Bild nicht mehr verfügbar.

Seibert empfiehlt eine neue Sicherheitsstrategie, "wo man sich genau überlegt, welche Aufgaben erfüllt werden müssen, in welchem Maß Katastrophenschutz und Verteidigungsmaßnahmen notwendig sind."

Foto: ap/HANS PUNZ

"Es muss auf jeden Fall eine Attraktivitätssteigerung der Streitkräfte stattfinden," sagt der Harvard-Wissenschaftler Björn H. Seibert im derStandard.at-Interview. Nur so könne ausreichend Nachwuchs für ein Freiwilligenheer gefunden werden. Welche Fehler Norbert Darabos vermeiden soll und welche Länder erfolgreich umgestellt haben, erzählte er Marie-Theres Egyed.

***

derStandard.at: Sie arbeiten an einer Studie für das deutsche Verteidigungsministerium zu Erfahrungen bei der Umstellung zu Freiwilligenarmeen: Wo sehen Sie die Schwierigkeiten bei der Umstellung?

Seibert: Die Erfahrungen der meisten Staaten haben gezeigt, dass es auf verschiedenen Ebenen Schwierigkeiten gibt. Die Umstellung von einer wehrpflichtigen Armee auf eine Freiwilligenarmee gehört zu den größten Herausforderungen für Streitkräfte. Vor allem zeigen das Erfahrungen aus anderen Staaten, weil zum Teil erhebliche und unerwartete Kosten auftreten. 

derStandard.at: Wo entstehen diese Kosten?

Seibert: Die Kosten entstehen beispielsweise im Personalabbau. Die meisten Staaten führen einen substanziellen Schrumpfungsprozess durch. Dieser Abbauprozess wirft hohe Kosten auf, weil Anreize geschaffen werden müssen, um Soldaten zu überzeugen, freiwillig die Streitkräfte zu verlassen. Die Schwierigkeit ist einen ausgewogenen Personalabbau zu ermöglichen. Es können nicht nur Neueinstellungen reduziert werden, es müssen auch Soldaten die Streitkräfte verlassen. Gleichzeitig gibt es meistens Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung. Die Personalkosten pro Kopf werden steigen. Selbst wenn man Personal abbaut, wird das nicht zwangsläufig zu Einsparungen führen - auch nicht bei einem kleineren Bundesheer. Schlank ist nicht immer billiger. Es muss auf jeden Fall eine Attraktivitätssteigerung stattfinden.

derStandard.at: Was würden Sie Norbert Darabos raten, wie sollte die Umstellung auf ein Freiwilligenheer erfolgen?

Seibert: Prinzipiell sind Umstellungen ein schwieriger Prozess: Wenn man sich in Deutschland die Debatte anschaut, gibt es Schwierigkeiten sich von einem Modell zu trennen, das viele liebgewonnen haben. Gleichzeitig gibt es genug Gründe für die Aussetzung: sicherheitspolitische Gründe, neue Einsatzrealitäten oder Fragen der Wehrgerechtigkeit. Die Umstellung geht in die richtige Richtung. Das heißt aber nicht, dass die derzeitige Umsetzung richtig ist. Österreich versucht bei der Umstellung von anderen Staaten zu lernen, man muss ja nicht die Fehler anderer wiederholen - verschiedene Staaten waren verschieden erfolgreich. Daher ist die Umstellung auf ein Freiwilligenheer ein schwieriger, aber richtiger und letzten Endes unumgänglicher Schritt. Die Herausforderungen für den Verteidigungsminister liegt nun darin, die Menschen im Bundesheer bei diesem Schritt mitzunehmen, sie zu gewinnen und sie zu Akteuren zu machen.

derStandard.at: Der deutsche Verteidigungsminister zu Guttenberg hat durch die Maßnahmen sehr gute Umfragewerte eingefahren, Norbert Darabos hingegen wird scharf kritisiert.

Seibert: Die beiden Fälle sind doch sehr unterschiedlich. Vergleichbar sind jedoch die starken Beharrungskräfte - insbesondere auch in den Streitkräften. Grundsätzlich gilt in beiden Staaten das Primat der Politik: Wenn die zivile Führung des Bundesministeriums für Landesverteidigung eine Umstellung für notwendig erachtet und sowohl die Regierung als auch das Parlament von deren Notwendigkeit überzeugen kann, müssen sich die Streitkräfte dieser politischen Entscheidung beugen. Dies ist unabhängig davon, ob sie diese Entscheidung richtig oder falsch finden.

derStandard.at: Wo sehen Sie die Kernaufgaben des Österreichischen Bundesheers?

Seibert: Dafür ist eine Sicherheitsanalyse notwendig. Eine sicherheitspolitische Ableitung, eine neue Sicherheitsstrategie, wo man sich genau überlegt, welche Aufgaben erfüllt werden müssen, in welchem Maß Katastrophenschutz notwendig ist und in welchem Maß Verteidigungsmaßnahmen notwendig sind. Österreich ist wie andere Staaten in die EU eingebunden. Im Rahmen der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestehen Aufgaben die auch Österreich betreffen. Daher wäre es nicht ausreichend, sich auf Katastrophenschutz zu beschränken. Dass Katastrophenschutz durchaus eine Aufgabe sein kann, die Streitkräfte wahrnehmen, ist unbestritten. Es ist aber sicher nicht die Hauptaufgabe.

derStandard.at: Sollten die Kernaufgaben des Bundesheeres nicht definiert werden, bevor eine Umstellung erfolgt bzw. beschlossen wird?

Seibert: Idealerweise würde man zunächst eine neue Sicherheitsstrategie erarbeiten und daraus ableiten, welche Art von Heer man braucht. Gleichzeitig haben wir die Debatten über die sicherheitspolitischen Veränderungen seit dem Ende des Kalten Krieges schon seit 20 Jahren geführt. Wenn man sich die heutigen Einsatzrealitäten vor Augen führt, dann wird schnell deutlich, dass ein Freiwilligenheer diesen Herausforderungen wesentlich besser gewachsen ist als eine wehrpflichtige Armee. Insoweit ist fraglich, welchen Erkenntnisgewinn eine neue Sicherheitsstrategie derzeit mit sich bringt.

derStandard.at: Die öffentliche Meinung in Österreich zum Bundesheer ist nicht besonders gut: Wie sollen sich genügend Freiwillige finden, für eine Institution, die derart in Frage gestellt wird.

Seibert: Es ist eine Herausforderung, die Wettbewerbsfähigkeit und die Attraktivität der Streitkräfte zu steigern. Es gibt Beispiele, wie verschiedene Staaten das erreicht haben. Einerseits durch marktgerechte Entlohnung, also durch Steigerung des Wehrsolds, Einführung finanzieller Anreize und verschiedener Zulagen, die kompensatorisch wirken, andererseits durch verstärkte Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote sowie Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den zivilen Arbeitsmarkt und umfassende Fürsorge für Familien.

derStandard.at: In mehreren europäischen Ländern gibt es Rekrutierungsprobleme: Spanien senkte den IQ für Soldaten, Großbritannien rekrutiert in Gefängnissen.

Seibert: Es ist der richtige Weg in Richtung Freiwilligenheer zu gehen. Wie man dann die Bedarfsdeckung erreicht, ist eine Frage die national diskutiert werden muss. Spanien hat zum Beispiel das Modell gewählt auch Bewerber aus lateinamerikanischen Staaten aufzunehmen, das kommt für Österreich oder Deutschland nicht in Frage. Da ist natürlich Innovation gefragt, dass man es schafft, möglichst früh Rekruten zu finden und für die Streitkräfte zu interessieren. Jeder Staat muss einen Weg im politischen Diskurs finden, was akzeptabel ist und was nicht mehr akzeptabel ist. Die meisten Staaten sind mit der Absenkung der Anforderungen schlecht gefahren, weil es letzten Endes nichts bringt, „minderwertige" Rekruten aufzunehmen.

derStandard.at: Der österreichische Milizverband warnt vor einem Freiwilligenheer, wo sich die Armee nur aus "Rand- und Unterschichten" zusammensetzen würde.

Seibert: Das sind keinesfalls Erfahrungen, die andere europäischen Staaten gemacht haben. Sicherlich gab es Schwierigkeiten bei der Rekrutierung, das hängt eben auch sehr stark vom wirtschaftlichen Klima ab, aber man kann nicht sagen, dass sich die Qualität im Wesentlichen gesenkt hat. In den Niederlanden wurden durchaus erfolgreiche Maßnahmen gesetzt, um die Attraktivität zu steigern. Im Rahmen des veränderten wirtschaftlichen Klimas hat man auch die gewünschte Anzahl der Rekrutierungen erreichen können.

derStandard.at: Wie hat man das erreicht?

Seibert: Da wurden einige Mechanismen in Gang gesetzt, die natürlich kostenintensiv waren, wie marktgerechte Entlohnung, verstärkte Ausbildungsangebote, umfassende Fürsorge für die Familien der Soldaten. Auf der anderen Seite spielt auch das wirtschaftliche Klima eine Rolle: Die Niederlande haben mit der Umstellung 1996 angefangen, der wirtschaftliche Aufschwung bis zum Jahr 2001 hat dazu geführt, dass es erhebliche Rekrutierungsschwierigkeiten gegeben hat. Als die wirtschaftliche Lage schlechter war, war es deutlich leichter Rekruten zu finden.

derStandard.at: Der US-Verteidigungsminister Robert Gates warnt vor einer wachsenden Distanz zwischen Gesellschaft und Militär. Wie kann dem Einhalt geboten werden?

Seibert: Die amerikanischen Streitkräfte sind anders als die meisten europäischen. Aufgrund der viel intensiveren Nutzung ist das schwer vergleichbar. Trotzdem ist der Punkt richtig und wichtig. Es ist sowohl eine politische Herausforderung als auch eine, die von den Streitkräften bewältigt werden muss, damit der Kontakt zwischen Gesellschaft und Militär weiterhin eng gehalten werden kann. Es ist letztendlich eine Herausforderung, die machbar ist. Auch wenn es nicht einfach war, haben das die meisten europäischen Staaten gut bewältigt - wie Frankreich oder Niederlande.

derStandard.at: Welches Land sehen Sie als geeignetes Vorbild für die Umstellung?

Seibert: Die Niederlande sind bestimmt ein gutes Beispiel. Hier hat ein Staat trotz anfänglicher Schwierigkeiten und reduzierter Einsparungen es geschafft, relativ gut dazustehen. Da ist auch nicht versucht worden, die Einstiegsqualifikationen zu senken, sondern die Kriterien sind aufrechterhalten worden.

derStandard.at: Eduard Paulus, Präsident der österreichischen Offiziersgesellschaft, meinte vor kurzem, ein Freiwilligenheer sei „undurchführbar, unrealistisch und unfinanzierbar".

Seibert: Eine entsprechende Finanzierung vorausgesetzt, spricht nichts dagegen, dass Österreich nicht in der Lage sein sollte, ein Freiwilligenheer erfolgreich aufzustellen.

derStandard.at: Gleichzeitig fürchtet er Abschaffung der Neutralität, einen Nato-Beitritt und die Aufgabe der staatlichen Souveränität. Das sind wunde Punkte im österreichischen Bewusstsein.

Seibert: Die Abschaffung der Wehrpflicht heißt nicht Beitritt zur Nato oder Abschaffung der Neutralität. Das sind unabhängige Fragen, die unabhängig beantwortet werden können. Die Streitkräfte werden nach Absprache mit dem Parlament und mit der Regierung eingesetzt. Die politische Entscheidung liegt bei ihnen. Ich sehe daher nicht die Gefahr, dass durch die Hintertür die Neutralität aufgegeben werden kann. (mte, derStandard.at, 7.Feber 2011)