Wien - Die Frage, warum er, der erfolgreiche Journalist, relativ spät in seinem Leben auf eine Soziologie-Professur wechselte, pflegte Daniel Bell angeblich so zu beantworten: "Juli, August, September". Dabei ging es dem produktiven Autor nicht darum, mehr Urlaub, sondern mehr Muße zum Schreiben von Büchern zu haben.

Diese Zeit hat Bell, der an der Columbia University und in Harvard lehrte, zum Verfassen soziologischer Klassiker wie "The End of Ideology" (1960) oder "The Cultural Contradictions of Capitalism" (1978) genützt. Beide wurden vom Times Literary Supplement in die Liste der 100 wichtigsten Bücher nach 1945 aufgenommen.

Das einflussreichste Buch des in New York geborenen Sohns polnisch-jüdischer Einwanderer war aber wohl "The Coming of the Post-Industrial Society" (1975) (dt. "Die nachindustrielle Gesellschaft"). Darin beschrieb Bell den strukturellen Wandel von der Industriegesellschaft zu einer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft.

Bell, einer der hellsichtigsten Gesellschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts, starb am Dienstag 91-jährig in Cambridge. (tasch/DER STANDARD, Printausgabe, 27. 1. 2011)