Brüssel/Wien - Die EU will angesichts von Preisschwankungen die Spekulation auf Rohstoffmärkten einschränken und sich den Zugang zu seltenen High-Tech-Metallen sichern. Die EU-Kommission werde bis zum Sommer insbesondere für Agrarrohstoffe Regeln für den OTC-Derivate-Markt ("Over the counter") eine Änderung der Richtlinie für beherrschende Marktstellung und der Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) vorschlagen, sagte EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier am Mittwoch in Brüssel. So wie die USA derzeit überlegten, könnte die EU aber über den Bereich der Agrarstoffe hinausgehen. "Wir brauchen mehr Regeln und mehr Transparenz."

Die stärkere Transparenz auf den Finanzmärkten ist Ziel einer umfassenden Rohstoffstrategie, die die EU-Kommission am Mittwoch beschloss. Die Entwicklung auf den Märkten könne zu Hunger und Dramen führen und sei ausschlaggebend für das Leben der Bürger, sagte Barnier. Grund für die Preisschwankungen seien geändertes Angebot und Nachfrage, etwa durch die demografische Entwicklung und Klimawandel. "In 30 bis 40 Jahren muss man die Agrarversorgung verdoppeln, damit neun Milliarden Menschen überleben." Zwischen 2003 und 2008 hätten sich die Verträge auf den internationalen Agrarrohstoffmärkten verdreifacht und das gehandelte Volumen vervierzehnfacht. Zuständig für die Überwachung der Märkte seien die nationalen Behörden, die neue EU-Wertpapierhandelsaufsicht ESMA könne eine Art "europäisches Radar" werden.

Transparenz als Vorbote

Transparenz sei wichtiger als Verbote, sagte EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos. Die EU wolle ihre Märkte nicht abschotten, da europäische Agrar-Unternehmen auch stark vom Export profitierten.

Der für Industriepolitik zuständige EU-Kommissar Antonio Tajani sagte, die EU müsse "eine richtige Diplomatie entwickeln, damit wir Zugang haben zu Rohstoffen". Im Aktionsplan der EU mit der Afrikanischen Union werde dies bereits umgesetzt. Es gehe um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen. Seit 2008 habe die EU bereits eine Liste von 14 kritischen Rohstoffen aufgestellt, bei denen die Importabhängigkeit der Union 69 bis 100 Prozent beträgt. Auf der Liste finden sich Antimon, Beryllium, Kobalt, Fluorit, Gallium, Germanium, Graphit, Indium, Magnesium, Niobium, Platin, Seltenerdmetalle, Tantal und Wolfram.

Für die EU problematisch sei, dass viele derartige Rohstoffe in China, Russland, der Demokratischen Republik Kongo und Brasilien konzentriert vorkommen und dass es für sie nur schlechte Ersatzmöglichkeiten gebe, sagte Tajani. Viele dieser Rohstoffe würden nicht nur zur Herstellung von Computer, Handys und Fotoapparaten gebraucht, sondern auch für Klimaschutzprojekte wie Windräder und Elektro-Fahrzeuge. Durch eine gezieltere Abfallsammlung und Recycling müsse Europa auch "städtische Minen" besser zur Wiederverwertung von Rohstoffen nutzen. Tajani verwies außerdem auf die bereits bestehende Möglichkeit, dass nach neuen EU-Leitlinien Bergbau auch in Naturschutzgebieten "Natura 2000" nicht mehr automatisch ausgeschlossen werden kann.

Mitterlehner begrüßt Initiative

Österreichs Wirtschafts- und Energieminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) begrüßte die Rohstoff-Initiative der Europäischen Kommission. "Eine abgestimmte EU-Rohstoff-Strategie erhöht die Versorgungssicherheit für österreichische und europäische Unternehmen. Je rascher wir diese Initiative in konkrete Maßnahmen umsetzen, desto besser. Wir dürfen nicht zulassen, dass der aktuelle Aufschwung der Wirtschaft durch knappe Ressourcen verlangsamt wird", betont Mitterlehner in einer Aussendung.

Starke Kritik an der Strategie äußerten dagegen Nicht-Regierungsorganisationen. Die Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 warnte, dass sie auf Kosten von Mensch und Umwelt in Entwicklungsländern gehe. "Jetzt, wo die Ressourcen knapp werden, beginnt ein gnadenloser Wettlauf um die Reserven. Wir brauchen eine Kehrtwende hin zu einer deutlichen Reduktion des Verbrauchs und zu Konzepten der Wiederverwertung", fordert Lisa Kernegger, Ökologin von GLOBAL 2000. Europas enormer Ressourcenhunger habe verehrende Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Auch sas globalisierungskritische Netzwerk Attac kritisiert die Rohstoffstrategie der EU. Sie verschärfe die Probleme einer auf Wachstum, Export und Ressourcenausbeutung ausgerichteten Wirtschaft. "Sie ist angesichts schwindender Energieressourcen, des Klimawandels und global ungerechter Verteilung nicht zukunftsfähig - weder für Europa und schon gar nicht für Entwicklungsländer", kritisiert Alexandra Strickner von Attac Österreich. (APA)