"Sex ist ein wichtiger menschlicher Lebens- und Erlebensbereich, das wird von keinem Humanwissenschafter bestritten", sagt Josef Aigner, Leiter des Instituts für Psychosoziale Intervention und Kommunikationsforschung (PsyKo) an der Universität Innsbruck. Trotzdem werde dieser Bereich in der Lehre weitgehend ausgeblendet. "Das Angebot der heimischen Universität zu diesem Themenbereich stagniert auf konstant verschwindendem Niveau", ergänzt er.

Dieses Defizit führe zum Wegschauen, zu unzureichender oder zu später Behandlung in der Praxis. "Und das ist fatal", so Aigner. Die Versorgungsangebote für Patienten mit sexuellen Problemen und Störungen seien unzureichend. Dies gelte gleichermaßen für die Behandlung von Funktionsstörungen, sexuellen Perversionen, Transsexualität und Geschlechtsidentitätsstörungen sowie von Sexualstörungen bei chronischen Erkrankungen. Sex sei zwar allgegenwärtig, aber eigentlich immer noch ein Tabuthema. "Weil niemand gerne zugibt, dass sein Sexualleben nicht zufriedenstellend läuft."

Das PsyKo hat in Zusammenarbeit mit Medizinern, Psychologen und Therapeuten ein aufeinander aufbauendes Curriculum entwickelt, das die Absolventen befähigen soll, auf den wichtigsten Gebieten der menschlichen Sexualität entweder beratend-unterstützend oder aber therapeutisch tätig zu werden.

Interdisziplinär

Der viersemestrige Universitätslehrgang "Intervention und Beratung im Bereich Sexualität" der allen Human- und Sozialwissenschaftern offensteht, befasst sich in kompakter Weise und interdisziplinär mit der Rolle der Sexualität im Lebenslauf. "Die soziale Dimension spielt dabei eine ganz wichtige Rolle", ergänzt Aigner. Daran anschließend können sich Psychotherapeuten in zwei Aufbausemestern mit Diagnostik, Beratung und Therapie sexueller Störungen wissenschaftlich weiterbilden.

Starten soll der Lehrgang im Frühjahr 2012. Ein Pilotlehrgang werde derzeit am Schloss Hofen, der Weiterbildungsakademie der Fachhochschule Vorarlberg, durchgeführt.

"Mit diesem wissenschaftlichen Angebot sind wir in Europa allein", sagt Aigner. In Ansätzen Vergleichbares gebe es lediglich an der Uni Basel oder an der Fachhochschule Merseburg in Deutschland. "Abgesehen davon herrscht in Europa weitgehend Sexabstinenz." Das mittelfristige Ziel sei, das Thema Sexualität in die Curricula der Regelstudien der Humanwissenschaften zu integrieren. "Denn man kann so einen wichtigen Bereich wissenschaftlich nicht einfach ausblenden", ergänzt er. (Gudrun Ostermann/DER STANDARD; Printausgabe, 29./30.1.2011)