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Outside Wikileaks: Daniel Domscheit-Berg, einst Innenleben der Plattform, rechnet in seinem Buch mit seinem einstigen Freund und "Wikileaks-Popstar" Julian Assange ab.

 

 

Foto: dapd

Ein spannendes Buch braucht nicht nur eine gute Geschichte, sondern auch interessante Charaktere. Daran mangelt es in "Inside WikiLeaks" von Daniel Domscheit- Berg, das am Freitag in 14 Ländern gleichzeitig erschien, nicht. Gleich zu Beginn macht der 33-jährige Deutsche klar, was er von seinem einstigen Partner, Freund, ja möglicherweise sogar Lebensmenschen Assange hält.

"Ich habe noch nie so eine krasse Persönlichkeit erlebt wie Julian Assange. So freigeistig. So energisch. So genial. So paranoid. So machtversessen. Größenwahnsinnig. Ich glaube sagen zu können, dass wir zusammen die beste Zeit unseres Lebens verbracht haben. Und ich weiß, das lässt sich nicht zurückholen", schreibt Daniel Domscheit-Berg. Es klingt bitter, und das ist es auch streckenweise. Andererseits: Domscheit-Berg legt mit diesem Buch auch einen 300-Seiten-Befreiungsschlag vor, der - zumindest für ihn - ein Neubeginn sein soll.

Den gibt es auch 2007, als der Informatiker Domscheit-Berg erstmals Kontakt zu Wikileaks bekommt und von Assange gleich engagiert wird. 2008 gibt Domscheit-Berg seinen fixen Job auf und wechselt ganz zu Wikileaks. Die Vision begeistert ihn: "Macht zu kontrollieren, die hinter verschlossenen Türen ausgeübt wurde. Mit einer Plattform Transparenz zu schaffen, wo diese verweigert wurde, war eine ebenso einfache wie geniale Idee."

Der erste Coup gelingt, das Schweizer Bankhaus Julius Bär, dessen Unterlagen über Steuerbetrug ins Netz gestellt wurden, marschiert mit einer Armada von Anwälten auf, Wikileaks muss zeitweise vom Netz genommen werden. Doch letztendlich siegen Assange und Domscheit-Berg. Die Privatbank Bär kapituliert, die Seite geht wieder online. Die Welt kennt nun Wikileaks, zahlreiche Bürgerrechtsorganisationen signalisieren Unterstützung.

"Cleveres Konstrukt"

"Ein Bankhaus mit unendlichen Ressourcen, das eine Promi-Anwaltskanzlei mit seiner Vertretung betraut hatte - und die konnten nichts ausrichten gegen uns und unser cleveres Konstrukt", schreibt Domscheit-Berg voller (Schaden-)Freude.

Was Julius Bär und die Welt damals und bislang nicht wussten: Wikileaks war zwar eine geheimnisvolle, aber nie die große Organisation mit unzähligen Mitarbeitern, für die sie viele hielten. Diesen Bluff enthüllt der Autor in seinem Buch: Ehrlich gesagt, waren es über weite Strecken nur Julian und ich, die einen Löwenanteil der Arbeit erledigten. Wenn ein "Thomas Bellmann" oder ein "Leon aus dem Tech-Department" Mails beantwortete oder versprach, die Anfrage an die Rechtsabteilung weiterzugeben, dann war das niemand anderes als ich." Als Helfer wurde für die Öffentlichkeit einfach mitgezählt, wer sich mal unverbindlich auf einer Mailing-Liste eingetragen hatte.

Nicht anders war es beim Thema Technik und Sicherheit. Lange Zeit sei Wikileaks nur auf einem einzigen Server ("Technikschrott") gelaufen, um die Sicherung und Authentizität der eingehenden Papiere kümmerten sich auch nur Assange und Domscheit-Berg. Wäre bekannt gewesen, "dass wir nur zwei extrem großmäulige junge Männer mit einer einzigen Uralt-Maschine waren", dann hätte es durchaus Chancen gegeben, "den Aufstieg von Wikileaks zu stoppen", heißt es.

Nomade mit Hygienemangel

Sehr unterhaltsam sind natürlich die Passagen, in denen der "Popstar" Assange beschrieben wird. Zwar hält Domscheit-Berg seinen ehemaligen Mitstreiter für hochintelligent, mit dessen sozialer Kompetenz ist es aber offenbar nicht so weit her. Assange, ohne festen Wohnsitz, tingelt als Nomade durch die Welt. Alles, was er braucht, hat er in einem Rucksack. Monatelang schläft er auf einer Matratze in Domscheit-Bergs Souterrain-Wohnung in Wiesbaden - wenn er denn hinfindet. Immer wieder läuft er nämlich geistesabwesend an der Haustür vorbei.

Die Dusche benutzt er nicht so oft wie seine Laptops, frische Hemden werden ihm gelegentlich zugesteckt, er isst laut Domscheit-Berg "wie ein Wolf", lutscht auch mal größere Mengen an Zitronen aus, wenn er meint, er habe gerade Mangel an Vitamin C. Die Damenwelt stört das weniger, Assange prahlt, er habe uneheliche Kinder in mehr als einem Erdteil.

Mangelnde Transparenz

Das nervt Domscheit-Berg mit der Zeit ebenso wie Assanges Kontrollzwang, die mangelnde Transparenz bei Abrechnungen, seinen Anspruch, nur er allein sei die Nummer eins. Und, was besonders schwer wiegt: Domscheit-Berg wirft Assange vor, die erhaltenen Dokumente nicht ausreichend zu schützen.

Als im Sommer 2010 die afghanischen Kriegstagebücher über mehrere Medien veröffentlicht werden sollen, gehen sowohl Journalisten als auch Domscheit-Berg davon aus, dass die Namen von unschuldig Betroffenen zuvor gelöscht werden. Assange jedoch hat nichts in die Wege geleitet, und Domscheit-Berg muss kurz vor der Veröffentlichung eigenhändig tage- und nächtelang "Harm Minimization" betreiben. Im Herbst 2010 kommt es zum endgültigen Bruch zwischen den beiden. Domscheit-Berg trägt am Rücken übrigens ein Tattoo einer Sanduhr. Es ist das Logo von Wikileaks und wurde beim Stechen nur halb fertig, weil die Schmerzen zu groß waren. Zufall? (Birgit Baumann / DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.2.2011)