Performative Traumforschung mit der Gruppe Superamas - ab Freitag, 28.1., im Tanzquartier Wien

Foto: Giannina U. Ottiker

Von Zürich zieht die Produktion am Freitag  nach Wien. 

Was Christopher Nolans Inception im Vorjahr für den Film war, ist das Stück Youdream der französisch-österreichisch-belgischen Gruppe Superamas jetzt für die choreografische Performance. Mit dieser neuen Arbeit wurde das Festival "Gedankensprünge" unlängst im Zürcher Theater Gessnerallee eröffnet. Heute und morgen ist es als Gastspiel im Tanzquartier Wien zu sehen.

In Nolans spannendem Science-Fiction-Thriller versetzt sich ein von Leonardo di Caprio gespielter Dream-Junkie mit einem kleinen Team in immer tiefer liegende Traumebenen, die ein trügerisches virtuelles Labyrinth darstellen. In der - auf andere Art - nicht weniger packenden Superamas-Performance verbindet eine Crew von Künstlern mehrere mediale Ebenen. Sie operiert geschickt im Internet, live auf der Bühne und im Video, insgesamt in einem raffinierten Spiegelkabinett aus Wirklichkeit und Täuschung. Außerdem wird an einer entsprechenden Fernsehserie gearbeitet.

Fingierte Chats

Der Titel Youdream ist allerdings kein Fake, sondern reiht sich beziehungsvoll unter die gängigen "You"-Labels wie Youtube oder Youporn; und wer immer will, soll der Welt seine Träume auf der Superamas-Webite www. youdream.be, auf der bereits einige fingierte Chats zu sehen sind, mitteilen können.

Das Bühnenstück selbst beginnt als Webcam-Chatroom, in dem einem zunehmend erheiterten Publikum gleich klargemacht wird, dass es auch um Politik geht, um den europäischen Traum. Also: Über ihre Träume unterhalten sich ein italienischer Macho, ein arroganter Franzose und eine etwas beschränkte ... - gut, es geht nur an der Oberfläche um persönliche Träume, eigentlich um größere Zusammenhänge. Der europäische Traum von einer Staatengemeinschaft erscheint in Youdream als Witzpartie aus banalen Vorurteilen und der inszenierte Chatroom als Marktplatz für Missverständnisse und billige Klischees. Es sind vier Typen, die einander wiederholt treffen. Zu Beginn sind sie nur auf einer Videoleinwand zu sehen, schließlich wird aber ein Vorhang zur Seite gezogen, und das Publikum sieht, dass das Video synchron live produziert wird.

Der Wechsel in die Liveperformance zieht nach sich, dass einige Freiwillige aus dem Publikum einen Traum erzählen können, der dann von der Performergruppe auf der Bühne nachgestellt wird. Es wird ein wenig peinlich. Wer wagt es, wer wird vielleicht etwas Intimes preisgeben? Gespannt wartet das Publikum darauf, was da aus den eigenen Reihen kommt.

Und was immer das ist, es fließt über in einen von Superamas gedrehten Film, der ganz nach den Logiken eines Traums aufgebaut ist und daher wilde Orts- wie Zeitwechsel beinhaltet. Es sind wahre Bocksprünge in den Wunden der europäischen Geschichte, mit Bezug übrigens auf den legendären Film To Be or Not to Be (1942) von Ernst Lubitsch. Das Ende von Youdream soll hier nicht verraten werden. Nur so viel: Es wird ein Donnerwetter geben.

Seit mehr als zehn Jahren bauen Superamas an einer konsequenten Werkbiografie, in die sich Youdream perfekt einreiht. Die einzelnen Stücke, Videos oder Installationen passen zueinander wie Folgebände einer Comic-Serie. So sind in Youdream Motive aus der Vorgängerarbeit Empire und aus der noch früheren Big-Trilogie zu sehen sowie Szenen, die an andere Stücke, Filme und Installationen von Superamas erinnern. Wie in Empire spielt auch jetzt bei Youdream die napoleonische Geschichte eine Rolle, als Metapher für den Größenwahn in der fatalen europäischen Vergangenheit.

Entertainment-Trickkiste

Vor allem führen Superamas ihre spektakuläre Kritik an der Entertainment-Industrie fort und beuten zugleich deren Trickkisten aus. Eigentlich wollten Superamas mit einem Fernsehsender zusammenarbeiten, mussten aber erfahren, dass die Zeit für Experimente im Fernsehen vorbei ist. So soll die geplante Youdream-Soap eben im Internet publiziert werden, wo sie vermutlich ohnehin mehr Zuschauer erreichen kann. Es ist ihr auf alle Fälle zu wünschen. Das Stück macht Lust darauf, Superamas auch "televisionär" zu erleben.  (Helmut Ploebst aus Zürich / DER STANDARD, Printausgabe, 28.1.2011)