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Ein neuronaler Schaltkreis für den Balzgesang der Taufliege
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Wien - Neurobiologen am Wiener Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) untersuchen an der Fliege Drosophila melanogaster, wie das Nervensystem Verhalten erzeugt, steuert und sinnvoll einsetzt. Mit der Hilfe einer speziellen Fernsteuerung der Taufliegen konnten sie bereits grundlegende Vorgänge am Beispiel des Balzgesangs der Männchen beschreiben, heißt es in einer Studie, die am Donnerstag in der Fachzeitschrift "Neuron" veröffentlicht wurde.

Hintergrund

"Die Männchen der Drosophila melanogaster müssen einigen Aufwand betreiben, um das Interesse eines Weibchens zu erregen. Zeigt sich eine potenzielle Partnerin, so spielen sie ein komplexes, angeborenes Balzritual durch, zu dem auch eine Gesangsdarbietung gehört", so das IMP in einer Aussendung. Die akustischen Signale, die das Weibchen auf die Paarung einstimmen sollen, erzeugt das Männchen mit seinem Flügel, den es abspreizt und in Schwingungen versetzt.

Zwei verschiedene Arten des Balzgesangs sind bekannt: ein Summen mit einer Frequenz von 140 bis 170 Hertz und ein Pulsieren, bei dem bis zu fünfzig Pulse zu je ein bis drei Zyklen zu hören sind. Wie gut der Pulsgesang bei der Partnerin ankommt, entscheidet über den Fortpflanzungserfolg des Männchens.

Wie sinnvolles Verhalten entsteht

Eine Gruppe von Neurobiologen um Barry Dickson am IMP untersucht den Balzgesang der Fliege als Modell für ein genetisch determiniertes Verhaltensmuster. Die Forscher zerlegen den Ablauf in einzelne Schritte, die sie auf zellulärer und molekularer Ebene studieren. Sie suchen Antworten auf die Frage, wie das Nervensystem aufgrund innerer und äußerer Einflüsse zu einer Entscheidung kommt, die passende Handlung einleitet und die entsprechenden Muskelbewegungen koordiniert - wie also sinnvolles Verhalten entsteht.

Die Biologin Anne von Philipsborn konnte jetzt die wesentlichen, am Balzgesang beteiligten Strukturen des Nervensystems eingrenzen und ihre Funktionen zuordnen. Das wurde durch eine gezielte genetische Manipulation der Fliegen möglich: durch die sogenannte Thermo-Aktivierung. Die Tiere werden dabei genetisch so verändert, dass ihre Nervenzellen mit temperaturempfindlichen Ionenkanälen ausgestattet sind. Diese öffnen sich bei Wärme und werden dadurch für bestimmte Ionen durchlässig. Die Nervenzelle ist somit aktiviert und feuert einen Impuls ab. Entsprechend vorbereitete Fliegen können zu definierten Bewegungen veranlasst werden, indem man sie behutsam von 20 auf 30 Grad erwärmt.

Mit den Mitteln der Thermogenetik können die Forscher ihre Versuchsobjekte wie mit einer Fernsteuerung dirigieren. Das ermöglicht die einzelnen Kommando-Ebenen, die entsprechenden Schaltkreise und sogar einzelne an dem untersuchten Verhalten beteiligte Nervenzellen zu identifizieren.

Identifizierung von zwei Zentren

Durch gezieltes An- und Abschalten bestimmter Nervenzellen (Neuronen) konnten zwei Zentren identifiziert werden, die bei der männlichen Fliege für den Gesang verantwortlich sind. Im Bereich der Brustganglien befindet sich eine Gruppe von Nervenzellen, die für die koordinierte Bewegung der Flügel zuständig ist. Ihrer Funktion nach ist diese Zellgruppe ein zentraler Mustergenerator. Neurobiologen verstehen darunter ein Netz von Neuronen, das autonom rhythmische Muskelbewegungen erzeugt, ohne regelmäßige Impulse von übergeordneten Zentren zu erhalten. Auf diese Weise werden auch beim Menschen Bewegungen wie Atmen, Laufen oder Schlucken koordiniert.

Das Kommando für den zentralen Mustergenerator kommt aus dem Gehirn. Dort wird ein Neuronennetz beschrieben, das vielfältige Eindrücke empfängt und integriert. Die Nervenzellen erhalten Impulse von Sinnesorganen und von anderen Gehirnzellen. Was die Fliege sieht, riecht, tastet und schmeckt, wird dort angereichert mit bereits Erlebtem und zu einer Entscheidung verrechnet: Singen oder nicht Singen.

Kommando-Neuronen leiten den Befehl zum Singen an die Brustganglien weiter. Dieses Signal kann auch experimentell ausgelöst werden und führt zum gleichen Ergebnis. Hier gilt also: alles oder nichts. Werden allerdings einzelne Neuronen des zentralen Mustergenerators künstlich aktiviert, so ist das Resultat ein verunglückter Gesang. An diesen zellulären Stellschrauben zu drehen, führt also ins Chaos.

Das Gen für den Gesang

Weibliche und männliche Fliegen besitzen ähnliche neuronale Netze, doch nur Männchen singen. Verantwortlich dafür ist ein Gen mit dem Namen fru, das nur in der männlichen Form fruM zum Singen befähigt. Wird es blockiert, so bleibt der Gesang aus - und damit auch der Fortpflanzungserfolg. Umgekehrt können Weibchen durch fruM vermännlicht werden.

Nachdem die Forscher die Schlüsselneuronen für den Fliegengesang identifiziert haben, wollen sie ihre Erkenntnisse weiter verfeinern. Barry Dickson zu den Plänen: "Uns interessiert nun, wie dieser Nervenschaltkreis im Detail unter natürlichen Bedingungen funktioniert. Gleichzeitig werden wir die erfolgreiche Methode der Thermogenetik anwenden, um nach Neuronen zu suchen, die andere Elemente des Fortpflanzungsrituals auslösen, bis hin zur eigentlichen Kopulation." (APA)