Neugier und Motivation - davon bringen viele Lehrlinge zu wenig mit, sagen Wiener Unternehmer. Der Start in den Job scheitert aber auch an elementaren Dingen wie Schreiben und Rechnen.

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Wien - Es sind Rechenbeispiele wie dieses, an denen viele angehende Lehrlinge scheitern: Ein Handwerker stellt 48 Werkstücke pro Stunde her - wie viele sind es in 3 1/2 Stunden? "Ein guter Teil der Bewerber konnte das nicht ausrechnen", erzählt Ludwig Kyral, Chef eines traditionsreichen Kunstspenglerbetriebs im 15. Bezirk. Das ist keine aktuelle Entwicklung, der Unternehmer machte diese Erfahrung schon vor etwa zehn Jahren. Seither verzichtet er bei der Lehrlingssuche auf die Hilfe des Arbeitsmarktservice (AMS). "Dort hat niemand vorausgewählt. Von den 40 Bewerbern konnte auch die Hälfte nicht sagen, was der Unterschied zwischen der Fläche und dem Umfang eines Rechtecks ist."

Mina Tomic vermisst bei vielen Bewerbern zwischenmenschliche Fähgikeiten. Die Chefin eines Vier-Personen-Friseurbetriebs in der Innenstadt ist regelmäßig in Kontakt mit den Eltern ihrer Auszubildenden, denn ihrer Erfahrung nach werden die jungen Leute "entweder bevormundet oder komplett alleine gelassen". Die Sprache sei für viele, die zu ihr kämen, ein Problem, sagt Mina Tomic - "egal ob sie Migranten oder gebürtige Österreicher sind". Auch in der Berufsschule werde viel zu wenig vermittelt: "Einer meiner Lehrlinge ist Klassenbeste, sie ist komplett unterfordert."

Schwierige Mitarbeiter-Suche

Ludwig Kyral und Mina Tomic sind bei weitem nicht die einzigen Unternehmer, die mit schlecht qualifiziertem Nachwuchs kämpfen. 30 Prozent der Pflichtschulabgänger können nicht sinnerfassend lesen, österreichweit schaffen 16.000 Lehrlinge jährlich ihre Abschlussprüfung nicht. Auch Studien wie Pisa würden dokumentieren, "welchen Problemen sich die heimischen Betriebe bei der Suche nach qualifizierten Mitarbeitern ausgesetzt sehen", sagt die Präsidentin der Wirtschaftskammer Wien (WKW), Brigitte Jank. Sie fordert besonders für die Bundeshauptstadt "eine zusätzliche Unterstützung für Lehrer bei der Bewältigung von sozialen Problemen von Schülern, die oft ein Grund für ausbleibende Lernerfolge sind". Junge Leute, die keinen Lehrvertrag hätten, sollen laut Jank noch zusätzliche Ausbildung bekommen.

Zumindest zahlenmäßig stehen die Chancen auf dem Arbeitsmarkt in Wien so gut wie schon lange nicht. Im Jänner 2011 gab es laut WKW erstmals mehr offene Lehrstellen (1088) als Lehrstellensuchende (1076). Von einem echten Job-Überangebot will Max Fischer, stellvertretender Leiter der Geschäftsstelle für Jugendliche des Arbeitsmarktservice (AMS) Wien, dennoch nicht sprechen. Denn während die Unternehmen freie Stellen immer früher melden würden, um die bestqualifizierten Lehrlinge zu bekommen, würden viele junge Leute zu spät - oft erst im Sommer - das AMS kontaktieren. "Dabei wäre es am besten, wenn sie schon jetzt mit dem Semesterzeugnis vorbeikommen", sagte Fischer dem Standard.

Den Problemen mit einfachen Rechenaufgaben oder der Sprache versuche das AMS mit einem "breiten Unterstützungsangebot" entgegenzuwirken. In Workshops werden Bewerbungsgespräche geübt und entsprechende Unterlagen erarbeitet. Für Jugendliche mit besonderem Unterstützungsbedarf gibt es überbetriebliche Werkstätten. Von den 19.187 Lehrlingen, die es Ende vergangenen Jahres in Wien gab, waren 3295 in solch einer Einrichtung.

Zu wenig Beratung

Mit Forderungen an die Politik ist AMS-Mitarbeiter Fischer zurückhaltend - nur so viel: Das Bildungssystem müsse schon Schüler "stärker auf den Einstieg in den Arbeitsmarkt vorbereiten". Mehr Beratung wünscht sich auch WKW-Präsidentin Jank, schließlich würden sich derzeit 80 Prozent der Suchenden auf nur zehn Lehrberufe konzentrieren.

Zu wenig Möglichkeit, in einen Job hineinzuschnuppern - das ist einer der Hauptkritikpunkte des Kunstspenglers Ludwig Kyral am derzeitigen Bildungsystem. Jeder angehende Lehrling ist ein paar Tage bei ihm im Betrieb, der Chef testet mit diversen Übungen das geometrische Grundverständnis: Wie bastelt man mit Schere und Zirkel aus einem A4-Blatt einen Zylinder? Insgesamt koste die Lehrlingsausbildung "viel Energie". Und der Unternehmer ist "relativ radikal: Wenn jemand ein paar Mal unentschuldigt fehlt, ist er weg." (Andrea Heigl, DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2011)