Wien - Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in einem Sorgerechtsstreit wird zu einer Neuregelung der Obsorge in Österreich führen. Im Justizministerium befürchtet man allerdings eine Überlastung der Gerichte, sollten sie künftig in jedem Trennungsfall überprüfen müssen, ob die gemeinsame Obsorge für das Kind vorteilhaft wäre, bestätigte Michael Stormann, Abteilungsleiter Familienrecht im Justizministerium, am Freitag gegenüber der APA einen Bericht des Ö1-Mittagsjournals.

Der EGMR kam zur Erkenntnis, dass die österreichische Rechtslage, wonach der Vater eines unehelichen Kindes nur dann die Obsorge erhält, wenn die Mutter dem zustimmt oder das Kindeswohl gefährdet ist, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstößt. Es müsse die Möglichkeit bestehen, dass das Gericht beiden Elternteilen die gemeinsame Obsorge einräumt, wenn dies für das Kind vorteilhafter ist, oder, wenn das nicht der Fall ist, das Gericht entscheidet, ob die alleinige Obsorge der Mutter oder des Vaters günstiger ist.

Großer Mehraufwand befürchtet

Michael Stormann geht davon aus, dass eine Einzelfallprüfung zu einem großen Mehraufwand für die Gerichte führen würde. Er verwies auf die jährlich rund 30.000 unehelich geborenen Kinder und 20.000 Scheidungskinder. "Diese Menge ist zu groß für eine Einzelfallüberprüfung. Das ist weder dem Bürger, noch den Gerichten zuzumuten. Das heißt, wir müssen einen einfachen gesetzlichen Weg finden, der aber auch Sicherheiten bietet. Das Kindeswohl darf nicht unter die Räder kommen", erklärte Stormann gegenüber der APA. Er sprach sich deshalb für eine "Automatik mit Sicherheitsventil" aus.

Doris Täubel-Weinreich, Vorsitzende der Fachgruppe Außerstreit- und Familienrecht in der Richtervereinigung, ist auch in der Arbeitsgruppe des Justizministeriums zur Erarbeitung eines neuen Familienrechts. Sie kann sich eine automatische Regelung zur gemeinsamen Obsorge zwar vorstellen, pocht aber auch auf eine Überprüfung des Einzelfalls. Sie rechnet damit, dass durch die Gesetzesänderung mehr Fälle auf die Familienrichter zukommen werden. Dann müssten diese Stellen aber auch mit mehr Personal ausgestattet werden, forderte sie. "Man muss sich am Kindeswohl orientieren", betonte sie. Wie viele Fälle es dann tatsächlich werden, sei schwer einschätzbar. Das gestrige EGMR-Urteil sei nach einem ähnlich gelagerten Fall gegen Deutschland im Vorjahr jedenfalls bereits absehbar gewesen. (APA)