Der junge Brite James Blake adaptiert sehr gelungen den Dubstep aus den Londoner Clubs für die kuschelige Sitzecke zu Hause.

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Die interessanteste Musik des Planeten wird derzeit von halben Kindern gemacht. Der die Bassfrequenzen zum Randalieren bringende britische Bubenstil des Dubstep ist ein ebenso weite Räume aufreißendes wie hochkomplex auf den Laptops in den Jugendzimmern konstruiertes Hybrid aus den Überresten von Dub, HipHop, Garage, Grime, Blablabla und diversem historischem Avantgarde-Allerlei zwischen Erik Satie und anderen Minimal-Techno-Klassikern bis hin zum reinen Nervtöten cannabisverseuchter Klingeltöne.

Dubstep auf seiner Hauptplattform, dem vom britischen Uni-Professor Dave Goodman betriebenen Label Hyperdub, klingt ebenso großartig futuristisch wie frauenabweisend. Augenzeugen von Dubstep-Clubbings in London bestätigen das gern: Die Buben, die sich vor der DJ-Budel die Nase plattdrücken, weil sie die Tricks ihrer Idole studieren wollen, sind eindeutig in der Überzahl. Frauen im Club beschränken sich tendenziell darauf, die Getränke zu verkaufen.

Der 22-jährige Brite James Blake könnte es nun allerdings schaffen, den Dub-step auch für breitere Hörerschichten bekömmlich zu machen. Auf seinem titellosen, daheim im Alleingang aufgenommenen Debütalbum, das er brav Mum und Dad widmet, gelingt es Blake, den Dancefloor-Stil für illuminierte Jungmänner für die Sitzdisco daheim auf dem Sofa zu adaptieren. Blake arbeitet zwar mit komplexen rhythmischen Strukturen, entzieht der apokalyptischen Wucht der Bässe aber das Apodiktische und verschlankt sie zu proseminartauglichem Pluckern und Pochen. Zusätzlich setzt der seit dem sechsten Lebensjahr brav Klavier übende Künstler neben seinem sparsam dosierten Hauptinstrument auch eine merkwürdig gebrochene und mit elektronischen Häcksler- und Zeitraffer-Effekten verfremdete, teilweise greinende Stimme ein.

Über unaufdringlichen Mollakkorden auf preisgünstigen japanischen Keyboards und nach U-Booten im Computer Ausschau haltenden Echolotklängen entsteht so eine neumoderne Form von "Soul" unter Anführungszeichen. Die Songs, die sich oft auch gegen rebellierenden elektronischen Lärm durchsetzen müssen, schweben als Geister durch das Album.

Einmal, im zweizeiligen Mantra I Never Learnt To Share, tritt Blake mit sich in den gesanglichen A-cappella-Dialog, bevor sich aus Geräuschschlieren heraus ein harmonisch dem Kirchenlied nachempfundenes, andachtsvolles Leitmotiv schält. Er wirkt dabei wie ein Roboter, der auf Antony & The Johnsons programmiert ist: "My brother and my sister don't speak to me, but I don't blame them."

James Blake komponiert zwar vielschichtig, aber er überfrachtet nicht. Wesentlicher Bestandteil des Dubstep bei aller Wucht ist es ja auch, dem Raum und der darin drohenden Stille Platz zu gewähren. Die Pause wird so bei Blake zu einem entscheidenden Stilmittel. Der Mut zur Auslassung, der Einsatz von Emotionalität, ohne aufdringlich zu werden. Wir haben es bei James Blake mit einem sehr modernen Menschen zu tun. (Christian Schachinger/ DER STANDARD, Printausgabe, 4.2.2011)