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Proteste vor der ägyptischen Botschaft in Caracas.

Foto: AP/Cubillos

Wie sich die Umwälzungen in der arabischen Welt auf Länder wie Venezuela und Brasilien auswirken könnten - auch nach dem Rücktritt des "Mumien-Kandidaten" Mubarak.

 

"TeleSUR", der von Venezuelas linkem Präsidenten Hugo Chávez gesponserte südamerikanische Fernsehsender, berichtete am Freitag über die „Euphorie“ des ägyptischen Volkes. „Die Leute haben uns gesagt, das sei ein Triumph für die Menschen in der ganzen Region“, kommentierte Sonderkorrespondent Rodrigo Hernández den Rücktritt von Präsident Hosni Mubarak. Und: Was in Kairo geschehen sei, werde „die gesamte Region lehren, dass es das arabische Volk ist, das regieren muss“.

Als in  der Nacht auf Freitag die Rede Mubaraks auf einen Videowall am Tahrir-Platz übertragen wurde, hätten die dort ausharrenden Demonstranten über dessen zunächst ausgesprochene Rücktrittsverweigerung empört reagiert, manche seien in Tränen ausgebrochen. "Viele Manifestanten zogen sich auch die Schuhe aus, hoben sie in die Luft und hielten die Sohlen Richtung Leinwand, was in der arabischen Welt als Zeichen der Verachtung gilt", hieß es auf der Website des Senders "TeleSUR", der in Lateinamerika als "antiimperialistisches Gegenstück" zu CNN aufgebaut wird.

Inhaltlich wichen die Reporter des Senders nicht von anderen Medien ab, Mubarak wurde allerdings bis zum Schluss stets als "Präsident" oder "Mandatar" bezeichnet. In der lateinamerikanischen Blogosphäre wimmelte es dagegen von Schmähungen Mubaraks als "Diktator" und "Pharao". Mario Concha Vergara, ein chilenischer Blogger, ließ sich für den 81-jährigen Mubarak die Bezeichnung "Mumien-Kandidat" einfallen. Concha Vergara, offenbar ein recht konservativer Zeitgenosse, freut sich auf analitica.com schon auf Nachahmer der erfolgreichen ägyptischen Protestbewegung in Kuba oder Bolivien. Auf der Website der konservativen argentinischen Zeitung La Nacíon prophezeien gleich mehrere Poster, dass auch dieses Land zu ägyptischen Verhältnissen unterwegs sei. Und besonders in Venezuela halten Oppositionelle die Zeit für eine Revolte reif. In dieser Tonlage schreiben venezolanische Medien wie die Zeitung El Universal, in der Chávez hasserfüllt und auf Deutsch als "Führer" bezeichnet wird.

Als vor kurzem eine Gruppe aus Nordafrika stammender Demonstranten die ägyptische Botschaft in Caracas belagerte und kurzfristig auch besetzte, bezeichnete Präsident Chávez dies als "besorgniserregend" und als Aktion, die "nicht erlaubt werden" dürfe. Seinem Außenminister Nicolás Maduro gelang es, die Botschaftsbesetzer zum Abzug zu bewegen, ohne dass Gewalt angewandt wurde.

Für den Weg der "friedlichen Konfliktlösung" trat Chávez dann auch in einer Rede ein, in der er sich mit der Lage in Tunesien und Ägypten befasste. Er habe mit Libyens Muammar al-Gaddafi telefoniert, berichtete Chávez, und beide hätten sich gegen die für sie offensichtliche "Einmischung der USA" gewandt, die dort "die Kontrolle übernehmen" wollten.

Andererseits, so Chávez, stimme er auch mit jenen überein, die ihm sagten: "Also, Hugo, dort gibt es viel Armut und eine Elite, die sich bereichert hat." Das erinnere ihn an den "Caracazo" vom Februar 1989, als es in der venezolanischen Hauptstadt einen Aufstand der Armen gegen die korrupte Regierung des damaligen Präsidenten Carlos Andrés Pérez gab. Bei der gewaltsamen Niederschlagung soll es in Caracas bis zu 3000 Tote gegeben haben. Für die arabische Welt hoffe er, dass sie friedlich und auf verfassungsmäßigen Wegen ihrer Misere entkommen werde.

Chávez nicht ganz eindeutige Position entspricht der Haltung mehrerer lateinamerikanischer Staatschefs, die in jüngster Zeit mit den Arabern und mit der ganzen islamischen Welt bessere (wirtschaftliche) Kontakte gesucht haben. So hat Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner soeben ihre zweite Nahostreise absolviert, unterließ es dieses Mal (im Gegensatz zu 2008) aber, in Ägypten Hosni Mubarak zu treffen. Boliviens Evo Morales kündigte an, für den Lithium-Abbau iranisches Know-how anfordern zu wollen.

Eine große Zahl lateinamerikanischer Staaten hat zudem, sehr zum Ärger Israels, das palästinensische Siedlungsgebiet in den Grenzen von 1967 als unabhängigen Staat anerkannt. Hatten diesen – praktisch derzeit folgenlosen – Schritt nach der Jahrtausendwende zuerst nur Venezuela und Costa Rica unternommen, so entschlossen sich in jüngster Zeit auch Argentinien, Brasilien sowie eine Reihe weitere Länder wie Bolivien, Ecuador, Nicaragua, Paraguay und Peru zur Anerkennung Palästinas. Sogar das nun rechts regierte Chile schloss sich diesem Trend an. Das könnte eine späte Reaktion darauf sein, dass Israel früher zu lateinamerikanischen Diktaturen freundliche Beziehungen unterhalten habe, heißt es dazu in einem selbstkritischen Beitrag in der "Jerusalem Post". (Etliche lateinamerikanische Kommentatoren berücksichtigen in ihren Ägypten-Analysen aber durchaus die Risiken, die eine Entwicklung Richtung Islamismus für Israels Sicherheit hätte.)

Die geplante nächste Phase einer südamerikanisch-arabischen Annäherung fällt zunächst allerdings aus. Vom 13. bis zum 16. Februar sollte in der peruanischen Hauptstadt Lima ein Gipfeltreffen von Spitzenpolitikern aus zwölf südamerikanischen und 22 arabischen Staaten, darunter auch Mubarak, stattfinden. Am Rande des Gipfels war die Ehrung arabisch-stämmiger Südamerikaner vorgesehen, darunter der brasilianische Autor Milton Hatoum und die kolumbianische Sängerin Shakira (deren Vorfahren Libanesen waren). Schon vor 130 Jahren begann eine Auswanderungswelle aus dem damaligen osmanischen Reich nach Lateinamerika. Von der dortigen Bevölkerung werden die etlichen Millionen, vor allem aus dem Gebiet des heutigen Syrien und des Libanon Zugewanderten nach wie vor "Turcos", also "Türken", genannt.

Wegen "der schwierigen Lage" in Ägypten, Tunesien und anderen Ländern wurde der Lima-Gipfel von der arabischen Liga vor wenigen Tagen abgeblasen. Ein neuer Anlauf soll frühestens im April unternommen werden.

Als "Glücksfall" wurde die arabische Unruhe dagegen von den Organisatoren des diesjährigen Weltsozialforums (WSF) mit 90.000 Teilnehmern bezeichnet, das am Freitag im senegalesischen Dakar zu Ende ging. Am Beispiel Tunesiens werde den Menschen Afrikas vorgelebt, wie man sein Schicksal in die Hand nimmt. Dakar sei für die Entwicklung der sozialen Bewegungen in Afrika eine wichtige Etappe gewesen, hieß es. Sie seien allerdings noch nicht so stark wie in Südamerika, wo frühere WSF-Massentreffen in Brasilien und Venezuela mit der Forderung nach einer gerechteren und möglichen "anderen Welt" internationale Aufmerksamkeit erhielten.

Im kleineren Maßstab soll auch der Dialog von Lateinamerikanern und dem Nahen Osten weiter gehen. So ist ab dem 10. März in Costa Ricas Hauptstadt San José ein internationales Seminar über den möglichen Beitrag Lateinamerikas zum Nahostfrieden geplant. Das Recht, darüber zu sprechen, leiten die wissenschaftlichen Organisatoren schon von dem Faktum ab, dass diese Staaten ja auch schon 1947 am UNO-Beschluss der Teilung Palästinas beteiligt waren.

Und dass die gegenwärtige, unruhige Lage im Nahen Osten direkte Auswirkungen auf Lateinamerika hat, ist, etwas weiter nördlich, beispielsweise auch den Mexikanern bewusst. In der mexikanischen Zeitung "Progreso" warnen Experten davor, dass ein höherer Ölpreis das zuletzt gute Wirtschaftswachstum vieler Staaten Lateinamerikas scharf bremsen könnte. Latin Reuters liefert vom anderen Ende des Kontinents, aus Santiago de Chile, ebenfalls eine pessimistische Analyse. Die Krise in Ägypten habe bereits dazu geführt, dass Investoren in den Dollar flüchten und bei Veranlagungen in Schwellen- und Entwicklungsländern sehr zurückhaltend sind. Selbst große Staaten wie Mexiko und Brasilien bekämen das bereits zu spüren; Währungs- und Börsenkurse sackten ab.

Am Ende könnte der "Ägypten-Effekt" vor allem einem helfen: Venezuelas Hugo Chávez. Zu diesem überraschenden Schluss kommt Andres Oppenheimer, ein Kolumnist des "Miami Herald" in einem von etlichen lateinamerikanischen Medien nachgedruckten Kommentar. Jeder Anstieg des Weltmarktpreises für Erdöl um einen Dollar bringe Venezuela zusätzliche Einnahmen von 730 Millionen Dollar. Seit dem Beginn der Unruhe im Nahen Osten sei der Ölpreis heuer bereits um sieben Dollar gestiegen. Treiben Ängste über Beeinträchtigungen am Suezkanal den Preis weiter hoch, könnte Chávez heuer mit Mehreinnahmen von zehn Milliarden Dollar rechnen und damit seine politischen Projekte in und um Venezuela finanzieren.

Falls es zu einer Krise im gesamten Nahen Osten käme, könnte der Ölpreis laut Oppenheimer an seinen bereits einmal erreichten Höchstwert von 150 Dollar pro Fass (zu 159 Liter) herankommen und Venezuela Mehreinnahmen um 35 Milliarden Dollar bescheren. Gegen dieses rosige Szenario spricht, dass Venezuelas Ölproduktion aufgrund von Infrastrukturproblemen seit Jahren rückläufig ist und nicht beliebig ausgeweitet werden kann. Und außerdem, so sieht der Kolumnist plötzlich schwarz, würde ein derart hoher Preisanstieg einen Sturz der Weltwirtschaft in eine Rezession (samt nachfolgender Ölverbilligung) zu Folge haben. Bei nicht ganz so krassen Ölpreissteigerungen werde der "Ägypten-Effekt" für Chávez aber durchaus nützlich sein.