"Ich bin kein Freund von Pauschalisierungen, es lässt sich allerdings ein feiner Unterschied zwischen den Erziehungsmethoden in nicht autochtonen Familien und jenen von Eltern mit österreichischen Wurzeln feststellen"

Foto: Eva Zelechowski

Eine starke Schulter zum Anlehnen muss er haben und die Familie ernähren können. Das sind nur zwei traditionelle Rollenbilder des "Mannsbildes", die in der Realität des modernen Alltags ins Wanken geraten können und in weiterer Folge das Familiengefüge durcheinander wirbeln. Mit welchen Belastungen Männer zu kämpfen haben und wie erlösend Distanz zu sich selbst sowie das Aufweichen von starren Männlichkeitsbildern wirken kann, erzählt der diplomierte Psychologe Damir Križanec im Gespräch mit daStandard.at.

daStandard.at: Wie lange arbeiten Sie in der Männerberatung Wien und was sind konkret Ihre Aufgaben?

Križanec: Ich habe mich 2004 im Rahmen eines AMS-Bildungskarenz-Programms zum Mediator ausbilden lassen. Seit 2005 bin ich als Psychologe, Mediator und Gewaltberater bei der Männerberatung Wien unter anderem für alle Erstberatungen und das erste "Clearing" zuständig. Dabei wird geklärt, was die Situation erfordert und wo man hin will. Zusätzlich biete ich auch weitere Begleitung von Menschen, die mit Gewaltbewältigung zu kämpfen haben. Wir arbeiten eng mit der Interventionsstelle (Frauenberatungsstelle und Schaltstelle gegen Gewalt in der Familie, Anm. d. Red.) zusammen, die als Kontrollorgan eingebunden ist.

Die Beratung bei Gewaltbewältigung ist eine interessante und inspirierende Arbeit in Bezug auf alle anderen Bereiche, weil es um Kontrolle und Verantwortung geht, genauso wie auch Ziele und Identitäten, die die Männer beschäftigen.

daStandard.at: Was passiert bei einem ersten "Clearing"?

Križanec: Ich habe eine gewisse Narrenfreiheit, denn die Erstberatung dient dazu, erste Ziele und die Richtung zu definieren. Dieses erste Gespräch klärt oft, ob tatsächlich eine Therapie notwendig ist oder ob das Problem in Überforderung wurzelt. Hier ist es wichtig, dass man besonders positive Gedanken herausstreicht und den Männern zu mehr Kraft verhilft, damit sie einen positiven Zugang zur eigenen Situation gewinnen. Diese daraus gewonnene Entspannung und Entschlossenheit ändert schon sehr viel. Denn je verwirrter Menschen in einer Lebenssituation sind, desto verklärter ist ihre Wahrnehmung auf ihre Fähigkeiten und Kräfte.

daStandard.at: Mit welchen Anliegen und Problemen suchen Männer Beratung im Männerberatungszentrum?

Križanec: Das ist natürlich sehr verschieden, aber meistens wissen die Personen, welche Beratung ihnen vorschwebt. Viele erkundigen sich über unsere Website, wo die einzelnen Beratungs- und Behandlungsbereiche erklärt werden. Hauptsächlich sind es Probleme wie Trennung, Scheidung, Partnerschaft oder auch Sucht. Ein sehr starker Bereich ist Gewalt und sexuelle Gewalt.

Der Anspruch des Familienerhalters sowie Arbeitslosigkeit sind auch häufige Probleme, weil das Selbstwertgefühl in den Keller rutscht. Der Mann konzentriert sich ganz auf den Beruf und findet sich in einer Hilflosigkeit wieder, wenn diverse Belastungen auftreten. Das kann bei der Trennung insofern katastrophal wirken, als diese häufig mit Arbeitslosigkeit einhergeht. Sprich: Die Männer sind zu "lästig" und mischen sich zu sehr in die Familienbelange ein, was sie bis dato nicht gemacht haben. Die Folge sind Frustration und Unstimmigkeiten. Bei Trennungen haben wir auch viel mit Männern zu tun, die sich bezüglich des Sorgerechts diskriminiert fühlen und als Opfer stilisieren.

Aber es hat sich vieles gedreht in den Geschlechterbeziehungen. Das Geschlecht ist zur Option und zur Entscheidung geworden, was besonders bei sehr tradiert überzeugten Männern hilfreich ist. Männer merken zunehmend, dass Frauen das stärkere Geschlecht sind und bestimmen, 'wo es lang geht'. Viele Männer kritisieren auch die verhältnismäßig kleine Lobby für Männer und erwarten von uns, dass wir beispielsweise vor Gericht als Beratungsinstanzen auftreten.

daStandard.at: Gibt es Unterschiede im Hinblick auf die Probleme, die Migranten der 1. und 2. Generation plagen?

Križanec: Sicherlich, ein Unterschied sind Probleme mit der Trennung und Scheidung, die der älteren Generation massiv zusetzen. Hinzu kommen Unstimmigkeiten in der Ehe oder Erziehungsprobleme und Entfremdung der Kinder. Generationsspezifisch ist außerdem, dass ältere Generationen noch eine große Scheu vor Psychiatern und Psychotherapeuten haben, weil sie sich selbst als gescheiterte Männer sehen. Dann ist es auch meine Aufgabe, dass ich die Bereitschaft der Männer, diese Hürde überbrückt zu haben und Hilfe anzunehmen, als großen Erfolg lobe. Das bringt die notwendige Entspannung in den Anfangsprozess und den Verlauf der Beratung. Bei den Jüngeren ist das nicht mehr so wesentlich. Hier ist die Einmischung der Eltern in ihre Belange und Partnerschaft wie auch bei der Partnerwahl sehr gering.

daStandard.at: Gibt es dieses Problem der Einmischung der Familie häufiger bei jungen Männern mit Eiwanderungsbackground?

Križanec: Ich bin kein Freund von Pauschalisierungen, es lässt sich allerdings ein feiner Unterschied zwischen den Erziehungsmethoden in nicht autochtonen Familien und jenen von Eltern mit österreichischen Wurzeln feststellen. Ganz pauschal würde ich sagen: Sie haben mehr Freiheit und viel weniger Einmischung. Man hat aber auch nicht so stark ausgeprägte Anbindungen innerhalb der Familie. Natürlich gibt es auch Fälle in österreichischen Familien, wo diese Zwänge unerträglich werden können, aber die Risse passieren hier viel schneller. Da ist eine Selbstverständlichkeit der Verselbstständigung oder der "Cut" mit der Familie ist oft unkomplizierter. Es kommen auch viele ältere österreichische Männer zu uns, die kaum mit ihren Kindern Kontakt haben. Sie leiden darunter, aber gleichzeitig haben sie sich dazu entschlossen, keinen weiteren Schritt zu unternehmen, um auf ihre Kinder zuzugehen.

daStandard.at: Gibt es einen Fall oder eine Geschichte, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Križanec: Da erinnere ich mich an eine Begegnung mit einem Jungen kurdischer Abstammung, der komplett überfordert war mit seiner Familie, die ihn ganz umgekehrt einnimmt und sein Leben nicht leben lässt. Es trifft eine ganz andere Vernachlässigung am Sohn zu. Sie haben keine ökonomischen Probleme, aber der "Crash" liegt in der Spielsucht des Vaters und Alkoholsucht der Mutter. Es findet ein psychischer Missbrauch an der jüngeren Generation statt. Die Eltern erzeugen mit der Lebensweise, die sie betreiben eine Art Kollaps, wobei die Kinder die Familie immer wieder retten müssen. Sie sind selbst in diesem ver-rückten Familiendrama stark traumatisiert und so stark gebunden, dass sie sich davon nicht loslösen können.

daStandard.at: Das heißt, hier kommt weniger das Problem des "Nicht-Loslassens" zum Tragen als vielmehr der Umkehr der Verantwortung im Familiengefüge?

Križanec: Exakt, viele Kinder aus Einwandererfamilien übernehmen bereits früh Verantwortung, indem sie zu "Dolmetschern" werden. Zwischen Eltern und Schulen oder verschiedensten Behörden haben sie diese wichtige Rolle des "Familienklärers" aufgebürdet bekommen und sich aufgebaut. Aber deshalb sage ich: Es gibt so viele Klischees, denen wir unterliegen und viele Erfahrungen, die wir herauspicken können. Aber für mich ist das heutzutage sehr, sehr durchmischt. Obwohl es auch die typischen Migrationsströme gibt, die diese Jahre gekennzeichnet haben und Populationen sehr stark auch mitbestimmt haben.

Beim Einfluss, den man auf Kinder ausübt, geht es häufig um die Subtilität. In jeder Gesellschaft gibt es Skripten oder Codes, wie man klar erkennen kann, ob jemand einverstanden ist oder nicht - ohne explizite Äußerungen auszusprechen und damit Druck auf die Personen auszuüben.

daStandard.at: Welche Richtlinien verfolgen Sie bei Ihrer Arbeit?

Križanec: Die Grundsätze und Richtlinien stehen im Prinzip in Konfrontation mit der eigenen Gewalttätigkeit. Das sind "mein eigenes Selbstbild", "mein Selbstvertrauen" und "meine Persönlichkeit". Wir haben mit vielen Männern zu tun, die in einen Zwangskontext geraten, weil sie gerichtlich zu einem Anti-Aggressionstraining verpflichtet werden und das natürlich sehr oft mit Unmut und Verweigerung annehmen. Häufig ist dabei eine "Als-ob"-Einstellung bei diesen Personen zu bemerken, die diese Anordnung einfach "absitzen". Besonders wichtig ist dann, dass eine gewisse Umpolung und Einsicht über die Verantwortung für die Geschehnisse stattfindet. Deswegen ist es wesentlich, dass wir als Berater sagen: Jeder ist verantwortlich für seine Gewalt.
Man muss natürlich unterscheiden, denn es gibt viele Formen: Nicht nur physische Gewalt, sondern psychische, ökonomische, sexuelle oder emotionale Gewalt.

daStandard.at: Mit welchen Männlichkeitsbildern haben Sie bei Ihrer Arbeit zu tun?

Križanec: Ich arbeite sehr stark mit existenziellen und spirituellen Elementen von Menschen, wo wir über das Selbstbild der Personen sprechen: Was bin ich für ein Mensch und als welcher Mensch sollen mich meine Kinder in Erinnerung behalten? Wie wird meine Partnerin über mich denken, wenn sie mich verlassen muss, weil ich nicht aus meiner Impulsivität heraussteigen konnte? Das Männlichkeitsbild, welcher Mann mit materiellen Gütern und ausgebildete Fachmann ich in meinem Beruf bin, wird durch andere Fragen aufgeweicht: Was bin ich für ein Mensch, Geist oder was für ein Charakter? Das hilft vielen, um eine Distanz zu sich selbst und zu diesen Bildern, die andere von ihnen haben, zu schaffen.

Im Prinzip dreht es sich immer um Verantwortung über das eigene Handeln/Denken/Fühlen und die Fähigkeit dies alles wahrzunehmen. Es gilt gewarnt zu werden, Gelerntes nicht automatisch zu wiederholen und dieses "programmierte" Handeln zu reflektieren. Wenn ich mir einen neutralen Beobachter auf die Schulter setze, kann ich die Probleme aus einer anderen Anhöhe sehen und leichter Lösungen finden. (Eva Zelechowski, 04.02.2011, daStandard.at)