Auf einem gut belegten Redakteursschreibtisch lässt sich immer Interessantes zutage fördern. Gestern habe ich in einem Verlagskatalog, der ein paar Monate unter einem Zeitschriftenstapel verschüttgegangen war, einen Hinweis auf dieses publizistische Nugget entdeckt: Das Buch Die Verehrung von Wasserleichen und ihre Stellung im japanischen Volksglauben, eine ethnologische Monografie des jungen deutschen Japanologen Christian Göhlert, 2010 erschienen im iudicium-Verlag zu München. Ist schon bei Amazon bestellt!

Das Wissen um die Wasserleichenverehrung in Japan - eine hierzulande unbekannte Institution - nährt natürlich das alte Klischee von der angeblich unerhörten japanischen Andersartigkeit. Wenn sich Europäer oder Amerikaner das ganz Andere vorstellen wollen, denken sie an Japan: an Lost in Translation, den ratlos durch Tokioter Hotels tapernden Bill Murray, Roland Barthes im semiotischen Irrgarten der japanischen Schrift usf.

Oder an das berühmte Inemuri, das sozial in jeder Lebenslage akzeptierte Untertags-Schläfchen. Bei einer Pressekonferenz in Nagoya kam ich vor ein paar Jahren an einem riesigen Hufeisen-Tisch neben einem wohlbeleibten Kollegen aus Japan zu sitzen, der, kaum hatte die PK begonnen, auf der Stelle in einen narkoseartigen Schlaf verfiel. Der Mann war ein begnadeter Schnarcher, eine menschgewordene Kreissäge, die jede Kommunikation am Hufeisen brutal niederschnorchelte. In Europa hätte man ihn geweckt, in Japan überhörte man das auditive Zusatzfeature mit perfektem Gleichmut.

Erste Reaktion: Seltsames Japan! In einer tieferen Reflexion entdeckt man freilich hinter dem Seltsamen oft ein Quantum beispielhafter fernöstlicher Weisheit. Auch Österreich könnte so viel gesünder sein, wenn die ganze Nation sofort in einen kollektiven Power-Nap verfiele, sobald das ondulierte Wunder vom Wörthersee - bei dem landen wir doch immer wieder - seine Pappulatur aufmacht. Dann käme auch der ORF nicht mehr auf die Idee, KHG jeden dritten Tag eine Medienbühne zu bieten.

Solange sich aber das KHG-Inemuri nicht durchgesetzt hat, reagiert halt weiter die Quote. Wie konnte der ORF überhaupt je auf die Idee kommen, das Quotengift Heinzl anstatt des Quotentonikums Karl-Heinzl zu engagieren? Als Adabei-Moderator würde der selbst das Dschungelcamp mit links wegputzen. (Christoph Winder, DER STANDARD - Printausgabe, 5./6. Februar 2011)