Will man Lehrer werden, so muss man sich zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt dafür entscheiden. Gerade erst hat man der Schule den Rücken zugekehrt, muss man sich zum Dienst in derselben entscheiden, ein Lehramtsstudium an der Universität oder an der Pädagogischen Hochschule absolvieren. So zumindest die Theorie.

In Wirklichkeit können schon lange nicht alle benötigten Posten durch qualifiziertes Lehrpersonal besetzt werden, immer öfter muss nach einer Alternative gesucht werden. Rund ein Prozent der Lehrerposten im AHS- und BHS-Bereich kann auf normalem Weg nicht besetzt werden. Oft sind es Studenten und Fachmagister, die ein normales Diplomstudium absolviert haben, die zur Überbrückung der klaffenden Lücke herangezogen werden müssen. So wie Franz Mayer*.

Unkonventionelle Mittel im Zeichen des Lehrermangels

Mayer hat sich zu Beginn seines Studiums nicht im Lehrberuf gesehen, hat sein Germanistikstudium aus wissenschaftlichem Interesse als Diplomstudium begonnen, nebenbei in verschiedenen Bereichen gearbeitet. Lehrer, das schien ihm zunächst nie eine Alternative. Anders heute. Gegen Ende seines Studiums hörte er, dass der Wiener Stadtschulrat auf der Suche nach Lehrern zu "unkonventionellen" Mitteln greift und auch gerne auf jene zurückgreift, die eigentlich nicht dafür qualifiziert sind.

Auf gut Glück schickte er seine Bewerbung hin. Kurze Zeit später meldete sich der Wiener Stadtschulrat, man habe 11 Stunden für Mayer. "Ich bin noch nie vorher in einer Klasse gestanden", sagt Mayer im Gespräch mit derStandard.at. Normalerweise absolviert man als Junglehrer ein praktisches Jahr, wird langsam dem Lehrberuf zugeführt. Auch das ist nur Theorie. "Das war bei mir nicht so, ich bin einfach in die Klasse hineingestellt worden", so Mayer. Ohne eine pädagogische Ausbildung stand er schließlich das erste Mal vor den Schülern einer Oberstufe.

"Wow, sowas will ich machen"

"Niemand hat mich je überprüft, niemand hat mir je zugesehen. Das war einerseits angenehm, andererseits hat es mich geschreckt. Ich könnte ihnen den größten Blödsinn erzählen und niemand überprüft mich." Kein Einzelfall, doch die erste Stunde verlief gut. "Ich bin hinausgegangen und habe mir gesagt: Wow! Sowas will ich machen, das habe ich gesucht", schildert Mayer seine Eindrücke. Er bekam eine vakante Stelle zugeteilt und fasste Gefallen an dem Beruf. Mayer will Lehrer bleiben.

Gehrers Brief und eine Pensionsreform

Lehrer wie Mayer sind genau jene Generation, denen von höchster Stelle vom Lehrberuf abgeraten wurde. Noch 2001, als die demographische Situation längst bekannt war, riet die damalige Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) in einem berüchtigten "Brief an die Maturantinnen und Maturanten" vom Lehrberuf ab. Gleichzeitig wurde ein für Lehrer lukratives Vorruhestandsmodell eingeführt. Kurzfristig konnten so junge Lehrer schneller in den Beruf, der Berufsstand hat jedoch einen langfristigen Schaden erlitten und kämpft bis heute mit Nachwuchsproblemen.

Gerade in der letzten Woche häufen sich die Berichte vom Lehrermangel und Pensionisten, die zurück in die Schule geholt wurden. "Das ist immer eine Wellenbewegung. Lehrmangel, Lehrer da, Lehrermangel. Schuld an dieser Bewegung ist eine falsche Kommunikation", so Mayer. Statt einer kontinuierlichen Planung wird in diesem Land nur kurzfristig gehandelt.

Sonderstellung, Notmaßnahmen, Lehrermangel

Lehrkräfte wie Mayer haben jedoch ein Problem. Offiziell sind sie ein Provisorium. Sie bekommen Sonderverträge, sind als Vertragslehrer auch nicht in der Art und Weise abgesichert wie ihre entsprechend ausgebildeten Kollegen. Von Jahr zu Jahr bekommen sie Stunden zugeteilt. Das marode System hält sich mit diesen "Leiharbeitskräften" aus dem freien Arbeitsmarkt über Wasser. Auch die Möglichkeit durch ein Nachholen der Pädagogikstunden an der Universität einem Lehrer gleichgestellt zu werden, ist schwierig. "Selbst wenn ich alle pädagogischen Fächer nachhole, werde ich immer einen befristeten Vertrag haben und nie einem Lehrer gleichgestellt sein", schildert Mayer seinen Informationsstand.

Der Einsatz von Lehramtsstudenten und nicht entsprechend ausgebildeten hat System. Alleine in Wien werden im Pflichtschulbereich 98 Lehramtsstudenten als Lückenfüller herangezogen. 86 Lehramtsstudenten arbeiten im AHS-Bereich, 38 Studenten werden in den BMHS eingesetzt. Hinzu kommen 150 weitere Lehrkräfte, die (noch) kein Studium abgeschlossen haben bzw. die aus der Praxis kommend an Schulen unterrichten.  Sie bekommen Sonderverträge, ihr Gehalt und die Vertragslaufszeit variieren, heißt es im Stadtschulrat. Trotz dieser Aushilfslehrer, werden in Wien derzeit nur ganze fünf Lehrer für Vertretungsstunden im AHS-Bereich gesucht, so der Stadtschulrat. Insgesamt gibt es in Wien 7982 AHS-Lehrer, 10360 Pflichtschullehrer, 3693 BMHS-Lehrer. Interessant sind die Fächer in denen es besonderen Lehrermangel gibt. Es sind jene klassischen naturwissenschaftlichen Fächer - Mathematik, Physik, Chemie und Biologie - aber auch Englisch, Deutsch und Latein.

"Was passiert mit uns?"

Bildungsministerin Claudia Schmied (SPÖ) hat unlängst zu dem Lehrermangel gemeint, dass dieser nur zwei Jahre dauere, und dann sei das Gröbste vorbei: "Da muss ich schon schmunzeln", sagt Mayer. "Einerseits sehe ich, dass es derzeit nicht absehbar ist, es sind viele Studenten und viele Diplomleute unterwegs. Es ist vieles abgedeckt durch Provisorien. Andererseits frage ich mich, ob dann nicht wieder der gegenteilige Trend eintritt und zu viele Lehrer da sind.Was passiert mit uns?". "Mit uns" - das deutet daraufhin, Mayer ist nicht allein, nicht die Ausnahme. Es ist eine breite Gruppe geworden, diese "diplomstudierten" oder noch nicht fertigen Lehrer.

Sie werden heute gebraucht, werden schlechter bezahlt und betrachtet man den demographischen Wandel und den Boom bei den pädagogischen Studien so ist ihre Arbeitsstelle alles andere als sicher. Was passiert mit jenen Vertragslehrern in Zukunft? "Es ist von vornherein klar, dass es eine befristete Maßnahme ist", sagt die Sprecherin des Wiener Stadtschulrates, Dragana Lichtner, zu derStandard.at. "Ich habe das Gefühl der Stadtschulrat hat keine Ahnung, wie es in Zukunft aussieht", entgegnet Mayer.

"Mir gefällt der Lehrberuf"

Und wie sieht seine Zukunft aus? "Mir gefällt der Lehrberuf. Ich habe Angst, dass ich in zwei Jahren nicht mehr gebraucht werde", so Mayer. Die pädagogischen Grundkenntnisse will er nachholen, ein weiteres Studium jedoch nicht. Dafür sei er zu alt. Sollte dies notwendig werden, muss er den Lehrberuf verlassen.

Doch auch der Politik ist die Problematik bewusst. Der grüne Bildungssprecher Harald Walser forderte am Dienstag genau für jene, die schon über die fachliche Qualifikation verfügen ein "Kurzstudium" der Pädagogik anzubieten. Dadurch soll ein späterer Wechsel in den Lehrberuf leichter möglich sein.  Bis es zu einer Änderung der Leherbildung kommt wird man sich durch die Wellenbewegungen mit Provisorien wohl zu helfen wissen. (Sebastian Pumberger, derStandard.at, 10.2.2011)

*Name von der Redaktion geändert.