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Amy Chua, Provokation mit Selbstironie.

Foto: dapd/Moore

Als Lulu sieben war, sollte sie ein schwieriges Klavierstück spielen, Der kleine weiße Esel von Jacques Ibert. Sie konnte es nicht, die Mutter drängte sie immer forscher, irgendwann zerriss das Mädchen wütend das Notenblatt. Der Streit endete damit, dass Mama Amy Lulus Puppenhaus ins Auto packte und drohte, es bei der Heilsarmee abzugeben - falls sie den kleinen weißen Esel am nächsten Tag nicht perfekt beherrschte. "Und ich sagte ihr, keine Geburtstagsfeiern mehr für die nächsten zwei, drei, vier Jahre." Mutter und Tochter übten bis spät in die Nacht, das Abendessen fiel aus, Lulu durfte nicht einmal aufstehen, um auf die Toilette zu gehen. Und dann konnte sie es.

Hunderttausende Amerikaner kennen sie inzwischen, die Geschichte mit dem Piano. Die Erziehungsberatung der Tigermutter, wie sich Amy Chua nennt, weil sie im chinesischen Jahr des Tigers geboren wurde, hat auf Anhieb den Sprung in die Bestsellerlisten geschafft. Talkshows reißen sich um die Autorin, der Bildungsminister nimmt Stellung. Seit langem hat kein Titel mehr für so viel Furore gesorgt wie der Schlachtruf der Tigermutter.

Chua, Tochter chinesischer Einwanderer, lehrt Recht an der Eliteuniversität Yale. Sie ist verheiratet mit Jed, einem Juraprofessor mit jüdischen Wurzeln, und hat zwei Töchter, die sie voller Ehrgeiz zu Höchstleistungen treibt. Die Regeln, die sie für Sophia und Louisa (alias Lulu) aufgestellt hat, sind so einfach wie drakonisch: kein Fernsehen, keine Computerspiele, nie bei Freundinnen übernachten. Immer die Klassenbeste sein. "Westliche Eltern werden ihr Kind schon für eine Eins minus loben. Die chinesische Mutter wird nach Luft schnappen und fragen, was falsch gelaufen ist."

Als die Töchter ihr zum Geburtstag Kinderzeichnungen schenkten, gab sie die tadelnd zurück: zu schnell hingekritzelt, halbe Sachen akzeptiere sie nicht. Sophia, heute 18, wurde einmal als "Abfall" beschimpft, nachdem sie sich im Ton vergriffen hatte. Einen Abend lang musste sie um ihre Plüschtiere bangen: Amy wollte sie verbrennen, falls ihre Finger nicht flinker über die Klaviertasten liefen.

Was für eine Provokation! Dass die Tigermama einen Nerv trifft, hat wohl mit ausgeprägter Konkurrenzangst zu tun. China ante portas: Die Furcht, das Reich der Mitte könnte dereinst die Welt dominieren, ist so sehr Mode und so überzogen, wie es bis 1990 der Respekt vor den japanischen Exportweltmeistern war. Und dass im Schulalter etwas falsch läuft in der Heimat hochkarätiger Eliteschmieden wie Harvard oder Stanford, wissen die Amerikaner selber. Beim letzten Pisa-Test landeten US-Schüler beim Lesen auf Rang 17, in Mathematik gar nur auf dem 31. Platz.

Aber kann Brachialpädagogik der Ausweg sein? "Nicht für mich", sagt Betty Ming Liu, eine chinesischstämmigen Publizistin. "Eltern wie Amy Chua sind der Grund, warum Leute wie ich eine Therapie brauchen."

Was untergeht, ist die feine Selbstironie, die passagenweise mit drinsteckt in den 232 Ratgeberseiten. "Wissen Sie was", lässt Chua ihre Kritiker wissen, "ich wollte mir den Spiegel vors Gesicht halten. Ich wollte lachen über mich selber." (Frank Hermann aus Washington, DER STANDARD, Printausgabe, 1.2.2011)