängigkeitsmuster. "Die Spielsucht ist anders gelagert als die Kokainsucht", behauptet er. Der Drang zu spielen sei im Individuum fest verankert und entwickle sich nicht aus dem Konsum heraus. Soll heißen: Zocker ist man von Geburt an. Personen mit einer derartigen Veranlagung würden darum bei der Studie auch nicht berücksichtigt.

Glaubt man den Studienleitern, sollen die Glücksmomente beim Erhalt geringwertiger Präsente länger andauern als beim Kokainkonsum oder einer kommerziellen Lotterie. "Wir wissen, dass kleine Geschenke motivationsfördernd sind und sich nachhaltig auf das Belohnungszentrum auswirken", sagt Crespo.

Um den Erfolg der Studie zu messen, haben Crespo und Co zu Beginn der Therapie zwei Gruppen gebildet: Die eine wird nach klassischer Methode therapiert mit dem Ziel sukzessiver Entwöhnung, wobei die Rehabilitierungsquote bei etwa 55 Prozent liegt. Die andere Gruppe dagegen wird mit der erwähnten Glücksspielmethode behandelt. Ob sie Erfolg verspricht, wird sich in den nächsten Monaten zeigen - bis dahin sollen die ersten Vergleichsergebnisse vorliegen. Gut möglich, dass den Probanden dann mehr als nur eine Glückssträhne vergönnt sein wird. (Adrian Lobe, DER STANDARD, Printausgabe, 14.02.2011)