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An Mäusen wird getestet, welchen Einfluss Immunsystem und Biorhythmus auf bestimmte Hirnareale haben.

Foto: AP/Robert F. Bukaty

Depression ist eine der am stärksten beeinträchtigenden psychischen Erkrankungen, die es gibt. Und sie ist sehr häufig: Weltweit schätzt die WHO die Zahl der Betroffenen auf 120 Millionen, allein in Österreich leiden rund 400.000 Menschen an einer behandlungsbedürftigen Ausprägung. Die genauen Ursachen sind jedoch nach wie vor weitgehend ungeklärt. An der Medizinischen Universität Wien wird an ihrem Zusammenhang mit gestörten Tag-Nacht-Rhythmen geforscht.

Für das Leben auf der Erde ist Licht - bzw. sein Fehlen - einer der wichtigsten Zeitgeber. Die meisten Organismen haben sich im Lauf der Erdgeschichte an den 24-Stunden-Zyklus von Tag und Nacht sehr genau angepasst. Alle Tiere haben eine innere Uhr, die ihnen ermöglicht, ihre Stoffwechselprozesse und die dazugehörigen Aktivitäten in jenem Teil des Tages (bzw. der Nacht) zu erledigen, der für sie am günstigsten ist. Störungen dieses endogenen circadianen Systems könnten an der Entstehung von psychischen Erkrankungen beteiligt sein, wie Daniela Pollak vom Zentrum für Physiologie und Pharmakologie der Medizinischen Universität Wien annimmt. In einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt untersuchen Pollak und ihre Mitarbeiter die entsprechenden Vorgänge an Mäusen.

Sehr viele Dinge, auf die wir keinen oder nur wenig Einfluss haben - wie Temperaturregulation, Blutdruck oder auch Gemütszustände -, werden im Zwischenhirn gesteuert, genauer gesagt im Hypothalamus. Dort sitzt auch der Suprachiasmatische Nucleus, eine Ansammlung von Zellen, die das Hauptwerk der inneren Uhr der Säugetiere ausmachen. Das ist jedoch bei weitem nicht der einzige Zeitgeber. Überall im Körper, darunter auch in anderen Hirnregionen und vielen Organen, gibt es innere Uhren. Diese sind jedoch quasi nachgeordnete Dienststellen, die von den Impulsen des Suprachiasmatischen Nucleus synchronisiert und dirigiert werden.

Neben Wachen und Schlafen zeigen auch viele andere Aktivitäten bzw. Zustände bei Säugern einen Tagesgang, so etwa Hormonlevels, Hunger, Aufmerksamkeit oder auch Stimmungen. Wird die unter normalen Umständen herrschende Kopplung zwischen diesen Befindlichkeiten und dem natürlichen Tag-Nacht-Zyklus durch äußere Faktoren gestört, kann es zu krankhaften Entwicklungen kommen: So erhöht etwa Schichtarbeit die Anfälligkeit für Übergewicht, Angstzustände und Depressionen. Umgekehrt gehen psychische Probleme häufig mit Veränderungen des biologischen Rhythmus, wie Schlafstörungen, einher. Auf molekularbiologischer Ebene kennt man mittlerweile verschiedene Gene, die an der Entstehung des endogenen circadianen Systems beteiligt sind. Pollak und ihre Gruppe wollen nun untersuchen, welche dieser "clock genes" in der Amygdala vorhanden sind, einer Hirnregion, die eine wichtige Rolle bei der Regulation von Gefühlen - allen voran Angst und Stress - spielt und von der angenommen wird, dass sie auch bei psychischen Erkrankungen mitmischt.

"Clock genes" im Fokus

Gleichzeitig soll der Einfluss des Immunsystems auf die Rhythmik der Amygdala untersucht werden, denn in jüngster Zeit gibt es zunehmend Befunde dafür, dass auch das Immunsystem eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Gemütsstörungen spielt: So weist das Blut von Patienten mit massiven Depressionen oft erhöhte Werte von Zytokinen, Hormonen und Transkriptionsfaktoren auf, die typisch für Infektionen sind.

Um die Zusammenhänge zwischen dem Immunsystem und dem circadianen Rhythmus der Amygdala bei depressiven Erkrankungen zu erforschen, verwenden Pollak und ihre Mitarbeiter Mäuse, die bei jeweils zwölf Stunden Licht und Dunkelheit gehalten werden. Einer Gruppe wird dabei eine Substanz injiziert, die sowohl Depressionen als auch eine Immunreaktion des Körpers auslöst, während eine andere Gruppe chronischem leichtem Stress ausgesetzt wird.

Elektrophysiologische ebenso wie molekulare Untersuchungen der Amygdala aller beteiligten Mäuse - inklusive unbehandelter Kontrolltiere - sollen Aufschluss darüber geben, welche "clock genes" in diesem Hirnareal bei depressionsartigem Verhalten zum Einsatz kommen und welche Signalübertragungswege sie steuern.

In einer eben publizierten Vorarbeit zu dem FWF-Projekt konnten Pollak und Kollegen bereits abenteuerlich anmutende Zusammenhänge zeigen: Sie arbeiteten dabei mit genmanipulierten Mäusen, denen ein anderer Rezeptor im Supraschiasmatischen Nucleus fehlt, nämlich der für Gastrin Releasing Peptide (GRP), das die Salzsäureproduktion im Magen steigert und im Gehirn den regulatorischen Einfluss von Licht auf den inneren Tag-Nacht-Rhythmus vermittelt. Auch diese Knock-out-Mäuse zeigen depressives Verhalten.

Mit der Aufklärung der biologischen Vorgänge, welche die Grundlage von Depressionen darstellen, hoffen Pollak und ihre Gruppe auch auf die Möglichkeit, neue, bessere Medikamente für die Behandlung von psychischen Störungen zu entwickeln. (Susanne Strnadl/DER STANDARD, Printausgabe, 09.02.2011)